Koschyk: Wahlkampf auf Tuchfühlung

Von Christina Knorz, Peter Rauscher und Elmar
Hartmut Koschyk sagt: „Ich rate jedem in der jetzigen großen Koalition, sich im Wahlkampf nicht so auseinanderzuleben, weil nicht auszuschließen ist, dass man vielleicht wieder miteinander regieren muss.“ Foto: Andreas Harbach Foto: red

Hartmut Koschyk kandidiert nicht mehr für den Bundestag, doch los lässt ihn die Politik keineswegs. Im Kurier-Gespräch äußert er sich über die AfD, den Islam in Deutschland sowie eine Frau, die ihn tief enttäuscht hat.

 
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Herr Koschyk, geben Sie uns einPsychogramm Deutschlands, wie steht das Land da, nach Globalisierungs- und Flüchtlingsschock – wie geht es uns acht Monate vor der Bundestagswahl?

Hartmut Koschyk: Wir sind Wirtschaftslokomotive in Europa; wir haben eine Haushaltssituation, dass wir uns über die Überschüsse streiten. Aber auf der anderen Seite herrscht große Verunsicherung. Werden wir unseren Wohlstand, werden wir all das, was wir erreicht haben, halten können? Wie wird Deutschland und Europa in zwanzig, dreißig Jahren aussehen? Aber bereits nach den Anschlägen in Amerika, in London oder Madrid haben wir darüber diskutiert: Wie begrenzt muss Zuwanderung sein, wie müssen wir Zuwanderung mit dem Aspekt der Sicherheit verbinden? Das war das Thema des Wahlkampfes 2005. Es hat der Union nicht geschadet, dass sie im Wahlkampf mit der regierenden rot-grünen Koalition einen Konsens erzielt hat, in Fragen von Zuwanderung und Sicherheit.

Da gab es keine AfD.

Koschyk: Die Union hätte damals auch versuchen können, aus Unsicherheit und Angst Kapital zu schlagen. Aber sie hat es nicht getan. Ich habe das damals mit verhandelt als innenpolitischer Sprecher, mit Günther Beckstein als bayerischem Innenminister und Wolfgang Bosbach als stellvertretendem Fraktionsvorsitzenden.

Wir haben mit der AfD gesehen, wie erfolgreich rechtspopulistische Politik ist. In zehn Landesparlamenten sitzt die AfD mittlerweile – und findet Zuspruch vor allem auch von bisherigen Nichtwählern. Wieso fühlen sich diese Menschen von der Politik, die Sie ja auch mitgeprägt haben, nicht mehr repräsentiert?

Koschyk: Seitdem ich politisch engagiert bin, hatten wir immer Wellen, bei denen rechtspopulistische und auch rechtsextreme Parteien vor allem in Landesparlamente eingerückt sind. Ich glaube, die AfD kommt in den Bundestag, aber sie wird nicht in einer zweistelligen Stärke abschneiden, sie wird nicht in einer beängstigenden Stärke in den Bundestag einziehen. Ich glaube, das geht noch runter wegen dieser gezielten Tabubrüche wie dem des Thüringer AfD-Vorsitzenden Höcke, der vom Holocaust-Mahnmal in Berlin als ein „Denkmal der Schande“ spricht. Dieses Spiel mit dem Feuer wird sich für die AfD nicht auszahlen.

Das funktioniert nur, solange Politiker und Medien immer wieder draufspringen.

Koschyk: Ich glaube schon, dass man über die AfD berichten muss, man darf ihr natürlich nicht zu stark Gewicht geben. Man muss über sie berichten; denn es wäre ja verhängnisvoll, wenn Herr Höcke solche Äußerungen machen könnte, ohne dass sie medial kommuniziert werden, damit man weiß, welch Geistes Kind er und die AfD sind.

