Was "Reichsbürger" wollen

Von Kerstin Fritzsche
Joachim Widera, Gründer der Partei Deutsche Zukunft und bekennender Reichsbürger, zeigt seinen Pass. Bzw. das "Dokument", das er als seinen Pass ansieht. Archivfoto: dpa Foto: red

Sie akzeptieren die Bundesrepublik Deutschland mit ihren Behörden, Medien, Gesetzen und gesellschaftlichen Regeln nicht. Sie widersetzen sich Behörden und selbst Staatsgewalt. Was wollen "Reichsbürger", und wer sind sie?

 
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In Deutschland treten seit einigen Jahren verschiedene Personen und Gruppen in Erscheinung, die sich – mit zum Teil sehr unterschiedlichen Begründungen – auf ein Deutsches Reich berufen und die Existenz der Bundesrepublik leugnen. Die Bundesrepublik und ihre Regierung und damit auch Kommunen sind für sie nicht existent. Somit sind für sie auch das Grundgesetz, bundesdeutsche Gesetze, Bescheide und Gerichtsurteile nichtig.

"Reichsbürger"-Angriff: Das sagt Innenminister Herrmann:

Gibt es eine "Reichsbürger-Bewegung"?

Allerdings sei die Bewegung sehr heterogen und zersplittert, sagt eine Sprecherin des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Von Spinnern bis Rechtsextremen sei alles vertreten. Zahlen will oder kann die Behörde nicht nennen. "Was wir aber feststellen, ist ein stetiger Anstieg von wechselnden Gruppierungen in der 'Reichsbürger-Bewegung'." Es sind teilweise sogar miteinander konkurrierende Gruppen, die in einigen Fällen rechtsextremistische Ideologien vertreten, wie der sächsische Verfassungsschutz deutlich macht.

Wie viele "Reichsbürger" gibt es in Deutschland?

Der Rechtsextremismus-Experte der Amadeu-Antonio-Stiftung, Timo Reinfrank, schätzt die Zahl der "Reichsbürger" in Deutschland auf mehrere Tausend.

An was glauben "Reichsbürger"?

Woher nehmen die sogenannten Reichsbürger ihre Ideen und ihre Ideologie? Die Anfänge reichen bis in die Gründungszeit der Bundesrepublik Deutschland zurück. So behaupten die Akteure, die Bundesrepublik sei illegal entstanden oder im Rahmen der Wiedervereinigung untergegangen und existiere somit als Staat nicht. Stattdessen bezeichnen sie die Bundesrepublik als „GmbH“, deren „Personal“ ihr freiwillig angehöre.Hier ergibt sich eine Nähe zu anderen Verschwörungstheoretikern und der sogenannten "Neuen Rechten", wie sie beispielsweise auch bei der AfD und in deren Umfeld zu finden sind, verstärkt etwa durch den Kopp-Verlag in Rottenburg am Neckar oder das kleine Medien-Imperium des gebürtigen Ravensburgers Götz Kubitschek in Sachsen-Anhalt.

Für die "Reichsbürger" existiert das „Deutsche Reich“ in den Grenzen von 1937 fort. Teile der „Reichsbürger“ betreiben also einen hohen Geschichtsrevisionismus, viele sind zusätzlich in der rechtsextremistischen Szene verankert. Das Spektrum der kruden Ideologien zeigt sich dann auch in Rassismus bis hin zur Volksverhetzung, Holocaust-Leugnung oder Gründung neuer Parteien oder Bewegungen.

Andere gern genutzte Argumente:

"Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat 1973 mit dem Urteil zum Grundlagenvertrag die Legitimation zur Gründung von „Reichsregierungen“ geschaffen."

"Die damaligen US-Außenminister James Baker und UdSSR-Außenminister Eduard Schewardnadse haben im Rahmen der Zwei-Plus-Vier-Verhandlungen zur Einheit Deutschlands durch mündliche Äußerungen die Art. 23 und 146 GG außer Kraft gesetzt. Da Art. 23 den Geltungsbereich des Grundgesetzes regelt, sei somit die Wirksamkeit des Grundgesetzes entfallen."

"Wir dürfen uns aufgrund der UN-Resolution A/RES/56/83 zu Selbstverwaltern erklären."

(So gesehen könne man aus der "Deutschland GmbH" austreten.)

In der UN-Resolution steht: "Das Verhalten einer Person oder Personengruppe ist als Handlung eines Staates im Sinne des Völkerrechts zu werten, wenn die Person oder die Personengruppe im Falle der Abwesenheit oder des Ausfalls der staatlichen Stellen faktisch hoheitliche Befugnisse ausübt und die Umstände die Ausübung dieser Befugnisse erfordern." Für "Reichsbürger" sind diese staatlichen Stellen abwesend.

"Die neuen Bundesländer und einige Kommunen sind mangels Gründungsurkunden nicht wirksam entstanden."

