Urteil des Schwurgerichts Lebenslang für Firat T.

Von Manfred Scherer
Das Schwurgericht verkündete am Montag, 23. Juli, das Urteil im Mordfall Friedrich Kuhn. Für den Vorsitzenden Michael Eckstein (Mitte) dürfte der Fall der letzte Mordprozess vor seiner Pensionierung zum Jahresende gewesen sein. Foto: Andreas Harbach Foto: Peter Gisder

BAYREUTH. Das Bayreuther Schwurgericht hat keine Zweifel: Firat T. hat am 12. April 2017 den Rentner Friedrich Kuhn ermordet. Das Gericht verhängte gegen den 36-Jährigen aus Augsburg eine lebenslange Freiheitsstrafe. Der Schuldspruch gegen den gleichaltrigen Mitangeklagten Anton S. lautete: Diebstahl und unterlassene Hilfeleistung. S., der somit – zumindest juristisch – nichts für den von T. begangenen Mord kann, soll fünf Jahre und zwei Monate hinter Gitter.

 
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Am Ende seines letzten Mordprozesses vor seiner Pensionierung Ende des Jahres benötigte der Gerichtsvorsitzende Michael Eckstein am Montag 57 Minuten zur Begründung des Schuldspruchs.

Die Tötung des 88-jährigen Friedrich Kuhn am 12. April 2017 diente nach Überzeugung des Gerichts dazu, den Rentner davon abzuhalten, die Polizei oder sonstige Unterstützung zu rufen.

Die drei Berufsrichter und die zwei Laienrichter der Schwurgerichtskammer gehen davon aus, dass Friedrich Kuhn gemerkt hat, dass mit dem Besucher, den er am Abend ins Haus gelassen hatte, „etwas faul“ war. Die Verdeckung des vorangegangenen Diebstahls, der vom Mitangeklagten Anton S. begangen worden war, ist das Merkmal, das den Schuldspruch Mord begründet.

Für Mord gibt es in Deutschland nur eine Strafe. Das „lebenslang“ bedeutet aber nicht, dass ein Verurteilter bis zu seinem Tod sitzen muss. Es bedeutet: Frühestens nach 15 Jahren hinter Gittern kann geprüft werden, ob ein Lebenslänglicher bei positiver Sozialprognose und bei guter Führung entlassen werden kann.

Das Schwurgericht stellte laut Eckstein diesen Sachverhalt fest: Der erfahrene Einschleich- und Trickdieb Anton S. verlor im März 2017 seinen langjährigen Partner, der für eine derartige Tat eingesperrt wurde. Neuer Partner an der Seite von S. wurde Firat T. beide Männer kannten sich aus dem Gefängnis, sie wohnten in derselben Gegend im Großraum von Augsburg.

Hoher Profit bei alten, hilflosen Opfern

Firat T., so die Feststellungen, brauchte damals dringend Geld: Der mehrfach vorbestrafte Kriminelle hatte sich mit südamerikanischen Drogengangstern eingelassen und sollte für einen schief gegangenen Kokain-Deal eine Art „Buße“ bezahlen. Einen Verbindungsmann in Paraguay hatten die Gangster getötet, gegen T. und seine Familie gab es Drohungen.

Nach Überzeugung des Gerichts hatte Firat T. vor allem wegen seiner Geldsorgen Anton S. gedrängt, ihn als Einschleichdieb anzulernen. Anton S. hatte während des Prozesses bekannt, dass er bei alten, hilflosen Opfern im Schnitt bis zu 5000 Euro Profit pro Woche gemacht habe.

Zwischen März 2017 und dem 12. April 2017 sind dem Duo drei erfolgreiche Trickdiebstähle bei Senioren nachgewiesen. Am 11. April, also einen Tag vor der Gewalttat an Friedrich Kuhn, bekam Firat T. eine Nachricht auf sein Smartphone, die ihn an die ausstehende Zahlung erinnerte, mitsamt einer Codenummer, mit der ein Empfänger eine Bareinzahlung via Western Union in Südamerika abholen könne. Die Folge: Anton S. und Firat T. mussten auch in der Karwoche auf Beutezug.

Dass Friedrich Kuhn ihr Opfer wurde, war kein Zufall. Anton S., so stellte das Gericht fest, war früher schon zweimal in der Innstraße 3 bei Friedrich Kuhn. S. hatte im Prozess bekannt, dass er seine potenziellen Opfer als freischaffender Gebäudereiniger an der Haustüre ausspionierte – auch Friedrich Kuhn.