Geschafft hat die AfD eine Mobilisierung von Nichtwählern – in allen Wahlbeteiligungen bis zu zehn Prozent mehr. Die früheren Nichtwähler haben aber nicht alle AfD gewählt, andere Parteien haben auch profitiert; es hat zu einem demokratischen Schub geführt, dass mehr Leute gesagt haben: Ich gebe meine Stimme wieder ab. War’s ein Glücksfall für die Demokratie, was da passiert ist?

Koschyk: Wenn die AfD ein Stück zur Vertiefung und Ernsthaftigkeit der Zuwanderungsdebatte beigetragen hat, und wir es schaffen, die Bürger mehrheitlich zu überzeugen, dass die einfachen, dumpfen Antworten der AfD nicht zur Lösung der Probleme führen, dann war es gut.

Sie würden den Christian-Wulff-Satz „Der Islam gehört zu Deutschland“ unterschreiben – und ein „Aber“ dahintersetzen?

Koschyk: Selbstverständlich: Der Islam ist in Deutschland Realität. Damit er aber nicht desintegrierend wirkt, muss man mit den Muslimen in Deutschland ernsthaft darüber sprechen, dass religiöses Bekenntnis und religiöse Freiheit dort die Grenze haben, wo Grundnormen unseres Landes, unseres Verfassungs- und Rechtsstaatsverständnisses, das christlich-jüdisch und humanistisch geprägt ist, berührt werden. Dazu gehört vor allem Respekt. Mir reicht Toleranz nicht. Toleranz heißt ja nur „Ertragen“. Wenn ich jemand gerade noch ertrage und erdulde, ist mir das zu wenig. Ich erwarte Respekt. Ein Muslim darf niemanden in Deutschland verachten, wenn er christlichen oder jüdischen Bekenntnisses ist, auch nicht wenn er kein religiöses Bekenntnis hat. Umgekehrt haben wir Mitbürgern muslimischen Glaubens Respekt und Achtung im Hinblick auf ihr religiöses Bekenntnis entgegenzubringen.

Ist die konservative Seite selber schuld, dass sie den rechten Rand aufgelassen hat. Muss Merkel da bei Seehofer was abgucken?

Koschyk: Diese Debatte fängt immer an, wenn rechtspopulistische oder rechtsextreme Kräfte mehr Zulauf haben. Dabei wird völlig übersehen, dass die AfD ganz stark bei den Nichtwählern abgrast, sie grast in den neuen Ländern auch deutlich bei der Linken ab, sie grast bei der SPD ab.

Und bei der CDU.

Koschyk: Und bei der CDU. Die CDU ist immer gut beraten, wertkonservative Positionen nicht preiszugeben. Jetzt frage ich mich immer, wenn man diese Debatte führt, die CDU sei zu wenig konservativ, an welchen Punkten macht man es fest? Ich kenne von der Kanzlerin eindrucksvolle Bekenntnisse zu ihrer persönlichen, aber auch zur christlichen Grundprägung unseres Landes.

Sie sagen, Frau Merkel ist sehr konservativ. Da möchte man sagen, dann hat man’s nicht gemerkt. Da ist Seehofer sehr viel unmissverständlicher in seinen konservativen Äußerungen. Sie sehen bei Merkel kein Versäumnis?

Koschyk: Nein, ich sehe kein Versäumnis, weil ich unzählige wertkonservative Bekenntnisse von ihr persönlich miterlebt habe.

Stimmt mit der Demokratie etwas nicht, wenn die Leute das Falsche wählen? Ich rede nicht nur von Amerika, Erdogan ist ja auch gewählt worden, Orban ist gewählt worden, Putin, naja, gewählt worden.

