Weltkulturerbe: Apollo bleibt daheim

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Die Restaurierung des Markgräflichen Opernhauses ist so gut wie abgeschlossen. Eine wichtige Rolle spielt der Vorhang - der nur augenscheinlich ein trennendes Element zwischen Zuschauerraum und Bühne ist. Eigentlich verbindet er die beiden so wichtigen Bereiche. Foto: Eric Waha Foto: red

Man kann ihn als ein Stück Stoff sehen. Ein Stück Stoff, das den Blick verhängt. Der Vorhang im Weltkulturerbe Markgräfliches Opernhaus allerdings ist nicht nur ein besonderes Stück Stoff. Er ist Stoff für eine besondere Geschichte, die Grundlage für eine fast aberwitzige Legende, die sich über fast 150 Jahre hielt. Und die Geschichte hinter dem Vorhang ist eine fast kriminalistische Suche nach den Quellen. Denn es gibt keine bildliche Überlieferung, wie der Vorhang 1748 tatsächlich ausgehen hat.

 
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Das Motto der Eröffnung des Weltkulturerbes in Bayreuth hätte - zumindest, was den Vorhang betrifft - nicht besser gewählt werden können: Vorhang auf! Was ja für Eröffnung, für Premiere, für Vorfreude steht. Dafür, dass es endlich losgeht, dass die Bühne frei ist. "Im barocken Theater", sagt Thomas Rainer, der für Bayreuth zuständige Museumsreferent bei der Bayerischen Schlösserverwaltung, "hatte der Vorhang eine enorme Bedeutung". In einer Überlieferung aus dem 17. Jahrhundert heißt es, das Publikum sei "total neugierig darauf gewesen, was hinter dem Vorhang passiert: Lauten- und Tubenklang, angesungene Lieder, Geschrei von Schauspielern. Die Leute waren fasziniert und haben gespannt darauf gewartet, dass der Vorhang aufgeht, damit sie einen Blick auf die heroische, perspektivische Scena die Comedia erhaschen können", sagt Rainer. In Bayreuth wird das nicht anders gewesen sein.

Kein schlichter Stoff-Lappen, sondern schön bemalte Leinwand

Der Vorhang selbst war kein schlichter Stoff-Lappen. Er war Kunst. Und die sollte wieder Einzug halten. "Als wir entschieden haben, die originale Größe der Bühnenöffnung wiederherzustellen, mussten wir uns Gedanken machen, wie der Vorhang aussehen soll, auf den die Leute gebannt schauen", sagt Rainer. Ein Gedanke der ihn, der seine Kollegen aus der Bauabteilung und auch die Mitarbeiter aus dem Staatlichen Bauamt, die mit dem Opernhaus zu tun haben, lange umtreibt. "Es gibt eine wichtige Quelle von 1800. Da schreibt Johann Sebastian König, dass der Vorhang in sehr guter Malerei ausgeführt war. Er zeigt Apollo mit den neun Musen und den Pan. Ein ähnliches Thema, das wir auch im Deckengemälde finden." Einen ähnlichen Vorhang gibt es zum Beispiel im Ludwigsburger Schlosstheater, "der gut erhalten ist". Aber: "Wir wussten nicht, wie wir uns den Vorhang vorstellen sollten. Außer den Sätzen von König gibt es - nichts. Keine Quelle, keinen Beleg." Was daran liegt, dass der Vorhang schon im 19. Jahrhundert verschwunden war, als die Bühnenöffnung verkleinert worden war - und ersetzt wurde durch eine reine Vorhangdraperie. "Die war auch auf Leinwand gemalt. Aber als Malerei, die Stoff wiedergibt." Über dieses "zusammengestoppelte Ensemble", wie Rainer es nennt, gibt es ausreichend Dokumente.

Das Märchen vom Raub durch Kaiser Napoleon

Und auch ein Märchen, das von Generation zu Generation weitergetragen wird: das vom Raub des ersten Vorhangs durch Kaiser Napoleon. Bei diesem Exkurs muss Rainer schmunzeln. Denn die Legende vom geklauten Vorhang, der von Bayreuth über Paris nach Wien gelangt sein soll, hatte Rainer eine Zeit lang tatsächlich so etwas wie eine ganz leichte Hoffnung, doch noch den Bayreuther Welterbe-Vorhang aufspüren zu können. "Wobei ich mich immer gewundert hatte: Es gibt genaue Berichte über Napoleons Aufenthalt in Bayreuth. Er war 1812 und 1813 jeweils sehr kurz hier. Von einem Besuch im Opernhaus wird nichts berichtet. Dafür aber davon, dass er im Neuen Schloss war und im Hofgarten eine Truppenparade abgehalten hat, bevor er schnell weiter nach Sachsen und in Richtung Russland ist." 1812 soll Napoleon ein Mal übernachtet haben in Bayreuth - im Neuen Schloss.

