CSU-Chef Seehofer betonte angesichts der Vorfalls die Notwendigkeit gründlicher Einzelfall-Prüfungen. Er sprach von „schwierigen Entscheidungen“ vor jeder Abschiebung. „Wir müssen ja einerseits schauen, dass die Integration funktioniert“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. „Auf der anderen Seite müssen wir auch darauf achten, dass es nicht zu neuen, massenhaften Flüchtlingsströmen kommt. So etwas spricht sich ja sehr schnell rum.“
Schwerster Anschlag seit Jahren
Bisher hat Deutschland in fünf Sammelflügen 106 abgelehnte Asylbewerber nach Afghanistan abgeschoben. Die Abschiebungen sind umstritten, weil sich in Afghanistan der Konflikt zwischen Regierung und radikalislamistischen Taliban verschärft und es landesweit Gefechte und Anschläge gibt. Am Mittwoch gab es einen Anschlag nahe der Deutschen Botschaft. Es war einer der schwersten seit Jahren. Der für Mittwoch geplante Sammelflug für eine Abschiebung wurde deshalb kurzfristig verschoben. Als sich die Nachricht vom Stopp des Fluges verbreitete, sei Jubel bei den Demonstranten ausgebrochen, sagte Kuch. Danach habe sich die Versammlung aufgelöst.
Die Vorsitzende der bayerischen Jusos, Stefanie Krammer, kritisierte den Polizeieinsatz: „Wir sind zutiefst erschüttert von den Bildern, die uns heute aus Nürnberg erreicht haben.“ Einen in der Ausbildung und seit vier Jahren in Deutschland lebenden jungen Menschen während der Schulzeit aus einem Klassenzimmer zu zerren, zeige „das neue, erschütternde Ausmaß des Abschiebeverhaltens der Bayerischen Staatsregierung.“ Özlem Demir, Stadträtin der Linken Liste Nürnberg, sprach von „Polizeigewalt gegenüber den Demonstranten“. Auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) kritisierte die Polizeiaktion. „Es ist menschenrechtswidrig und menschenverachtend, wie hier das Bayerische Innenministerium agiert“, sagte Bayerns GEW-Vorsitzender Anton Salzbrunn.
Druck auf Staatsregierung
Nach dem verheerenden Anschlag in Kabul mit Dutzenden Toten wächst damit der Druck auf die Staatsregierung, sich nicht mehr an Abschiebungen nach Afghanistan zu beteiligen. Die Bundesregierung habe zwar einen aktuell geplanten Abschiebeflug gestoppt. „Dieser Stopp muss aber auf unbestimmte Zeit ausgeweitet werden, bis eine Neubewertung der Sicherheitslage in Afghanistan vorliegt“, verlangte SPD-Landeschefin Natascha Kohnen am Mittwoch.
Grünen-Landeschefin Sigi Hagl klagte: „Was für eine zynische Logik: Es bedarf erst eines schweren Anschlags nahe der Deutschen Botschaft, damit die Bundesregierung endlich versteht, dass Afghanistan nicht sicher ist. Ja, es herrscht Krieg. Und es ist kaltblütig und inhuman, Menschen in dieses Land abzuschieben.“ Auch der Bayerische Flüchtlingsrat forderte einen sofortigen Abschiebestopp. Es könne nicht sein, dass alle anderen Bundesländer Zurückhaltung übten „und nur Bayern brachial abräumt“, sagte der Sprecher des Flüchtlingsrats, Stephan Dünnwald. „Keinem einigermaßen vernünftigen Menschen ist diese Bedenkenlosigkeit erklärlich.“ Ein Sprecher des Innenministeriums sagte zu den Forderungen von Opposition und Flüchtlingsrat, für die Bewertung der aktuellen Sicherheitslage in Afghanistan sei die Bundesregierung zuständig.