Koschyk: Also in Russland glaube ich nicht an wirklich freie Wahlen. Und ich war gerade wieder in Ungarn. Ungarn ist weit von innenpolitischen Verhältnissen à la Türkei oder Moskau entfernt. In Ungarn funktioniert die mediale Auseinandersetzung, da gibt es eine funktionierende politische und zivilgesellschaftliche Opposition. So hat Orban die Volksabstimmung zum Thema Flüchtlinge eben gerade nicht gewonnen. Ungarn möchte ich ungern in einen gleichen Topf mit der Türkei oder Russland werfen. Wir haben in Deutschland ein Verhältniswahlrecht, das manchen auch zu kompliziert erscheint und das manchmal Mehrheitsbildung erschwert. Dieses Wahlrecht bedeutet, dass kleine, auch populistische Parteien sehr schnell auch Wahlerfolge haben und in Parlamenten vertreten sein können. Aber ich habe lieber ein solches Wahlsystem, als ein so fragwürdiges wie in den USA, bei dem jemand, der am Schluss keine Mehrheit hat, trotzdem Präsident ist.

Glauben Sie, dass es klug ist, wenn die Kanzlerin sich mit einem Besuch bei Trump zurückhält?

Koschyk: Die Kanzlerin twittert halt nicht, dass sie schon längst mit der US-Administration in Kontakt ist. Natürlich ist es richtig und notwendig, dass es baldmöglichst zu einer persönlichen Begegnung zwischen der deutschen Kanzlerin und dem neuen amerikanischen Präsidenten kommt. Aber die Kanzlerin und Deutschland müssen sich nicht anbiedern.

Es geht um Augenhöhe?

Koschyk: Selbstverständlich geht es um Augenhöhe. Ich würde erst einmal versuchen, sich europäisch abzustimmen. Kein europäisches Land wird etwas davon haben, wenn es jetzt um die Gunst des neuen US-Präsidenten buhlt.

Sind die 40 Prozent machbar, die Seehofer anpeilt?

Koschyk: Ich freue mich, dass die Union jetzt wieder bei 38 Prozent in nahezu allen Umfragen liegt.

Sie antworten nicht darauf?

Koschyk: Wissen Sie, wir dürfen uns nicht immer wechselseitig Stöckchen hinhalten.

Macht Seehofer aber.

Koschyk: Ich würde mich freuen, wenn es der CSU gelingt, dass sie in Bayern dann 50 Prozent bei der Bundestagswahl erreicht. Wenn die CSU 50 Prozent in Bayern bei der Bundestagswahl erreicht, dann sind 40 Prozent für die Union bundesweit sicher machbar.

Was muss Politik ändern, wenn man nicht nur das Stammklientel ansprechen will?

Koschyk: Politik muss den Bürgern anschaulich erklärt werden. Ich bin sehr für die Präsenz der Politik in den Social Communities, aber der traditionelle Frühschoppen, die regelmäßige Bürgersprechstunde, die Abendveranstaltungen, sind unverzichtbar. Vor Jahren habe ich gesagt: Machen wir mal keine trockene Politik-Veranstaltung mehr, sondern wählen ein Format „Wirtshaus-Politik mit Wirtshaus-Musik“. Da bin ich in Dorfwirtshäuser gegangen, in denen ich früher zehn oder fünfzehn Leute zu einer klassischen Versammlung gehabt hatte. Aber mit einer fränkischen Musik in einem schönen Wirtshaus war das Haus voll, und wir haben bis in die Nacht hinein über Politik geredet, weil Menschen in das Wirtshaus gegangen sind, die zu einer herkömmlichen politischen Versammlung nicht mehr gekommen sind. Social Communities sind wichtig, aber Wahlkampf nur mit Social Communities ist halbherziger Wahlkampf. Man muss schon auf direkte Tuchfühlung mit den Menschen gehen.

Sie klingen so, als würden Sie sich im Wahlkampf wieder einbringen, obwohl Sie nicht mehr kandidieren.

