Jedes zweite Haus ist verseucht

Von Thorsten Gütling
Da steckt mit Sicherheit kein Wurm drin: Der Dachstuhl und andere Teile des Ahorntaler Rathauses wurden bei der Sanierung 1979 mit soviel giftigen Holzschutzmitteln behandelt, dass die Werte noch heute um das 200-fache überschritten werden. Bei Mitarbeitern der Verwaltung und Bürgermeister Gerd Hofmann (Foto) sind die Gifte sogar im Blut nachweisbar. Eher die Regel als die Ausnahme, sagt Rudolf Schnur. Er ist der Bundesvorsitzende der Interessengemeinschaft der Holzschutzmittelgeschädigten.Foto: Ralf Münch Foto: red

„Jedes zweite Haus in Deutschland ist verseucht.“ Das sagt Rudolf Schnur, der Bundesvorsitzende der Interessengemeinschaft der Holzschutzmittelgeschädigten. Nachdem im Rathaus der Gemeinde Ahorntal krebserregende Holzschutzmittel gefunden wurden, schätzt Schnur die Zahl derer, die in Deutschland aufgrund ähnlicher Fälle erkrankt sind, auf eine Million Menschen. Und Schnur sagt: „Die meisten wissen noch gar nichts davon.“

 
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Die Gifte, die im Ahorntaler Rathaus gefunden wurden heißen Lindan uns Pentachlorphenol, kurz PCP (der Kurier berichtete). Sie gelten als genauso krebserregend, wie das Gift Formaldehyd, das Rudolf Schnur krank gemacht hat. Und sie wurden genauso zwischen 1960 und 1989 in nahezu jedem Haus verwendet. Jahrelang hat Schnur in Freising für den Freistaat gearbeitet, in einem Gebäude, das mit Holzschutzmitteln verseucht war. Heute sagt er, könne er seine eigene Schrift nicht mehr lesen und habe beim Sprechen Probleme. Die Zahl derer, denen es ähnlich geht, schätzt Schnur auf eine Million. Und etwa drei Viertel davon wüssten noch nicht einmal, warum sie krank sind.

Probleme in Pfarr- und Forsthäusern

Joachim Weise ist Baubiologe aus Heinersreuth. Er ist einer der Sachverständigen, die Holz-, Luft- und Staubproben nehmen, wenn Menschen über Kopfschmerzen, Übelkeit und mangelnde Konzentrationsfähigkeit klagen. Und Weise sagt: Am häufigsten werde er in alte Pfarr- und Forsthäuser gerufen. In Gebäude also, in denen traditionell viel Holz verbaut wurde. Und in Fertighäuser der 70er Jahre, die gerade von vielen jungen Familien gekauft werden. Weise warnt: „Diese Häuser sind massiv belastet.“ Holzschutzmittel seien dort völlig übertrieben zum Einsatz gekommen. Aus Angst, der Holzwurm könnte die Dachstühle zum Einsturz bringen, seien die Mittel lange Zeit sogar Vorschrift gewesen. Weise spricht von einer Mode in der Baubranche. Einer Mode, die zwar seit 1989 verboten ist, und dennoch noch 40 Jahre später gegenwärtig ist. Weil das Holz die giftigen Stoffe noch immer frei setze. Mit immernoch der gleichen Intensität wie kurz nach dem Auftragen, sagt Schnur.

Gift im Blut

Warum, wie im Beispiel Ahorntal, dann bei früheren Untersuchungen keine Giftstoffe im Blut der Betroffenen gefunden wurden, erklärt der Vertreter der Geschädigten so: Weil der Sachverständige dem Arzt die falschen Vorgaben gemacht habe. „Der Arzt hat daraufhin Gräten in Tomaten gesucht und keine gefunden“, vermutet Schnur. Experten auf dem Gebiet der Vergiftungen gebe es in Deutschland nur eine Hand voll. „Wem der Weg zu denen zu weit ist, der hat keinen echten Leidensdruck“, sagt Schnur.

Experte rät zu Staubproben

Der Sachverständige Joachim Weise rät zu Untersuchungen im Haus. Dabei würden drei Staubproben genommen, die zusammen rund 1000 Euro kosteten. Dafür werde aber auch nicht nur auf die Giftstoffe PCP und Lindan getestet, sondern auf insgesamt 14 Holzschutzmittel. Erst wenn diese Proben auffällig seien, kämen kostspieligere Raumluft- und Materialuntersuchungen dazu. Der Geschädigtenvertreter Schnur rät allen Beschäftigten: „Im Verdachtsfall hat jeder ein Recht auf Überprüfung der Schadstoffbelastung.“ Und niemand könne gezwungen werden, das verseuchte Gebäude weiter zu betreten.

Untersuchungen in Hollfeld und Creußen

Mittlerweile haben die PCP- und Lindan-Funde im Ahorntaler Rathaus Reaktionen in anderen Gemeinden hervorgerufen. So hat die Stadt Hollfeld Proben in ihrem Rathaus in Auftrag gegeben, auch in Creußen beantragte Stadträtin Renate van de Gabel-Rüppel eine Überprüfung.

Der Landkreis prüft

Bei drei Pfarrhäusern musste das Staatliche Bauamt wegen Verseuchung durch Holzschutzmittel bereits tätig werden: in Plech, Emtmannsberg und Weidenberg. Mittlerweile sind für die Pfarrhäuser aber die Kirchengemeinden zuständig. Die Gebäude, die dem Landkreis gehören, wurden in den Jahren 1990 und 1991 auf Holzschutzmittel untersucht. Belastete Boden- und Wandverkleidungen seien daraufhin ausgetauscht worden.

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