Wer Geld hat, hat immer bessere Medizin

Von Peter Rauscher
Der Bayreuther Gesundheitsökonom Prof. Volker Ulrich hält nichts von einer Bürgerversicherung. Foto: red Foto: red

Die SPD-Forderung nach Einführung einer Bürgerversicherung, um die Ungleichbehandlung von Kassen- und Privatpatienten zu beenden,  gilt als  einer der Knackpunkte bei den Sondierungsverhandlungen zwischen Union und Sozialdemokraten für eine Regierungsbildung in Berlin. Der Bayreuther Gesundheitsökonom  Prof. Volker Ulrich glaubt: Zwei-Klassen-Medizin lässt sich nicht verhindern.   

 
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Was wäre eigentlich so schlecht, wenn wir eine Bürgerversicherung bekommen würden?

Volker Ulrich: Nichts wäre schlecht - wenn die Bürgerversicherung das halten würde, was sie verspricht:  ein Ende der Zwei-Klassen-Medizin und eine bessere medizinische Versorgung. Aber das tut sie nicht. Die Bürgerversicherung löst aus meiner Sicht keines der Probleme, die die Krankenversicherung  bald lösen muss. Im Gegenteil: Sie würde ein System, mit dem die Menschen relativ zufrieden sind, zerstören. Am Ende könnten wir eine schlechtere Versorgung haben als vorher. Ich habe übrigens noch nirgendwo gelesen, wie der Übergang zur Bürgerversicherung ablaufen soll. Wenn wir den Privaten Krankenversicherungen den Nachwuchs abschneiden, was passiert dann mit diesen Versicherungen, den schon lange dort Versicherten und ihren Altersrückstellungen?

 

Hat die SPD nur eine Neiddebatte angezettelt?

Ulrich: Es ist viel Ideologie im Spiel. Der Begriff Bürgerversicherung klingt ja erst mal toll. Wer wollte da nicht Mitglied sein? Aber eine Bürgerversicherung würde die Zwei-Klassen-Medizin nur verstärken. Denn wer sich‘s leisten kann, würde sich dann eben teure Zusatzversicherungen und damit mehr medizinische Leistungen kaufen. Wer das aber nicht kann, bliebe in der zweiten Klasse hängen. Die Bürgerversicherung ist vor rund 15 Jahren entwickelt worden, als die Union die Gesundheitsprämie wollte. In der großen Koalition ist dann keines der Konzepte verwirklicht worden, es kam der Gesundheitsfonds mit Risikostrukturausgleich. Wenn ein Konzept schon so lange auf dem Tisch liegt und nie verwirklicht wurde, muss man auch mal kritisch fragen, warum das so ist.

 

Was sind denn die zentralen Herausforderungen des Gesundheitssystems?

Ulrich: Es gibt viele. Wie wollen wir den demografischen Wandel bewältigen? Wie gehen wir mit dem technischen Fortschritt um? Was tun wir, um die Sektorengrenzen im Gesundheitssystem zu überwinden? Was müssen wir tun, um uns gegen den Mangel an Pflegekräften zu rüsten? Ich sehe nicht, wie die Bürgerversicherung auf diese Fragen eine überzeugende Antwort geben soll. Im Gegenteil: Wenn wir im Umlageverfahren versichert sind – und das sind wir alle bei einer Bürgerversicherung – dann verschlechtern wir uns. Die Private Krankenversicherung, die mit Kapitaldeckung und Rückstellungen arbeitet, wäre dann ja außen vor. Dass sich die Privaten an der Bürgerversicherung beteiligen, wäre nicht möglich. Sie könnten nur noch das Zusatzgeschäft übernehmen.

 

In anderen Ländern funktioniert es doch auch.

Ulrich: Es stimmt, dass Deutschland den einzigen Krankenversicherungsmarkt hat, wo man sich voll entweder gesetzlich oder privat versichern kann. Wer andere Länder als Beispiel nennt, muss aber auch dazusagen, dass das für Deutschland diskutierte Modell der Bürgerversicherung in keinem anderen Land umgesetzt wurde. Die Holländer haben zwar alle Bürger in einer Bürgerversicherung, aber getragen wird sie von privaten Krankenversicherungen. Ähnlich ist es in der Schweiz. Auch die Finanzierung ist eine andere. In Holland zahlt der Arbeitnehmer die bei uns nicht mehrheitsfähige Kopfpauschale, die  Arbeitgeber zahlen einen prozentualen Beitrag; in der Schweiz gibt es keinen Arbeitgeberanteil, die Arbeitnehmer zahlen die Kopfpauschale komplett selbst.

 

Ärzteverbände machen Front gegen die Bürgerversicherung. Geht es ihnen nur darum, nicht weniger zu verdienen, weil die hohen Privathonorare wegfallen würden?

Ulrich: In erster Linie ja. Berechnungen zeigen, dass die Einführung der Bürgerversicherung dem System zwölf Milliarden Euro im Jahr entziehen würde. Die Hälfte davon beträfe den ambulanten Bereich. Pro Arztpraxis würde das im Schnitt 50.000 Euro weniger Einnahmen bedeuten. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach hat zwar einen Ausgleich zugesagt, aber ich wüsste nicht, wie das gegenfinanziert werden sollte. Dass Ärzte es für ungerecht halten, wenn sie für dieselbe Leistung 50.000 Euro weniger bekommen sollen, kann ich gut verstehen. Das würde sicher auch Folgen für die Patienten haben.

 

Gibt es überhaupt ein System, das Zwei-Klassen-Medizin verhindert?

Ulrich: Ich kenne keines. Wer Geld hat, wird sich immer die bessere Versorgung leisten können. Das ist überall auf der Welt so. Wer zum Beispiel in England Geld hat, lässt sich nicht im steuerfinanzierten staatlichen System behandeln, sondern fliegt zu uns nach Deutschland oder noch weiter in die USA. Das kann man nicht verhindern. Wichtig ist, dass wir ein System haben, das für 95 Prozent der Bevölkerung gut funktioniert. Die Bürgerversicherung würde die Zwei-Klassen-Medizin verstärken. Auch die Wartezeiten, die im internationalen Vergleich bei uns niedrig sind, nehmen in Ländern mit einheitlichem Versicherungsmarkt zu. Holland, England, die Schweiz, skandinavische Länder: alle haben lange Wartezeiten.

 

Würde die Bürgerversicherung älteren Privatversicherten, die hohe Beitragssteigerungen verkraften müssen, etwas bringen?

Ulrich:  Denen könnte man vielleicht helfen. Aber das wäre ja gerade ein Akt der Unsolidarität. Denn diese Versicherten hätten die Rosinen gepickt. Als sie jünger und gesünder waren, haben sie die Vorteile der günstigen Privaten Krankenversicherung genossen, wenn sie älter und teurer sind, würde ihnen der Weg in die solidarische gesetzliche Krankenversicherung ermöglicht. Das kann auch nicht das Ziel einer Bürgerversicherung sein.

 

Zur Person:

Volker Ulrich (59) ist seit 2002 Inhaber des Lehrstuhls für Volkswirtschaft und Finanzwissenschaft an der Universität Bayreuth. Er war  Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Gesundheitsökonomie und Mitglied im wissenschaftlichen Beirat beim Bundesversicherungsamt.

 

 

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