Koschyk: Ich werde meine designierte Nachfolgerin, die sich für die CSU um den Wahlkreis Bayreuth-Forchheim bewirbt, tatkräftig unterstützen, wo immer ich kann. Es war immer mein Wunsch, dass in diesem Wahlkreis für die CSU der Generationswechsel gelingt. Silke Launert ist gerade 40 Jahre alt geworden. Ich werde bei meinem Ausscheiden aus dem Bundestag in diesem Jahr 58 Jahre alt sein. In diesem Wahlkreis wird für die CSU erstmals eine Frau zur Wahl stehen. Für mich war die Förderung von Frauen in der Politik immer wichtig. In politisch allen Funktionen, die ich in den letzten Jahren abgegeben habe, sind mir immer Frauen nachgefolgt, als stellvertretender CSU-Bezirksvorsitzender, als CSU-Kreisvorsitzender und jetzt als Bundestagsabgeordneter.

Halten Sie Schwarz-Grün im Bund für akzeptabel, wenn es so käme?

Koschyk: Eine Mehrheit für Schwarz-Grün würde äußerst knapp sein. Aber die großen politischen Herausforderungen bleiben. Die Union wird sicher keinen Koalitionswahlkampf machen. Ich rate jedem in der jetzigen großen Koalition, sich im Wahlkampf nicht so auseinanderzuleben, weil nicht auszuschließen ist, dass man vielleicht wieder miteinander regieren muss.

Wäre das nicht schlimm: schon wieder eine große Koalition; da kriegt man die AfD ja gar nicht weg?

Koschyk: Man muss realistisch sein. Ich sage ganz offen, wenn Schwarz-Grün mit wenigen Mandaten die Mehrheit hätte und es auch die Möglichkeit einer großen Koalition gäbe, und keine Konstellation gegen die Union, dann würde ich eher eine große Koalition als Schwarz-Grün bevorzugen, weil eine solche Regierungskoalition weitaus stabiler ist.

Erika Steinbach ist aus der CDU ausgetreten, was halten Sie davon?

Koschyk: Ich finde es sehr schade. Ich bin mit Frau Steinbach zusammen in den Bundestag gekommen. Wir waren zusammen von Anfang an im Innenausschuss. Ich habe sie seinerzeit für die Vertriebenenarbeit im Bundestag gewinnen können. Bis zu ihrem Eintritt in den Bundestag hatte sie sich im Vertriebenenbereich nicht engagiert. Ich war Vorsitzender der Arbeitsgruppe Vertriebene und Flüchtlinge in der CDU/CSU-Fraktion und habe sie damals persönlich geworben, in dieser Gruppe Mitglied zu werden. Ich habe sie immer unterstützt. Auch vor unqualifizierten Angriffen aus dem In- und Ausland immer in Schutz genommen. Ich finde es schade, dass sie sich jetzt ausgerechnet an der Bundeskanzlerin so abarbeitet. Denn alles, was Frau Steinbach als Präsidentin des Bundesverbandes der Vertriebenen erreicht hat, hat sie nur mit Unterstützung der Bundeskanzlerin erreicht.

Frau Steinbach tritt wie eine AfD-Politikerin auf, wenn sie die Kanzlerin attackiert.

Koschyk: Ich frage mich, warum kommt man erst am Ende einer Legislaturperiode, wenn man für sich selber entschieden hat, nicht mehr für den Bundestag zu kandidieren, zu dem Entschluss des Parteiaustritts. Sie kritisiert ja auch sehr stark den Ausstieg aus der Kernenergie. Zu sagen, das Ganze wäre ein Alleingang von Frau Merkel und gegen das Recht gewesen, stimmt so nicht. Ich weiß nicht, wie viele Gesetze wir im Bundestag beschlossen haben, bei denen, glaube ich, auch Frau Steinbach bei allen mitgestimmt hat, um den Ausstieg aus der Kernenergie auch gesetzgeberisch zu vollziehen. Gerade auch wir als CSU wollten den Ausstieg aus der Kernenergie! Das war kein Alleingang von Angela Merkel!

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