Antifranzösische Propaganda entstand um 1870

Das Gerücht über den angeblich geraubten Vorhang taucht 1870 zum ersten Mal auf. "An obskurer Stelle", wie Rainer mit einem Schmunzeln sagt: "In der Agronomischen Zeitung. Der Autor berichtet, dass Napoleon den Vorhang geraubt habe und regt sich über ,das welsche Banditentum' auf. Außerdem sei er voll Vorfreude, dass die Bayern an der Seite Preußens gegen Frankreich in den Krieg ziehen. Da hat die anti-französische Propaganda die Legende befeuert", sagt Rainer. Breit getreten wurde die Legende nur wenig später, als Richard Wagner anlässlich der Grundsteinlegung für sein Festspielhaus 1872 Beethovens "9. Sinfonie" im Opernhaus dirigierte. "Da gab es breite Berichterstattung in der Presse damals." Rainer sagt, bei dem Gerücht, der Vorhang sei von Paris nach Wien gekommen und im Hofburgtheater oder im Theater an der Wien "zugrunde gegangen", sei er "hellhörig geworden".

Ein Stich, der elektrisiert - aber nicht weiter hilft

In den Akten des Hofburgtheaters findet Rainer einen Stich - und ist erst einmal elektrisiert: "Apollo im Kreise der Musen", sagt Rainer. "Wie es König erwähnt hatte. Ich dachte: Super, eine große Entdeckung! War aber nicht so. Denn es fehlte nicht nur der Pan auf dem Stich. Sondern es war auch klar, wer den Vorhang 1790 gemalt hatte." Ein Künstler, der kaiserliche Hofmaler Heinrich Friedrich Füger, der auch den Vorhang für das Theater am Gänsemarkt in Hamburg geschaffen hatte, bemalt mit einem Motiv, das zeigt, welch "hochpolitische Objekte Theatervorhänge sein können: Es zeigt die Künste und die Wahrheit, die das Laster zu Boden werfen. Das Laster trägt das Gesicht Napoleons..." Damit, sagt Rainer, sei auch klar gewesen, woher das Gerücht mit dem geklauten Vorhang kam. Allerdings hat uns die ganze Sache letztlich nicht weitergebracht. Uns hat immer noch die Vorlage gefehlt für das, was wir vorhatten".

Der Schlüssel passt plötzlich ins Schloss

Die lange Recherche hat schließlich Erfolg: Im Umfeld des Theaterarchitekten Giuseppe Galli Bibiena entdecken Rainer und sein Team einen "Entwurf des Onkels Galli Bibienas für den Vorhang des Kaiserlichen Hoftheaters in Wien, das in vielerlei Hinsicht Vorbild für das Opernhaus in Bayreuth war". Da war er wieder, der Apollo. Die Musen schwebten um ihn herum, die Göttin Minerva kam dazu. Und gerahmt wurde das höchst detailreiche Bild von einer Ranke aus Akanthus, wie sie sich auch an der Decke des Opernhauses findet. Der Schlüssel, der plötzlich in das Schloss passte.

Apollo wäre in der Mitte auseinander gerissen worden

Trotzdem kommt es anders, ein bisschen zumindest. Als der Vorhang - wie das Vorbild auf Leinwand - vom Bühnenservice Berlin zusammen mit dem Bühnenbild gemalt wird, fällt die Entscheidung, "dass Apollo gewissermaßen zu Hause bleibt", wie Rainer sagt. "Damit haben wir lange gerungen. Aber es hat zwei gute Gründe." Der eine ist ein technischer Grund. Der barocke Theatervorhang muss, auch in Bayreuth, nach oben gezogen worden sein. Da die barocke Bühnenmaschinerie ausgebaut worden war im 20. Jahrhundert, hat das Opernhaus den neuen, den in der Mitte geteilten Vorhang. "Wie es im modernen Spielbetrieb üblich ist. Und da hätte es den Apoll in der Mitte auseinander gerissen, wenn der Vorhang aufgegangen wäre. Das wollten wir ihm nicht antun, dem Musengott." Der zweite Grund ist ebenfalls einleuchtend: "Der Vorhang verdeckt die Bühne weit vorne." Steht sehr präsent im Raum auf einer Fläche von 140 Quadratmetern in der 14 mal zehn Meter großen Bühnenöffnung. "Es wäre eine neuzeitliche Malerei mit den erhaltenen Figuren und der erhaltenen Malerei aus dem 18. Jahrhundert in Konkurrenz getreten. Das wollten wir vermeiden."

Wolkiger Stil, wie eine Himmelsszenerie

Genauso wie eines vermieden werden sollte, um die lange Geschichte der Suche nach einem Vorhangmotiv zu einem guten Ende zu bringen: "Dass die Zuschauer auf eine dröge, kalte, unlebendig wirkende Fläche blicken." Man wählte einen wolkigen Stil, der sich auch im Deckengemälde findet, "wie eine Himmelsszenerie", sagt Rainer. Die neugierig macht. Die die Erwartung anheizt. Darauf, was passiert, wenn sich der Vorhang lüftet - und aus zwei Räumen einer wird. Und Apollo von oben den besten Blick hat.

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