Bier: "Brauchen ein Natürlichkeitsgebot"

Von Norbert Heimbeck
 Foto: red

Reinheitsgebot, Glyphosatbelastung, Kreativbrauer, Craft Beer - durch die Brauerbranche wirbelt derzeit ein gewaltiger Sturm. Oliver Wesseloh, von 2013 bis 2015 Weltmeister der Bier-Sommeliers und Inhaber der Kehrwieder-Brauerei in Hamburg, ist einer der Pioniere der Craft-Beer-Bewegung. Am Samstag ist er Gast bei einer Podiumsdiskussion zum Reinheitsgebot im Liebesbier. Im Kurier-Interview plädiert er für ein Natürlichkeitsgebot und erklärt, warum Craft Beer mehr ist als nur ein vorübergehender Trend.

 
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Die Glyphosat-Studie ist kein Grund, das Reinheitsgebot in Frage zu stellen. Aber dieses Gebot ist für Sie nicht mehr zeitgemäß?

Oliver Wesseloh: Die Brauerei Camba Bavaria stellt ein Milk Stout her, das in Deutschland wegen seiner Rohstoffe als nicht verkehrsfähig eingestuft wurde (Anm. d. Red.: Seit Mittwoch gibt es noch ein zweites, Camba darf auch sein Coffee Porter nicht mehr als Bier verkaufen.). International ist dieser Bierstil anerkannt, ausländische Brauer dürfen jedoch solche Produkte bei uns verkaufen. Das versteht kein Mensch.

Bereits 2005 urteilte das Bundesverwaltungsgericht in einem ähnlichen Fall: "Ob dieses Reinheitsgebot verfassungsrechtlich zu rechtfertigen ist, ist umstritten. Seinen rechtfertigenden Grund findet es nicht in den Regeln des Gesundheitsschutzes, sondern allein in der Pflege einer kulturellen Tradition." Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis jemand die deutschen Regelungen vor den Europäischen Gerichtshof trägt. Aber muss es wirklich soweit kommen? Jetzt, wo Bier gerade wieder die Wertigkeit bekommt, die es verdient.

Wir brauchen eine Entwicklung hin zu einem Natürlichkeitsgebot. Es sollten alle natürlichen und für den menschlichen Genuss geeigneten Rohstoffe für die Bierproduktion zugelassen werden. Künstliche Hilfsmittel, die nur der Kostensenkung dienen, sollten nicht mehr zugelassen sein. Dann hätten wir ein echtes Reinheitsgebot, auf das wir zu Recht stolz sein könnten.

Auch in Oberfranken steht immer öfter  der Begriff „Craft Beer“ auf der Flasche – was heißt das genau?

Wesseloh: Meiner Ansicht nach müsste eine Craft Beer Brewery/Kreativbrauerei die folgenden Kriterien erfüllen:

Inhabergeführt: Die Brauerei sollte inhabergeführt und der Hauptanteilseigner sollte aktiv am Tagesgeschäft beteiligt sein. 

Transparenz: Alle verwendeten Roh- und Hilfsstoffe werden klar und detailliert benannt, der Brauort wird angegeben, ebenfalls die Teilhaber an dem Unternehmen, auch bei verschachtelten Beteiligungsgesellschaften. Denn Transparenz schafft Authentizität. 

Vielfalt: Ein kreativer Brauer schließt keine Lieferverträge. Wir stehen alle dafür, dass die Konsumenten möglichst viele verschiedene Bierstile probieren, um daran Freude zu finden. Eine Brauerei, die Gastronomen per Liefervertrag vorschreibt, nur die eigenen bzw. Biere aus dem eigenen Lieferverbund zu verkaufen, verhindert Vielfalt. 

Natürlichkeit: Ein Kreativbrauer nutzt nur natürliche, nicht genmanipulierte Rohstoffe. Dazu können auch Früchte, Kräuter oder Gewürze gehören, aber definitiv keine Extrakte oder künstlichen Rohstoffe. Alle Zutaten und Verfahrensschritte dienen primär nur dem Geschmack und nicht der künstlichen Verlängerung der Haltbarkeit. 

Ist Craft Beer nur ein kurzlebiger Trend? Wohin entwickelt sich die Bierkultur in Deutschland?

Wesseloh: Ein Trend geht irgendwann zu Ende. Kreativbier ist mehr als nur ein Trend. Immer mehr Menschen haben genug von der 'Geiz-ist-geil-Mentalität' und achten wieder mehr darauf, wo die Nahrungsmittel herkommen, die sie zu sich nehmen. Das gilt auch für Bier -  es wird lieber ein geschmacksintensives Bier mit Genuss getrunken, als drei austauschbare Massenbiere.

Sie selbst waren als Wander-Brauer häufiger Gast in anderen Brauhäusern. Jeff Maisel macht sich stark für eine „neue Freundschaft“ unter den Brauern. Ist das die Zukunft?

Wesseloh: Für uns ist das auf jeden Fall die Zukunft. Wir arbeiten eng mit Kollegen zusammen - wir tauschen uns aus, brauen Gemeinschaftssude, helfen einander. Uns sind Lieferverträge fremd und keiner von uns würde auf die Idee kommen, sein Bier exklusiv in einem Laden oder Lokal unterzubringen, denn uns allen liegt die Biervielfalt am Herzen, und die kann eben nur gemeinsam erreicht werden und nicht durch einen Verdrängungswettbewerb. 

Diskussion: Muss das Reinheitsgebot reformiert werden?

Die Diskussionsrunde zum Reinheitsgebot bei Maisel & Friends am Samstag um 16 Uhr, bei der Oli Wesseloh teilnimmt, findet im Rahmen des ersten Bayreuther "Bockbier meets Craft Beer"-Tag statt. Ab 11 Uhr geht es rund ums Bier. Mehr Informationen dazu hier und hier.

Zur Person: Oliver Wesseloh ist Gründer der Hamburger Kehrwieder-Brauerei und war von 2013 bis 2015 Weltmeister der Bier-Sommeliers. Er hat mehrere Jahre in Nordamerika und in der Karibik in der Brauereibranche gearbeitet, ehe er nach Deutschland zurückkehrte.

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