Wer sich heute gedanklich mit der aktuellen Migrationsfrage auseinandersetzt, sieht sich einer kuriosen Spaltung der traditionellen Linken konfrontiert: einerseits die gusseisernen Kantianer, denen die Errungenschaften der Aufklärung über alles gehen; andererseits die unermüdlichen Toleranzprediger, die sich aus dem Wertekatalog der französischen Revolution vor allem die ‚fraternité’ herausgepickt haben.

In diesem Diskurs kommt man auf der literarischen Ebene schon seit Jahren an Michel Houllebecq nicht mehr vorbei, seit neuestem auch nicht an den Stücken Konstantin Küsperts. Letzterer besteht zwar ebenfalls auf den so oft beschworenen europäischen Werten wie Gleichheit, Demokratie, Laizismus, Rechtsstaatlichkeit und Religionsfreiheit, plädiert aber in seinen Theaterstücken nach dem Motto „Platz für alle“ für uneingeschränkte Aufnahmebereitschaft.

Europa kapituliert vorm Islam. Oder?

Houllebecq hingegen hat längst ein Menetekel beschworen, das Europa in der Religiosifizierung des öffentlichen Lebens versinken sieht. Genauer gesagt sagt er in einer fast endzeitlich anmutenden Vision die Kapitulation der Alten Welt vor dem aggressiv missionierenden Islam vorher.

Es ist ein großes Verdienst des Bamberger ETA-Hoffmann-Theaters, beiden Autoren in der neuen Spielzeit Raum zu geben. Am Sonntag hatte Küsperts „Europa verteidigen“ Uraufführungspremiere, im Januar wird Houllebecqs Roman „Unterwerfung“ in einer Bühneneinrichtung von Remsi Al Khalisi und unter der Regie der Theaterprinzipalin Sibylle Broll-Pape präsentiert. Küsperts Stück ist eine Art Szenencollage mit Schlaglichtern aus der bewegten europäischen Geschichte, die von Scipios Kampf gegen den „afrikanischen“ Hannibal und dem Einfall der Wikinger bis zum D-Day in der Normandie (als krachende Performance!) reicht. Die letzte Episode liegt in der Zukunft und sieht auf dem Kreta des Jahres 2020 wienerisch redende Nachtspäher den Vorposten des Abendlandes bewachen und Schiffchenversenker spielen. Ösi-bashing muss wohl sein, aber dass die Österreicher wegen ihrer jüngsten Volte in Sachen Flüchtlingspolitik eine Lektion abkriegen, die Ungarn und deren Gesinnungsgenossen jedoch nicht, ist ein wenig ungerecht.

Hedgefons und Hereros

In die Szenenfolge eingeflochten finden sich Statements, die verschiedenen Personen zugeordnet sind, aber Allzubekanntes verlauten lassen. Das ist insofern fast ärgerlich, sorgt aber für dramaturgische Abwechslung. Die belehrenden Vorlesungen handeln von der Verdrängung des Neandertalers durch den Homo sapiens, von den Kreuzzügen, von den Erzählungen des Wandteppichs von Bayeux, von den deutschen Massakern an den Hereros in Namibia, aber auch von Hedgefonds, Steueroasen und EU-Bürokratie.

Das ist überflüssig, weil Allgemeinwissen – geschenkt. Erfrischend wirkt die Einbindung der Geschichte von Zeus und Europa, vom obligatorischen Auftritt der Göttergattin Hera als wahre Xantippe ganz zu schweigen. Das hat Witz, nicht nur weil Zeus seine nächsten Affären per Smartphone sucht. Überhaupt ist der ganze Abend im Bamberger Studio kurzweilig, denn er wird von einer aufgeweckten Truppe getragen, deren Spiellaune keine Grenzen kennt. In der Schlussvorlesung wird’s aber noch einmal ernst: Keine Angst haben, lautet Küsperts letzte Botschaft, denn wenn wir Angst vor Zuwanderung und dem Fremden haben, dann verlieren alle.

INFO: Nächste Termine in diesem Monat: 18., 20., 21., 23. Oktober.