Frankreich droht mit Veto Brexit: May bittet um dreimonatigen Aufschub - EU skeptisch

1000 Tage reichten nicht: Knapp drei Jahre nach dem Votum der Briten zum EU-Austritt will Premierministerin May den Brexit nun aufschieben. Die EU hat Bedenken - und stellt Bedingungen.

 
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London/Brüssel - Die britische Premierministerin Theresa May hat die Europäische Union um einen Aufschub des Brexits bis Ende Juni gebeten. EU-Ratschef Donald Tusk signalisierte daraufhin am Mittwoch Bereitschaft für eine "kurze Verschiebung".

Voraussetzung sei aber, dass das britische Parlament den Austrittsvertrag doch noch annehme. Die Verschiebung muss einstimmig von den übrigen 27 EU-Ländern gebilligt werden. Sie beraten am Donnerstag beim Gipfel in Brüssel. Frankreich droht mit einem Veto, falls in den nächsten Tagen keine Klarheit herrschen sollte.

Ursprünglich wollte sich Großbritannien am 29. März von der Staatengemeinschaft trennen. Doch der Termin ist nicht mehr zu halten - es sei denn, das Land scheidet ohne Abkommen aus der EU aus. Genau 1000 Tage war es am Mittwoch her, dass die Briten in einem Referendum für den EU-Austritt gestimmt hatten.

Der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian forderte von May "ausreichende Garantien" für die Glaubwürdigkeit ihrer Strategie. Andernfalls werde sein Land einen ungeregelten Austritt Großbritanniens vorziehen, drohte Le Drian in Paris. Bei einem solchen No-Deal-Brexit wird mit erheblichen Schäden für die Wirtschaft und andere Lebensbereiche gerechnet.

Die Bundesregierung betonte, "dass ein Austritt Großbritanniens ohne Abkommen in niemands Interesse wäre". Es sei gut, "dass es jetzt einen klaren Antrag Großbritanniens gibt", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. "Das ist die Grundlage, auf der die EU 27 Donnerstag und Freitag reagieren können." Der Antrag werde beim Europäischen Rat "intensiv diskutiert werden", auch mit Blick auf die Europawahl.

Eine Teilnahme an der Europawahl Ende Mai lehnt May ab. Das wäre ihr zufolge die Voraussetzung für einen längeren Aufschub. "Ich glaube, dass es nicht in unserem beiderseitigen Interesse wäre, wenn Großbritannien an der Wahl zum Europaparlament teilnehmen würde." Sie sei weiter überzeugt, dass das Abkommen ratifiziert werden könne. Bis Ende nächster Woche sei das aber nicht zu schaffen.

Die von May vorgeschlagene Verlängerung der Austrittsfrist bis zum 30. Juni habe etwas für sich, sagte Tusk in Brüssel. Allerdings werfe das neue Datum eine Reihe ernster juristischer und politischer Fragen auf. Die EU-Staats- und Regierungschefs würden dies beim Gipfel am Donnerstag besprechen. Kein Problem sieht Tusk nach eigenem Bekunden darin, eine Zustimmung der übrigen 27 Länder für die letzten Nachbesserungen des Vertragspakets von voriger Woche zu bekommen.

Derzeit erwarte er keinen Sondergipfel kommende Woche, sagte Tusk weiter. Die Entscheidungen der EU-Staats- und Regierungschefs beim Gipfel könnten im schriftlichen Verfahren unter Dach und Fach gebracht werden. Sollte es nötig werden, werde er aber auch nicht zögern, kommende Woche noch einmal nach Brüssel zu laden. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker hatte bereits zuvor gesagt, dass er diese Woche keine endgültige Entscheidung über den Aufschub erwarte.

Tusk sagte, man habe jetzt den kritischsten Punkt des Austrittsverfahrens erreicht. "Selbst wenn die Hoffnung für einen endgültigen Erfolg schwach oder sogar illusionär erscheinen mag und obwohl eine Brexit-Ermüdung sichtbar und gerechtfertigt ist: Wir können nicht aufhören, eine positive Lösung zu suchen, bis zum allerletzten Moment", sagte Tusk.

