Tierliebe Ziegen an den Hängen von Pottenstein

Von Rosi Thiem
Ilse Brendel findet viel Ruhe beim Umgang mit ihrer Ziegenherde. Foto: Rosi Thiem Quelle: Unbekannt

POTTENSTEIN. "Ronja, Ronja“, ruft Ilse Brendel. Über der Lichtung oberhalb der Burg Pottenstein ist es totenstill. Urplötzlich ein unvermitteltes „Mäh, mäh, mäh“, antwortet es mehrstimmig aus dem Nichts und lässt ein beruhigtes Lächeln auf Ilse Brendels Gesicht zeichnen. „Jetzt kommt bestimmt zuerst Emely.“ Eine bildhübsche Ziege führt an, und neun adrett gezeichnete Artgenossen folgen brav in einer scheinbar vorgegebenen Laufspur hinterher.

 
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„Die afrikanischen Bergziegen sind, wie andere Ziegen auch, Herdentiere und bleiben immer zusammen“, erklärt die ehemalige Sparkassenangestellte. Vor elf Jahren kaufte sie mit ihrem Mann Rainer die Ziegen vom Vorbesitzer ab, die geschlachtet werden sollten. Sie waren bereits hier oben auf dem Berg ansässig.

Jeden zweiten Tag bei den Ziegen

„Jeden zweiten Tag komme ich hier hoch und schaue mich um, wie es ihnen geht. Brauchen sie Wasser? Sind alle gesund? Wenn ich nicht kann, dann kommt ein befreundetes Ehepaar aus Pegnitz.

Hildegard und Fritz schauen sich um und genießen die Zeit, wie ich eben auch“, schwärmt Ilse Brendel. Inzwischen ist die kleine Herde bei der Ziegenmama angelangt. Gierig mustern sie den Schüsselinhalt, der mit kräftig gelben Karotten überquillt.

Geduldig warten die letzten der Ziegen, bis sie an der Reihe sind, und die ersten Ziegen suchen sich um Brendel herum einen sonnigen Platz auf der zum Leben erwachenden Frühlingswiese.

„Sie lieben die angenehme Wärme der Sonne. Im Winter gehen sie erst gegen Mittag aus ihrem Quartier, unten in der Dohlenlochhöhle. Da bringe ich Heu, gelbe Rüben und Wasser auch mal nach unten in die Höhle, wenn das Wetter sehr schlecht ist. Im Moment brüten gerade Dohlen im Gestein, die Tiere leben gut nebeneinander“, sagt sie.

Die Böcke sind kastriert

Ilse Brendel kennt sie alle, von klein auf: Emely, Lilly, Pauline, Casimir, Moritz, Leonie, Flocke, Flecki, Romina und Ronja. Sie sind inzwischen acht und neun Jahre alt. Die Böcke wurden kastriert. Nachwuchs gibt es keinen, damit in der Herde keine Inzucht vorkommt.

"Diese Tiere muss man einfach gerne haben“

„Es ist eine kleine, überschaubare Herde. Ich kann stundenlang sitzen bleiben und die Ziegen beobachten. Der Frühling ist da und die Natur erwacht und ist so schön“, erzählt Brendel.

Das flauschige Fell ist derzeit noch dick. Ilse Brendel holt die Bürste hervor und Ronja kommt aus ihrer Liegekuhle und stellt sich zum bürsten an. „Jede hat eine andere Fellzeichnung. Manches Mal bräuchte ich zwei Bürsten, weil mehrere zeitgleich zum Streicheleinheiten abholen kommen. Geht die eine weg, kommt eine andere und lässt sich bürsten. Diese Tiere muss man einfach gerne haben“, schwärmt die Tierfreundin.

Ziegen stinken nur im Stall

Und schon zupft wieder eine Ziege, es ist Flocke, an Brendels Steppjacke. Zwischen den Hörnern und dem Ziegenbart blitzen zwei glückliche Ziegenaugen. Sie ist für heute die Letzte, die gebürstet wird.