Geldtransfer am Tag nach der Tat

Am 12. April 2017 kamen S. und T. mit einem von T. gemieteten Auto nach Bayreuth. Die hiesige Funkzelle erfasste das Navi des Mietwagens um 17.40 Uhr. Das Duo parkte den Wagen in der Preuschwitzer Straße. Dann war es Firat T., der an Friedrich Kuhns Haustüre klingelte und den Ablenker gab. T. ließ Anton S. ein, der schlich sich ein, durchsuchte die Zimmer und machte sich mit einem ersten Teil an Beute davon.

Dass Firat T. nicht nachkam, liegt nach Überzeugung der Richter daran, dass Friedrich Kuhn damals entweder merkte, wie S. sich hinausschlich oder die geöffneten Schmuckschachteln sah. Firat T. schlug Kuhn zweimal mit einem unbekannten Gegenstand zweimal gegen den Kopf und verursachte damit den Treppensturz, bei dem Kuhn sich tödliche Verletzungen zuzog. Dann durchsuchte T. die Zimmer, um weitere Beute zu machen.

Dem zurückgekehrten Anton S. sagte er, ein „Unfall“ sei geschehen. Das Duo flüchtete ohne Hilfe zu holen. Ihr Auto verließ um 22.44 die Funkzelle Bayreuth. In Mannheim wurde die Beute versetzt, am 13. April um 11.26 Uhr transferierte Firat T. 2500 Euro via Western Union nach Südamerika.

Dass das Schwurgericht mit dem festgestellten Sachverhalt weitgehend der Prozesseinlassung von Anton S. folgte, liegt nicht an der besonderen Glaubwürdigkeit von S.

Der Vorsitzende Eckstein sagte: „Ich habe noch nie zwei so gegensätzliche Einlassungen in einem Prozess gehabt.“ Firat T., der quasi exakt das Gegenteil von Anton S. behauptet hatte, sei durch Sachbeweise der Lüge überführt. Es sind nach Überzeugung vor allem die DNA-Spuren im Haus, die der Einlassung von T. widersprechen. Sollte S. die DNA von Firat T. mit den Handschuhen von T. verteilt haben, sei es unerklärbar, wie die DNA von S. an Schmuckschachteln oder Geldbeutel komme.

Als ein weiteres gewichtiges Indiz, das T. belastet, nannte das Gericht die verräterischen Telefonate, die T. aus der Haft heraus heimlich mit seiner Frau geführt hatte und die die Polizei aufzeichnete. T. hatte darin unter anderem gesagt: „Wenn die Analyse kommt, dass der Typ nicht geschlagen wurde, dann ist es kein Mord.“

Dazu sagte der Vorsitzende Eckstein: Dem Angeklagten T. war nicht klar, wie genau die Gerichtsmedizin zwischen Schlag- und Sturzverletzungen unterscheiden könne: „Der Leichnam ist der beste Zeuge“.

Dass die Verteidiger von Firat T. nach diesem Urteil in einem reiner Indizienprozess Revision einlegen werden, liegt auf der Hand.


Kommentar: Miese Tricks und wahre Meister

Was bleibt von diesem Prozess? Vielleicht das Gefühl, dass der Einschleichdieb Anton S. zu billig weggekommen ist. Doch das darf nur ein Gefühl bleiben – S. konnte, so das Urteil, nicht ahnen, dass sein Diebeskumpan mit Brutalität reagiert, wenn mal was schief läuft. Deswegen wurde S. auch nicht wegen versuchten Mordes verurteilt, sondern nur wegen Diebstahls und unterlassener Hilfeleistung. Dafür wären maximal zehn Jahre möglich gewesen. Er dürfte einen Rabatt gekriegt haben, weil er ausgesagt hat. Das moralische Urteil über diesen Einschleichdieb: Er ist höchstens ein mieser Lehrmeister für miese Tricks.

Dass es überhaupt zu einem Prozess gekommen ist, liegt nicht an S., sondern an der Kripo. Darüber, was die Polizei bei den Ermittlungen geleistet hat, lassen wir den Gerichtsvorsitzenden Michael Eckstein urteilen: Wahre Meisterschaft, „hervorragende kriminalistische Tätigkeit“.

Manfred Scherer

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