Tote Patientin: Gutachter-Streit droht

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Die Frage nach dem Tod einer Patienten, die in diesem Auto saß, wird sein: Ist eine Untersuchung im Computertomografen nach einem solchen Unfall zwingend notwendig?Foto: red Foto: red

Die wird schon wieder, dachte sich Claudia Siller (48) am Samstagabend. „Noch mal glimpflich ausgegangen.“ Sie hatte ihre mütterliche Freundin Sigrid P. (76) im Krankenhaus besucht. Beide Frauen hatten einen Autounfall. Doch am nächsten Morgen stirbt die alte Dame. Ein Gutachter schildert in einer Gerichtsverhandlung gegen die Unfallverursacherin klare Behandlungsfehler. Aus der Sicht der behandelnden Ärzte ist längst nicht alles so eindeutig.

 
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Siller saß am Steuer ihres kleinen Kia Venga, als ihr eine Fahranfängerin (18) in die rechte Seite krachte, dort, wo Sigrid P. saß. Bremsweg etwa 30 Meter, Geschwindigkeit zwischen 50 und 80 Stundenkilometer. Der Airbag platzt auf, es qualmt. P. steigt sofort aus dem Wagen, „sie dachte, der brennt gleich“, sagt Siller. Während die ältere Dame auf und ab geht und auf den Notarzt wartet, kann erst die Feuerwehr die Jüngere aus dem Auto befreien. Beide kommen in die Notaufnahme des Klinikums.

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Die Jüngere wird – Standard bei eingeklemmten Personen und hohen Geschwindigkeiten – in einen Computertomografen (CT) gelegt, jener Apparat, der auch kleinste Risse und Verletzungen sichtbar macht. Die Ältere hat Schmerzen, Prellungen, eine gebrochene Rippe, aber war ansprechbar und lief umher. Die medizinischen Parameter liegen allesamt nicht im roten Bereich.

Ermittlungsverfahren gegen fünf Ärzte

Gegen fünf Ärzte des Klinikums Bayreuth läuft ein Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Tötung. Seit mehr als einem halben Jahr, bestätigt der Bayreuther Staatsanwalt Daniel Götz. Inzwischen liegt die dritte Fassung des rechtsmedizinischen Instituts in Erlangen vor, mit dem stets gleichen Ergebnis: Die Patientin sei quasi innerlich verblutet, die Ärzte hätten das feststellen können.

„Sie lachte und ihr ging es am zweiten Tag besser“, sagt die Fahrerin des Wagens, die mit der 76-Jährigen im gleichen Zimmer lag. „Die Ärzte sagten, der Unfall sei nicht schlimm“, sagt die Tochter der Verstorbenen, die daraufhin ihren Urlaub nicht vorzeitig beendete. „Ich hab’ solche Schmerzen, alles tut mir weh“, sagte Sigrid P. zu ihrer Freundin. „Sie schnaufte schwer“, sagt die Fahrerin, aber das war am zweiten Tag besser. Aber P. kannte diesen Zustand: sie hatte Asthma.

Eine Patientin kommt ein aussagekräftiges CT, die andere nicht

Im Durchschnitt würden rund 1,7 Patienten pro Stunde in der Notaufnahme eines Krankenhauses behandelt, heißt es in einer Studie des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung. In Bayreuth sind es deutlich mehr – 90 bis 110 Patienten am Tag, wie Florian Knorr, Medizinischer Leiter der Notaufnahme am Klinikum Bayreuth dem Kurier kürzlich erst mitteilte.

Während die jüngere Frau in der CT-Röhre liegt, wird die ältere gründlich geröntgt, auch am nächsten Tag, dazu Ultraschall-Untersuchungen. Ein Mindeststandard bei Unfällen wie dem der beiden Frauen. Der Gutachter hingegen hätte den „Goldstandard“ angewendet: Untersuchung im CT. Er sagt, dann hätten die Ärzte gemerkt, dass Blut aus einem Riss in der Lunge in den Brustkorb der Frau sickere.

Gutachter-Streit könnte drohen

Nach nicht bestätigten Informationen des Kuriers will die Klinik ein Gegengutachten erstellen lassen. Eine der wesentlichen Fragen in diesen Gutachter-Streit dürfte die Frage sein: Röntgenaufnahmen, Ultraschall, mehrere gestandene Notfallmediziner, sie alle sollen nicht bemerkt haben, dass 1,6 Liter Blut in den Brustkorb der Frau gesickert sind? Davon einiges mindestens zwei Tage schon geronnen? Oder ist die Frau erst nach der Wiederbelebung verblutet?

Samstagabend, der fünfte Tag im Krankenhaus. Besuch vom Ehemann, von der Fahrerin mit Familie. Sigrid P. lachte, war gut gelaunt. Gegen halb acht am Abend wollte sie noch ein bisschen laufen üben mit ihrem Mann. Kreislauf in Schwung bringen. „Für das, was passiert ist, sind wir alle gut davongekommen“, soll sie gesagt haben. Der Arzt sei die Tage nicht so oft da gewesen, sagt die Freundin. Visite „im Durchflug“. Keine, wo alle wie bei Arztserien im Zimmer standen. Die medizinischen Eckwerte waren im Laufe der ersten vier Tage leicht gesunken, aber nach Experten-Meinungen nicht in den roten Bereich.

Ein Wert war lebensgefährlich

Bis auf jenen frühen Samstagmorgen, der Blutdruck. Wochenendbesetzung, wenig Pfleger, nur drei Oberärzte im Einsatz. Alles muss schnell gehen, schneller noch als sonst. Viele Patienten warten auf der Station 14. Bei P., die normalerweise an Hochdruck leidet, ist der Wert auf 90 zu 50 gesackt. Das lesen die Angehörigen auf der Patientenkarte, die am Bett hängt. Ein lebensgefährlicher Wert, aus dem an diesem Samstagmorgen niemand Konsequenzen gezogen hat. Etwa 24 Stunden später der gleiche Wert, die neue Bettnachbarin ruft die Schwester. P. sei unruhig gewesen, kalter Schweiß. Eine Stunde später ist sie tot. Durch die Herzdruckmassage brachen fast alle Rippen. Auch viel Blut kann dadurch in den Brustkorb gelangt sein.

Die Tochter kam am Sonntagmorgen gleichzeitig mit den Polizisten der KPI Bayreuth-Land. Eine Ärztin hat sie empfangen. Keiner könne es sich erklären, warum Sigrid P. gestorben war. Die Ärzte selbst wollten eine Obduktion.

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