Die Berliner Philharmoniker hatten bereits vor sechs Wochen eine Dirigentenwahl anberaumt, sich aber in insgesamt zwölf Stunden nicht auf einen neuen Chef einigen können. Christian Thielemann war als Favorit ins Rennen gegangen, offenbar aber bei einem Teil des Orchesters auf Widerstand gestoßen. Spekulationen und Gerüchte, er sei eine treibende Kraft hinter dem Hügelverbot für Festspielleiterin Eva Wagner-Pasquier gewesen, dürften seine Aussichten beim Wahlgang in der Dahlehmer Jesus-Christus-Kirche nicht verbessert haben.
Thielemanns Gegenmodell
Nun haben sich die Berliner quasi für das Gegenmodell entschieden. Während Thielemann die Öffentlichkeit durchaus nicht scheut und bestimmend auftritt, gilt Petrenko als öffentlichkeitsscheu und sehr zurückhaltend. Das Markenzeichen des nur 1,60 Meter großen Maestro ist das verschmitzte, gleichwohl schüchterne Lächeln.13 Jahre jünger als Thielemann, hat er in der Verbindung von Analyse und Frische Meisterschaft erreicht.
Die Vertreter seines künftigen Orchesters lobten Petrenkos bodenständige, akribische Art. Petrenko sei bescheiden, konzentriere sich allein auf Werk und Partitur, nicht aber auf den Rummel um seine Person, sagte Peter Rieglbauer. Am Abend aber, beim Konzert, könne Petrenko den Saal in "wunderbarer Weise" verwandeln. Von Von einem Wunschkandidaten sprach auch Orchestervorstand Ulrich Knörzer. Normalerweise frage sich das Orchester, ob es einen Dirigenten wieder einlade oder nicht? Petrenko habe zwar nur dreimal in Berlin dirigiert. "Doch bei ihm haben wir uns nur gefragt, wann laden wir ihn wieder ein?"
Äußerst erfreut äußerte sich der Solo-Oboist der Philharmoniker, Albrecht Mayer. "Ich kenne Kirill schon sehr lange, seit Meiningen", sagte der Bamberger dem "Kurier". Zweimal habe Petrenko ihn eingeladen, zu sehr anspruchsvollen Programme: "Es war unglaublich schön, sehr viel Detailarbeit, aber auch menschlich sehr angenehm. Ich kann nur in den höchsten Tönen schwärmen." Petrenko sei weit entfernt, der Öffentlichkeit zu schmeicheln, er sei zurückhaltend, aber auch "unglaublich herzlich". Mayer, der seine Laufbahn als Weltstar bei den Bamberger Symphonikern begonnen hatte, sagte: "In seiner Art, bei der Arbeit unbedingt dranzubleiben, ist ein Hauch von Carlos Kleiber."