Kein Polizist stirbt allein

Von Susanne Will
Ein Polizist geht am 19. Oktober in Georgensgmünd (Bayern) vor einem Haus entlang, in dem ein 49-Jähriger Angehöriger der Reichsbürger-Bewegung am Morgen bei einer Razzia auf vier Polizisten geschossen hatte. Einer der Polizisten ist an seinen schweren Verletzungen gestorben. Foto: Nicolas Armer/dpa Foto: red

Ein 32 Jahre alter Mensch ist tot. Es war kein Unfall, keine Krankheit. Der junge Mann wurde erschossen. Er war Polizist. Er hatte Familie, er hatte Freunde. Für diese Menschen ist es im Moment zweitrangig, dass ein sogenannter Reichsbürger abgedrückt hat. Vorrangig ist: Er ist nicht mehr da. Dieser Tod reißt nicht nur ein Loch, das nicht mehr zu schließen ist. Für diese Menschen ist dieser Tod mit dem Grand Canyon vergleichbar, der fortan ihr Leben in ein „davor“ und ein „danach“ teilen wird.

 
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Das ist die Angst aller Menschen, die familiär oder freundschaftlich mit Polizisten verbunden sind: dass ihnen im Dienst etwas passiert. Dass sie getötet werden.

Mein früherer Partner ist Polizeihundeführer. Wenn er zur Nachtschicht ging, zog er sich die grüne Haut über, der Mensch darunter blieb derselbe. Mir blieb das mulmige Gefühl.

Und die Erleichterung, wenn er ohne Kratzer zurückkam. Das klappte nicht immer. Gemessen an dem, was die Familie des erschossenen SEK-Beamten durchmacht, war das ein Witz. Aber als ihn ein Betrunkener mit einem abgeschlagenen Glas bedrohte, rutschte mir das Herz in die Hose.

Auch wenn er nachts anrief und das Gespräch unterbrochen werden musste, weil er zu einem Einsatz gerufen wurde. Beispielsweise Einbruchsalarm in den Supermarkt. Nichts Dramatisches, er habe ja den Hund dabei. Das hatte der Hundeführer auch, der 1998 in einem Supermarkt in Mannheim erstochen wurde – der Täter stach erst den Hund ab, dann den Menschen.

Mein früherer Partner ist seit 40 Jahren bei der Polizei. Geschossen hat er nur einmal - in die Luft. Er konnte immer alles verbal regeln; sich auf Augenhöhe begeben, beruhigen, deeskalieren. Dabei hilft die Erfahrung. Sie hilft aber nicht, wenn hinter einer geschlossenen Tür ein bewaffneter Mann steht, der sofort schießt.

Als mir meine Nichte, sie ist 20, vor gut eineinhalb Jahren eröffnete, sie gehe zur Polizei, konnte ich mich nicht richtig freuen. Gute Gründe wie eine sichere Rente wiegen für mich die latente, aber immer währende Gefahr nicht auf. Oder den Hass, der vielen Beamten entgegenschlägt. Polizisten werden angepöbelt, bespuckt, getreten, beschimpft, verletzt. Im schlimmsten Fall getötet.

Sie würde ihre Erfahrungen erst machen müssen – und die können schmerzhaft sein. Was ich hoffte: dass sie dennoch immer alles verbal regeln kann; dass sie sich auf Augenhöhe begibt, dass sie beruhigt, dass sie deeskaliert.

Was ich ihr sagen konnte: Ich wünsche dir, dass du nie schlechte Erfahrungen machen wirst. Ein frommer Wunsch, ein unrealistischer, natürlich.

Sie schwärmt von ihrem Job. Von der Gemeinschaft. Von der tollen Truppe, die sie glücklicherweise  erwischt hat. Von dem, was sie lernen darf. Wie sie auch helfen kann. Ich habe mich darüber gefreut. Und gehofft, die andere Seite würde ihr erspart bleiben.

Diese junge Frau saß in der Nacht zum Donnerstag am Bett des sterbenden SEK-Beamten. Sie kannten sich.

Es muss kaum auszuhalten gewesen sein.

Eltern, die die Entscheidung treffen müssen, die Maschinen, die den Sohn am Leben erhalten, abzuschalten. Freunde, die dabei bleiben, um den Todgeweihten nicht alleine zu lassen, um Trost zu spenden. Die rasende Trauer derer, die ihm näher standen.

Wenn ein Polizist getötet wird, dann stirbt er nie allein. Dieser Tod beschäftigt jeden Kollegen, dem in diesem Augenblick wieder klar wird, wie gefährlich sein Job von einer auf die andere Sekunde werden kann. Und alle Angehörigen, die davor Angst haben. Immer.