Wohnen, wo einst Humboldt forschte

Von Thorsten Gütling
Der Schlossherr und sein Haus: 2003 haben Hartmut Koschyk und seine Frau Gudrun das Goldkronacher Schloss gekauft. Welche Herkulesaufgabe mit dem Kauf des Schlosses einher ging, bemerkten Koschyks erst später. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Zugemauerte Torbögen und längst vergessene Zimmer. Eine Treppe, die ins Nirgendwo führt. Im Keller die Spuren von Millionen Jahren Erdgeschichte. 673 Jahre alt ist das Haus, das seine Bewohner vor Rätsel stellt. Hartmut und Gudrun Koschyk wohnen im Schloss Goldkronach.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Dieses Haus hat kein Fundament. Wer im Keller steht, der kann die Fränkische Linie an den Wänden sehen: die Gesteinsbrüche tief im Boden, die vom Druck des afrikanischen auf den europäischen Kontinent zeugen.

Darauf erheben sich schwere Mauern, in zwei Reihen hintereinander, zusammen 1,80 Meter dick. Der Zwischenraum ist aufgefüllt mit Geröll und Schutt. Massiver kann ein Haus kaum sein. Es ist ein Relikt goldener Zeiten – buchstäblich. Als Goldkronach für seinen Goldabbau weltbekannt war. In dem Schloss saßen die ersten Amtsmänner und verwalteten den aufstrebenden Ort. Doch so massiv das Haus wirkt: Vor zwölf Jahren stand es vor dem Einsturz.

Als Hartmut und Gudrun Koschyk das Schloss 2003 kaufen, bekommen sie eine Wundertüte. Geschichte und Zustand des Hauses sind kaum bekannt. Frühere Besitzer hätten die Denkmalschützer nicht ins Haus gelassen, sagt Koschyk. Erst nach mehreren Gutachten, da ist das Haus längst ihres, wird klar: Die Wände halten dem Druck des feuchten, modrigen Gerölls nicht mehr lange Stand. Stahlseile müssen die Wände stabilisieren.

Irgendwann im 17. Jahrhundert muss das Haus um ein weiteres Stockwerk aufgestockt worden sein. Dabei muss Feuchtigkeit ins Gebälk gekommen sein. Weil Hölzer mehrfach übermalt und Wände falsch verputzt wurden, bleibt die Feuchtigkeit drin. Dazu kommt: Rund um das Schloss ranken gut 60 Fichten und Tujas. Je höher sie werden, desto weniger Licht und Wärme fallen auf das Schloss. Koschyks lassen die Bäume fällen. Ein Statiker versichert: Um dort überhaupt jemals wieder wohnen zu können, muss die Statik des Hauses neu ausgerichtet, das Schloss also entkernt werden. „Ich brauchte eine Aufgabe, etwas zu tun“, sagt Gudrun Koschyk auf die Frage, warum sie sich das angetan hat.

Während Hartmut Koschyk im Bundestag sitzt, schleppt Ehefrau Gudrun den Müll nach außen: 13 Nachtspeicheröfen, Asbest, Ölkanister und Autoreifen. „Seit dem Krieg hatte niemand mehr etwas hinausgetragen“, sagt sie.  Sie sagt aber auch: „Immer neue Geschichten zu entdecken, hat für vieles entschädigt.“ Unter abgehangenen Holzdecken kommt uralter Stuck zum Vorschein. Unter etlichen Lagen Holz, Lehm, Stroh und PVC der Boden aus dem Mittelalter. Hinter dickem Putz werden die Umrisse zugemauerter Türstöcke sichtbar. Kurze Zeit später stehen Koschyks in Zimmern, die wahrscheinlich seit 300 Jahren kein Mensch mehr betreten hat.

Im Schloss ist es kühl. Die Luft ist feucht. „Hier zu leben ist etwas anderes als in unserer früheren Mietwohnung“, sagt Gudrun Koschyk. Im T-Shirt werde man sie hier nicht sitzen sehen, sagt ihr Mann. Eher noch mit Jacke. „Um hier halbwegs mit dem Heizen klarzukommen, müssen sie sich genau überlegen, wann sie welches Fenster und welche Tür öffnen“, sagt Gudrun Koschyk. „Sonst sind Sie arm dran, auch finanziell.“ 320 Quadratmeter Wohnfläche, alte, große Fenster und 4,20 Meter hohe Decken haben ihren Preis.

„Im Schloss leben heißt mit Kompromissen leben“, sagt Gudrun Koschyk. Stelle man einen Schrank unten bündig an die Wand, stehe er oben zentimeterweit davon ab. Und beim Hinabsteigen der ausgetretenen alten Holztreppen müsse man aufpassen, sich nicht den Fuß zu verknacksen.

„Das Schloss war immer ein Funktionsgebäude“, sagt Hartmut Koschyk. Mal Verwaltungssitz, mal Tabakfabrik, mal Steinhandel, zuletzt Zahnarztpraxis. „Die Geschichten der Vorbesitzer sind für uns gar nicht so wichtig. Die Bedeutung dieses Hauses ist nur in Verbindung mit der Geschichte Goldkronachs zu sehen.“

Wichtige Menschen gingen darin ein und aus. Der Bekannteste: Alexander von Humboldt. Als 22-Jähriger, gerade den Uniabschluss in der Tasche, kam er 1792 nach Goldkronach, um das Berg- und Hüttenwesen in der damals neuen preußischen Provinz Ansbach-Bayreuth zu überwachen und in die Gewinnspur zurückzuführen. Zum Arbeiten kam er unter anderem in das Schloss.

„Das Schönste hier ist der unverstellte Blick in die Weite“, sagt Hartmut Koschyk. Und das damit verbundene Gefühl für Tages- und Jahreszeiten.

Das Ehepaar erzählt: Zwölf Jahre, nachdem sie ihre drei damals jugendlichen Kinder aus der vertrauten Bindlacher Umgebung rissen, hätten die Eltern endlich das Gefühl, dass sich die Kinder wohl im Schloss fühlten. Hartmut Koschyk sagt: „Das größte Kompliment ist, dass wir aus einer Ruine für uns und die Kinder ein Zuhause gemacht haben.“

Bilder