Abschied von Mount Rushmore

Von Michael Weiser

Das war's: Frank Castorfs faszinierende und kontroverse „Ring“-Inszenierung ist Geschichte. Zu weiten Teilen zumindest. Was schon weg ist, und was bleibt: Wir blicken zurück auf eine besondere Festspielsaison.

 
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Der „Ring“ hatte gerade erst begonnen, zum allerletzten Mal so, wie Frank Castorf ihn sah – da wurde er schon demontiert. Aufmerksame Zeitgenossen konnten schon am Morgen nach dem finalen „Rheingold“ in den Werkstätten am Festspielhaus ein Hämmern, Krachen, Splittern und Kreischen hören. Denn da hatten die Techniker schon begonnen, die Tankstelle an der Route 66 zu zerlegen. So schnell geht’s bei der flüchtigen Kunstform des Theaters, in Bayreuth zumal, wo ja seit Wolfgang angeblich alles Werkstatt und jedenfalls nichts Museum sein soll.

Melancholie und Erleichterung

Ein letztes Mal „Ring“. Frank Castorf hatte sich zu Beginn der Spielzeit betont gelassen gegeben, er philosophierte lediglich über die „sportive Leistung“, die es bedeutet habe, den Vierteiler in Bayreuth zu stemmen – „und das mit so vielen Umbesetzungen“. Ja, eine sportliche Leistung, anstrengend wie nur irgendwas. Andere freilich gaben auch zu, ein bisschen Traurigkeit zu empfinden. So wie Patric Seibert, Castorfs Regie-Assistent.

Die Festspiele 2017: Unsere Kritiken

 

In all den fünf Jahren war er in in jedem der vier Teile irgendwann auf der Bühne aufgetaucht, und das in mancherlei Rollen, vor allem aber als lebendes Zitat und insgesamt der geschundene kleine Mann. „Das Gefühl schwankt zwischen Melancholie und Erleichterung“, sagte Seibert. „Es war schon eine ganz besondere und einzigartige Erfahrung. Ich glaube, der Abschied würde noch schwerer fallen, wenn wir nicht wüssten, dass es in der kommenden Saison nochmals eine kleine Verlängerung gibt.“

Keine einfache Geschichte

Womit wir bei der Frage wären, was bleibt – vom „Ring“, von Castorfs Zumutungen, von der monumentalen Wucht der Bilder, vom Charme des Unvollendeten. Fragen? Ja natürlich, die bleiben. Die Frage zum Beispiel, warum ganz am Ende ein bisschen gezündelt wird, die Wallstreet aber nicht im Tosen der Flammen untergeht. Wie es unser Kritiker Florian Zinnecker ausdrückte: Warum „die Figuren auf der Bühne in den entscheidenden Momenten nicht der Geschichte folgen, die die Musik erzählt, wenn sie selbst das Gegenteil von dem tun, was sie in dem von ihnen gesungenen Text zu tun behaupten“. Es ist schon so, man mochte den Castorf-„Ring“, oder man mochte ihn nicht. Faszinierend war diese Inszenierung allemal. Ganz am Ende durfte man sich auch fragen, ob Frank Castorf wirklich so grummelig ist, wie es wirkt. Immerhin verbeugte er sich nach der ersten „Götterdämmerung“ in seinem letzten „Ring“-Jahr. Eine Premiere war das, fast war man gerührt.

Vielleicht war es der Denic-"Ring"

Es bleibt – tatsächlich nichts vom Bühnenbild. Es wird wohl alles den Weg alles Irdischen gehen, Festspielesprecher Peter Emmerich zumindest wusste niemanden, nicht öffentliche Institution noch privater Sammler, der sich mit Bühnenbildner Aleksandar Denic geeinigt und etwa den Mount Rushmore mit Marx, Lenin, Stalin und Mao erstanden habe. „Das ist natürlich einerseits traurig. Auf der anderen Seite hättest du halt irgendwann einen Jurassic Park des Theaters.“ Dennoch, auch wenn alles zerschreddert oder recycelt wird: Vielleicht wird man sich an diesen „Ring“ auch mal als den „Denic-Ring“ erinnern.

Fast schon ein Wunderjahr: Ein einziger Zwischenfall

Es bleibt: Die von Seibert angesprochene kleine Verlängerung. Die „Walküre“ wird’s 2018 noch dreimal geben, mit Catherine Foster als Brünnhilde. Dirigieren wird allerdings nicht Marek Janowski, sondern Weltstar Placido Domingo.

Und es bleibt – die Erinnerung an einen der kurioseren Zwischenfälle der vergangenen Jahre, schmerzhaft für Brünnhilde Foster, befremdend für den Regie-Assistenten Andreas Rosar, der einsprang und das goldglänzende Paillettenkleid der Walküre in Ehren trug. Es war übrigens der einzige wirklich auffällige Zwischenfall, weswegen 2017 als annus mirabilis, als Wunderjahr in die Festspiel-Chroniken eingehen könnte: Kein Skandal – wo und wann gab’s denn so was?

INFO: Der „Ring“ also ist (größtenteils) Geschichte, den Vierteiler gibt’s erst 2020 wieder. Was wir über 2018 wissen: Yuval Sharon wird den neuen „Lohengrin“ inszenieren, für die Bühne zeichnet das Künstlerpaar Neo Rauch und Rosa Loy verantwortlich. Was feststeht: Anja Harteros als Elsa, und Robert Alagna singt die Partie des Schwanenritters. Günther Groissböck als Gurnemanz im „Parsifal“? Nicht offiziell bestätigt.