 

Typische Probleme mit den "Reichsbürgern"

 

- "Reichsbürger" haben eigene Kennzeichen oder lassen sich Kennzeichen ausstellen und -Halter machen, die mit Symbolen für das "Deutsche Reich" arbeiten. Sie haben eigene Dokumente und erkennen die gängigen Papiere nicht an.

- Bei zahlreichen Meldebehörden werden "Reichsbürger" vorstellig, um ihre Personalausweise abzugeben.

- Sie weigern sich, öffentliche Gebühren und Bußgelder zu bezahlen.

- Sie erteilen Behörden Hausverbote, Grundstücksbetretungs- und Zustellverbote und beschimpfen Beamte als Straftäter.

- Sie drohen Bediensteten und anderen "Eindringlingen in ihr Gebiet" mit Gewalt bis hin zur Todesstrafe.

- Die Schulpflicht für die eigenen Kinder wird nicht eingehalten.

- In Brandenburg warben "Reichsbürger" in Schulen für ihre eigenen "Lehr-Institutionen".

Für Beamte und Staatsbedienstete ist der Umgang mit "Reichsbürgern" besonders schwierig, denn "Reichsbürger" stört es nicht, wenn sie Strafzettel, Steuer-Unterlagen und so weiter zugestellt bekommen. Im Gegenteil überziehen viele von ihnen Behörden und einzelne Beamte ihrerseits mit Drohungen und Anzeigen. Mitglieder der „Reichsbürger“-Bewegung versuchen immer wieder, den Amtsapparat zu stören oder aufzuhalten, indem sie Anträge stellen, gleichzeitig aber die Legitimität der staatlichen Institutionen infrage stellen. Da die Ämter solche Anfragen nicht einfach abweisen können, entsteht dadurch ein gewaltiger bürokratischer Mehraufwand.

Baden-Württemberg, Brandenburg, Berlin und Hessen haben gerade Handreichungen für ihre Bediensteten erarbeitet.

Und die Reaktion darauf ließ auch nicht lange auf sich warten:

Probleme auch in Oberfranken

Auch in Oberfranken und Bayreuth habe die Polizei immer wieder mit "Reichsbürgern" zu tun, sagt Polizei-Pressesprecher Jürgen Stadter, betont aber: "Das sind in der Regel Einzelfälle." Vor einigen Monaten etwa warf ein Mann, der sich als "Reichsbürger" bezeichnete, Stinkbomben in Bayreuther Rathaus, Banken und Finanzamt. Er wurde verurteilt. Außerdem zeigte er Oberbürgermeisterin Brigitte Merk-Erbe an, weil sie die Bürger nicht darüber informiert habe, dass Deutschland kein freies, sondern ein besetztes Land sei. Darüber hinaus, sagt Stadter, bäten die umliegenden Ämter die oberfränkische Polizei immer wieder um Amtshilfe, wenn es Probleme mit "Reichsbürgern" gäbe.

Prominent bundesweites Aufsehen erregten "Reichsbürger" im Oktober 2014, als sie Xavier Naidoo, der ebenfalls regelmäßig von einer "Deutschland GmbH" spricht, auf einer Kundgebung reden ließen. Daraufhin zog das ZDF Naidoos Teilnahme am Eurovision Song Contest zurück.

Anderes bekanntes Beispiel: Peter F., selbsternanntes Oberhaupt eines von ihm gegründeten Fantasiestaates in Wittenberg, den er „Königreich Deutschland“ nennt. Fitzek betrieb eine eigene Bank und mehrere Versicherungen, versuchte, eine eigene Krankenkasse zu etablieren und gründete einen Verein, der zum Ziel hat, eine neue Verfassung zu schaffen. Zur Zeit sitzt er in Untersuchungshaft - allerdings wegen Veruntreuung. Der Prozess gegen ihn beginnt am 20. Oktober.

Erst im August hatte ein "Reichsbürger" in Sachsen-Anhalt auf Polizisten geschossen: Adrian Ursache, ehemaliger "Mister Germany". Ursache wurde bei dem Schusswechsel selbst schwer verletzt. Er liegt immer noch in Leipzig im Krankenhaus und wird behandelt. Ursache hatte in Reuden, wo er wohnt, den Staat Ur ausgerufen. Er war seinen bürgerlichen Pflichten nicht nachgekommen, weshalb ein Sondereinsatzkommando anrückte, um eine Zwangsräumung zu veranlassen. Zuvor hatte Ursache auf entsprechende Bescheide nicht reagiert und den Gerichtsvollzieher mit Mord bedroht, in diesem Zusammenhang sogar dessen Foto und Adresse im Internet veröffentlicht und zu Gewalt gegen den Mann aufgerufen. Ursache hat wiederholt Behörden blockiert und auch in Bayern, sogar in Bayreuth, Politiker und deren Mitarbeiter angemailt und bedroht.

"Reichsbürger" in Bayern:

 

Über "Reichsbürger" in Bayern informiert auch der bayerische Verfassungsschutz hier.

 

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