Die EU-Kommission sieht eine Verschiebung des Brexits auf den 30. Juni höchst kritisch. Ohne Teilnahme an der Europawahl sei nur ein Aufschub bis zum Beginn der mehrtägigen Wahl am 23. Mai möglich, heißt es in einem internen Papier. Sonst entstünde rechtliche Unsicherheit, argumentierte die Brüsseler Behörde.

Aus Sicht der Kommission sind demnach nur zwei Optionen für den Aufschub des Brexits sinnvoll: eine kurze, "technische Verlängerung" bis zum 23. Mai ohne Teilnahme an der Europawahl oder eine "lange Verlängerung" bis mindestens Ende 2019 mit der Option einer Verkürzung, falls vorher eine Lösung gefunden werde. In jedem Fall solle es nur eine einmalige Verlängerung geben.

Einen längeren Brexit-Aufschub schloss May aber aus. "Als Premierministerin bin ich nicht bereit, den Brexit über den 30. Juni hinaus aufzuschieben", sagte sie. Die Äußerung wurde von britischen Medien als Hinweis auf ihren möglichen Rücktritt gedeutet, sollte eine längere Verzögerung des EU-Austritts unumgänglich sein.

Bei einer Erklärung am Abend machte sie das Parlament in London für die sich anbahnende Verzögerung des EU-Austritts verantwortlich. "Die Abgeordneten waren unfähig, sich auf einen Weg für die Umsetzung des Austritts des Vereinigten Königreichs zu einigen", sagte May. Das Resultat sei nun, dass der Brexit nicht wie geplant am 29. März mit einem Abkommen stattfinden könne. "Ich bedauere das persönlich sehr."

Das Unterhaus in London hatte den fertigen Austrittsvertrag bereits zweimal abgelehnt. Eine von May ursprünglich für diese Woche angekündigte dritte Abstimmung hatte Parlamentspräsident John Bercow überraschend gestoppt. Nach einer mehr als 400 Jahre alten Parlamentsregel dürfe nicht mehrfach über eine unveränderte Vorlage abgestimmt werden, hatte Bercow am Montag erklärt.

Schwerer wiegt jedoch, dass im Unterhaus für den Brexit-Vertrag noch immer keine Mehrheit in Sicht ist. Brexit-Hardliner in Mays Konservativer Partei und bei der verbündeten nordirisch-protestantischen DUP stoßen sich an einer Garantieklausel für eine offene Grenze zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland. Sie sieht vor, dass ganz Großbritannien in der Zollunion mit der EU bleibt, bis eine bessere Lösung gefunden ist.

Die oppositionelle Labour-Partei ist ihrerseits gegen den Deal, weil sie auch nach dem Austritt eine engere Bindung an die EU will.

Der britische Parlamentspräsident John Bercow steht wegen der Anwendung einer 415 Jahre alten Regel beim EU-Austritt stark in der Kritik. Die konservative Zeitung «Daily Express» nannte ihn am Dienstag auf der Titelseite einen «Brexit-Zerstörer». Bercows Entscheidung sei «völlig unwillkommen» und schüre Angst. Bercows politische Eitelkeit sei eine «Abrissbirne im wichtigsten politischen Prozess seit Jahrzehnten». Das konservative Blatt «Daily Mail» sprach von einem «Akt der Sabotage». Der Parlamentspräsident habe «Anti-Brexit-Vorurteile» , schrieb die Zeitung weiter. Auch die konservative Boulevardzeitung «The Sun» kritisierte sein Vorgehen scharf und schrieb: «Bercow kann uns mal» auf der Titelseite. Der Parlamentspräsident steht schon lange im Clinch mit der Boulevardpresse, die für den Brexit trommelt. Bercow hatte der Regierung am Montag einen Strich durch die Rechnung gemacht. Überraschend wies er die Abgeordneten darauf hin, dass das Unterhaus kein weiteres Mal über den denselben Brexit-Deal abstimmen darf. Ohne Änderungen an dem Abkommen verstoße dies gegen eine Regel aus dem 17. Jahrhundert. Demnach darf dieselbe Vorlage nicht beliebig oft innerhalb einer Sitzungsperiode zur Abstimmung gestellt werden.

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