„Ziegen riechen im Freien auch nicht. Sie stinken nur im Stall, aber nicht an der frischen Luft. Und diese sind immer an der frischen Luft“, erklärt Brendel.

Inzwischen hat sich Ronja wieder in ihre Erdkuhle zurückgezogen. Das ist ihr Platz. Ilse Brendel ist vom Sozialverhalten ihrer Schützlinge angetan.

Fressen als Landschaftspflege

Jeder der sonnenverliebten Ziegen hat eine Rolle in der Herdenfamilie. Emely ist die Chefin. Ihr Gebiet geht immer links vom Weg bis vor zur Wetterfahne, nach oben bis zur Hofmannkapelle und zum Sängerhäuschen, hoch über der historischen Touristenstadt.

Oft schaut Brendel den flinken Tieren zu. „Sie sind so trittsicher, es ist noch nie eine abgestürzt. Wenn sie sich auf den Klippen der Felsen bewegen und Ruckzuck von einem Stein zum anderen springen, ist es schon etwas Besonderes, diesen Tieren zuzusehen. Menschen könnten da nicht hin. Sie halten den Wildwuchs niedrig. Es würde alles verbuschen, weil es nicht zugänglich ist. Sie tragen zur Landschaftspflege bei“, erzählt Brendel.

Die Tierfreundin genießt die Glücksmomente mit den genügsamen Vierbeinern und freut sich mit ihnen: „Die Ziegen können ihren Tag gestalten, ganz so wie sie wollen und werden geliebt. Wer kann das schon von sich sagen?“

Vom nassen Kleinen zum Horn

Einmal – vor Jahren – kam Brendel zufällig bei der Dohlenlochhöhle vorbei. Etwas nasses Kleines lag im Stroh und wurde liebevoll abgeleckt. Es war die Geburt von Moritz. „Ich ließ Mutter und Kind in Ruhe und ging wieder. Als ich erneut kam, war das Zicklein blank geschleckt und stand fürstlich auf allen vier Beinen. Nach einer Woche spitzten die winzig kleinen Hörnchen heraus und nach einer weiteren, hatte Moritz schon am Heu geknabbert“, freut sich Brendel.

Nachwuchs per Hand aufgezogen

Und vor sieben Jahren kam Josi, ein von ihrer Mutter verstoßenes Zicklein. Das nahm Brendel kurzerhand mit heim und zog es über einige Monate mit der Babyflasche auf. Dazu kaufte sie Säuglingsnahrung im Drogeriemarkt und fütterte viermal täglich, bis Josi richtig fressen konnte.

Das Babygehege stand im Hausgarten und mit einem kleinen Hundegeschirr lief sie mit dem winzigen Zögling spazieren. „Sie war so schlau und wusste genau, wo sie wohnte.“

Als Josi sich selbstständig genug entwickelt hatte und eine Herdenrückführung am Berg nicht möglich war, suchten die Brendels kurzerhand eine neue Bleibe in Hollfeld. „Ziegen können 18 Jahre alt werden, haben eine Tragzeit von fünf Monaten und können zweimal im Jahr Nachwuchs bekommen.“

Leben im Moment

Brendel schaut auf die Uhr. Im Nu vergehen zwei Stunden. Emely steht auf, und wie durch eine Abmachung folgen ihr alle nach und nach. Brendel schmunzelt und sagt: „Das heißt Abmarsch.“

Sie hat die Auszeit hoch über Pottenstein wieder einmal sehr genossen. Die Zeit verrinnt hier oben, ohne Zeitnot. Es ist für die Hobbykünstlerin nur die Minute der Gegenwart, die zählt, wenn sie oben bei den Ziegen ist.

„Ich denke nicht lange über etwas nach, sondern kann gut Abschalten und bin nur für die Ziegen da und genieße den Moment. Manches Mal bin ich erstaunt, wie spät es schon ist und ich frage mich, so lange bist du da? Aber hier oben vergisst man eben die Zeit und geht erholt heim“, erklärt Brendel glücklich.

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