Wie Berufungsrichter Werner Kahler mit Oliver N. umgeht – Berufungen verworfen Der "Reichsbürger" trifft das Gesetz

Von Manfred Scherer
Foto: Britta Pedersen dpa-Archiv Foto: red

Es war das Aufeinandertreffen zweier Männer, die unterschiedlicher nicht sein können: Unten „Reichsbürger“ Oliver N. als Angeklagter. Oben der Vorsitzende Richter Werner Kahler. Der eine glaubt nicht ans Recht. Der andere verkörpert es in Bayreuth wie kaum ein anderer.

 
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Kahler macht seit Jahren Strafrecht und hat einen der ernsthaftesten und wichtigsten Posten in der Justiz. Als Vorsitzender der Berufungskammer hat er erstinstanzliche Urteile zu prüfen.

So auch jenes, das das Schöffengericht unter Vorsitz von Torsten Meyer am 6. Juni gegen Oliver N. verhängt hatte: Neun Monate Haft ohne Bewährung für einige für einen „Reichsbürger“ typische Delikte: Er hatte auf Facebook den Holocaust geleugnet, Hakenkreuze gepostet, Oberbürgermeisterin Brigitte Merk-Erbe, die seiner Meinung nach die Bürger der Stadt nicht pflichtgemäß über die Unwirksamkeit deutscher Dokumente aufklärt, als „Schlampe“ bezeichnet. Er hatte einen Gefängnisbediensteten zu unrecht einer Straftat bezichtigt und einen sehbehinderten Staatsanwalt als „Blindgänger“.

Die übliche lässige Art zieht nicht

Der 50-jährige Oliver N. drang mit seiner üblichen, rechthaberischen und etwas lässigen Art bei Kahler nicht durch. „Setzen sie sich aufrecht und sprechen sie ins Mikrofon“. Ein solcher Satz, von jemand anderem gesagt, könnte Oliver N. schon wütend machen. Werner Kahler aber kann einen solchen Satz so sagen, dass Oliver N. Kahlers Aufforderung Folge leistete.

Und er leistete nur bedingt jenen Widerstand, den er schon öfter vor Gericht exerziert hatte: Diskutieren, Widersprechen, Dazwischenreden. Kahler diktierte beim ersten Dazwischenreden zu Protokoll: „Der Angeklagte wird ermahnt, dass in diesem Sitzungssaal der Vorsitzende die Verhandlung führt. Beim nächsten Zwischenruf wird Ordnungsgeld verhängt.“

Kahler erläuterte sodann den Sinn des Berufungsverfahrens: Staatsanwaltschaft und Verteidiger hatten gegen das Ersturteil Berufung eingelegt, die Berufung jedoch jeweils auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Damit standen Sachverhalt und Schuldspruch im Berufungsprozess nicht mehr zur Debatte, nur noch die Höhe der Strafe. Oliver N., der protestierend sagte, er sei nicht schuldig, wurde von Verteidiger Johannes Driendl gebremst: „Sie haben in erster Instanz gestanden, sogar gesagt, dass sie sich bei der Oberbürgermeisterin entschuldigt haben.“

Wie Oliver N. aus der Spur geriet

In der Berufungsverhandlung kam erneut zur Sprache, wie Oliver N. aus der Spur geriet: Wie er Probleme mit Freundin und Bruder bekam, sich zu unrecht von Polizei und Justiz verfolgt und von seiner Bank betrogen fühlte. Wie er in desolater psychischer Lage eine Auszeit in Brasilien suchte und dort in einer deutschen Kolonie von obskuren Theorien der die Rechtsordnung ablehnenden „Reichsbürger“ infiziert wurde. Das zeigte sich wieder im Prozess: Oliver N.’s Hinweis, dass die Strafprozessordnung nicht mehr gelte, konterte Kahler mit: „In diesem Gerichtssaal schon.“

Die Berufungskammer verwarf sowohl die Berufung der Staatsanwaltschaft als auch die des Verteidigers Johannes Driendl. Der über 70-Jährige Driendl sagte im Plädoyer: „Es fällt mir schwer, sie im Punkt der Holocaustlüge zu verteidigen. Ansonsten sollen sie auch künftig ihre Meinung sagen. Aber ohne Beleidigungen. Wenn sie fair bleiben, kriegen sie weiter von mir Rückendeckung.“

Die wird Oliver N. brauchen, denn er wird Kahler wiederbegegnen: Dann wird auf die Berufung der Staatsanwaltschaft der Fall der Brandanschlags auf den Sender am Oschenberg verhandelt. Oliver N. war von diesem Vorwurf am 25. Juli aus Mangel an Beweisen freigesprochen worden.

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