„Zahlen müssen am Ende die Bürger“

Manfred Miosga ist Professor für Stadt- und Regionalentwicklung an der Universität Bayreuth. Foto: Eric Waha Foto: red

Der Entwurf des neuen Landesentwicklungsprogramms stößt auf Kritik - Experten fürchten Zersiedelung, Umweltprobleme und mehr Pendler. Ein Interview mit Manfred Miosga von der Uni Bayreuth.

 
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Herr Miosga, Heimatminister Söder verspricht sich von der Lockerung des Anbindegebots wirtschaftlichen Aufschwung für den ländlichen Raum. Teilen Sie die Hoffnung?

Manfred Miosga: Nein. Wir haben im ländlichen Raum ein Struktur- und kein Flächenproblem. Die Ausweisung zusätzlicher Gewerbeflächen alleine wird insbesondere in den Räumen mit besonderen demografischen und strukturellen Herausforderungen die Probleme nicht lösen.

Ist es kein Vorteil, wenn Gemeinden mehr planerischen Freiraum bekommen?

Miosga: Grundsätzlich befürworte ich die Planungshoheit der Gemeinden. Aber es gibt aus guten Gründen eine übergeordnete Landes- und Regionalplanung. Der Staat hat eine Verpflichtung, im Dialog mit den Gemeinden dafür zu sorgen, dass deren Eigeninteressen nicht dem Gemeinwohl widersprechen.

Die Lockerung des Anbindegebots trägt dem nicht Rechnung?

Miosga: Nein, weil sich der Staat damit aus seiner übergeordneten Planungsverantwortung zurückzieht. Er überlässt die Ausweisung von Gewerbegebieten fast völlig dem freien Spiel der Kräfte. Das ist ein Dammbruch. Vor allem finanzschwache Kommunen werden in einen Wettlauf um das günstigste Gewerbegebiet gedrängt. Sie gehen damit unter erheblichen Kosten in Vorleistung, ohne sichere Aussicht auf Erfolg. Zahlen müssen das am Ende die Bürger.

Es soll aber die Absprache zwischen benachbarten Kommunen gestärkt werden. Bringt das nichts?

Miosga: Das ist durchaus sinnvoll. Aber auch dafür wäre eine übergeordnete Regionalplanung hilfreich, um die geeignetsten Standorte zu finden. Die LEP-Vorlage überlässt das aber dem Zufall, wo sich Gemeinden auf einen gemeinsamen Standort einigen. Dazu kommt noch, dass das Gebot zur möglichst flächensparenden Planung über Bord geworfen wird.

Herr Söder glaubt nicht, dass mehr Flächen ausgewiesen würden. Die Nutzung würde sich nur anders verteilen.

Miosga: Das wäre dann richtig, wenn mit der Lockerung des Anbindegebots verbunden wäre, bereits ausgewiesene Flächen an anderer Stelle zurückzunehmen. Im aktuellen Entwurf werden aber nur die Dämme für mehr Ausweisungen geöffnet.

Was sind die Auswirkungen auf die Landschaft in Bayern?

Miosga: Die Zersiedelung wird weiter zunehmen, der Flächenverbrauch weiter steigen. Schon heute ist es so, dass der Flächenverbrauch pro Kopf in den ländlichen Regionen stärker zunimmt als in den Ballungsräumen. Das wird sich noch verschärfen. Herr Söder verkennt die Wertigkeit von Freiflächen als ein hohes Gut. Wir brauchen diese zur Trinkwasserneubildung, zum Hochwasserschutz, zur Nahrungsmittelproduktion, für nachwachsende Rohstoffe, als Lebensräume für Tiere und Pflanzen, zur Erholung und schlicht zum Erhalt unserer schönen Landschaft.

Sind das Ihre Vermutungen oder können Sie das belegen?

Miosga: Da reicht der Blick in die Flächenverbrauchstatistik. In den vergangenen Jahrzehnten ist der Flächenverbrauch deutlich stärker gestiegen als das Wirtschaftswachstum und die Bevölkerungszahl.

Herr Söder nennt Behauptungen Unsinn, dass Bayern zugepflastert sei.

Miosga: Das ist eine mutige Interpretation der tatsächlichen Verhältnisse. Und das neue LEP würde gerade im ländlichen Raum für zusätzliche Inanspruchnahme von Flächen sorgen.

Welche Bausteine bräuchte es, um die Überhitzung der Ballungsräume zu bremsen und ländliche Räume zu stärken?

Miosga: Dazu braucht es vor allem leistungsfähige und finanziell gut ausgestattete Kommunen im ländlichen Raum, die in der Lage sind, für attraktive Lebensverhältnisse für Menschen und Unternehmen zu sorgen. Dazu gehören eine gute Infrastruktur, Bildungseinrichtungen, Freizeit- und Kulturangebote, Daseinsvorsorge für Familien wie ältere Menschen und eine hervorragende Breitbandausstattung. Die Digitalisierung eröffnet auch Chancen für neue Geschäftsideen im ländlichen Raum.

Mit der LEP-Fortschreibung würde also nicht Söders Hoffnung eintreten, dass Pendlerströme weniger werden?

Miosga: Das sehe ich überhaupt nicht, weil die Ausweisung zusätzlicher zentraler Orte keine Konzentrationswirkung im ländlichen Raum erzeugt, die ein besseres Zusammenführen von Wohnen und Arbeiten ermöglichen würde. Ich glaube eher, dass mit dem neuen LEP die Pendlerbewegungen noch disperser und vielfältiger würden.

Wie beurteilen Sie die geplante Zulassung von Tourismusprojekten auf der grünen Wiese?

Miosga: Das dient aus meiner Sicht allein der Förderung kommerzieller Großprojekte, die in der Regel von international tätigen Investoren errichtet werden. Da erkenne ich keine regional-ökonomischen Effekte. Ich befürchte eher, dass diesen Projekten gerade die qualitätsvollen und naturnahen Landschaften geopfert werden. Riesige Freizeitparks sind für mich kein zielführendes Mittel der Strukturförderung.

Wie sollte man mit der LEP-Fortschreibung umgehen?

Miosga: Ich würde Sie zurückziehen und stattdessen mit den Fachverbänden für die Struktur- und Regionalentwicklung und den wichtigen gesellschaftlichen Gruppierungen darüber diskutieren, was Landesplanung für die Zukunft bringen soll. Da müssen ökologische, ökonomische und soziale Aspekte gleichberechtigt berücksichtigt werden. Diese LEP-Fortschreibung tut das nicht.

Das Gespräch führte Jürgen Umlauft

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