Terror auf offener Bühne

Von Michael Weiser

Eine Theatertruppe führt in Kabul ein Stück über Selbstmordattentate auf. Mitten in der Premiere sprengt sich ein Selbstmordattentäter in die Luft. Hört sich an wie ein überdrehter Plot, war aber grausige Realität. Ronja von Wurmb-Seibel und Niklas Schenck haben einen Dokumentarfilm darüber gedreht, zu sehen ist er am Freitag im Iwalewahaus. Über den Terror in Afghanistan, mutige Menschen und die Kraft der Kunst sprachen wir mit Niklas Schenck.

 
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Könnten Sie mir noch in ein, zwei Sätzen mitteilen, wie es dazu kam, dass sie Kontakt zu der Theatergruppe bekamen?

Niklas Schenck: Wir hatten kurz vorher den Regisseur Nasir Formuli kennengelernt, er lud uns zur Premiere des Stückes ein und sagte: So was hat es in Kabul noch nicht gegeben, das müsst ihr sehen. Wir konnten aber unseren Rückflug nach Deutschland nicht verschieben und wachten stattdessen in Deutschland zu der Nachricht auf, dass es in dem Stück einen Anschlag gegeben hatte.

Im französischen Kulturzentrum läuft das Stück „Die Stille nach der Explosion“, man sieht Schauspieler auf der Bühne, Im Hintergrund Musiker. Auf einmal gibt es einen Lichtblitz, alles wackelt, Funken fliegen. Ein Anschlag in einem Theaterstück über Anschläge – aber das war doch Special Effect, nicht das reale Attentat oder?

Schenck: Das dachten viele Zuschauer im ersten Moment auch: Manche klatschten sogar, bis sie verstanden, dass diese Explosion echt war. Bei diesem Anschlag starben der Attentäter, ein deutscher Entwicklungshelfer und der Kameramann eines lokalen Fernsehsenders. Er starb, aber seine Kamera lief weiter. Wir nutzen seine Bilder für den Film, aber sehr dosiert, und nur die unblutigen – es geht in unserem Film um etwas anders.

"Wir dürfen nicht schweigen"

Um was?

Schenck: Darum, wie die Überlebenden sich zu der Gewalt stellen, wie sie es schaffen, nach diesem Bruch in ihren Leben weiterzumachen. Sie sprechen deshalb die meiste Zeit direkt zur Kamera, in intensiven, intimen Interviews. Die meisten kamen stärker zurück: Ein paar Monate nach dem Anschlag wurde mitten in Kabul eine Frau gelyncht, auf offener Straße. Einige Schauspieler aus der Truppe waren sicher, sie würden nie mehr auftreten. Nach diesem Mord sind sie zusammengekommen und haben gemerkt, wie sehr sie das schmerzt. Und da sagten sie sich, wir dürfen nicht schweigen, wir müssen mehr riskieren; nicht mehr nur hinter Mauern für ein wohl gesonnenes Publikum spielen, sondern auf der Straße, exponiert. Vor Tausenden Leuten spielten sie dann den Mord nach, allerdings mit einem anderen Ende: Die gelynchte Frau steht wieder auf, und mit ihr weitere Frauen. Das machten wir zum zweiten Baustein unseres Films.

"Wahnsinnig viel Kraft"

Was haben Sie über den 17-Jährigen herausgebracht, der sich in die Luft gesprengt hat?

Schenck: Wir versuchen, seine Motive im Film zu ergründen, indem der Filmregisseur Siddiq Barmak, der im Publikum saß, von seinen Begegnungen mit Attentätern erzählt, die vor ihrem Anschlag festgenommen worden waren oder deren Sprengstoffweste nicht funktioniert hatte . Er erzählt, was er von diesen verhinderten Attentätern gelernt hat, wie die Gehirnwäsche abläuft. Was den Attentäter im Theater angeht: Ich weiß, wie er aussah, dass er westliche Klamotten trug und 17 Jahre alt war. Wir zeigen sein Bild aber nicht.

Warum nicht?

Schenck: Wir geben dem Zuschauer nur ein paar wenige Kabul-Bilder an die Hand, damit man einen Geschmack davon hat, wie es dort aussieht. Die konkreten Bilder sollen die Leute in ihrem Kopf bilden, angeregt durch das, was die Leute im Film erzählen: So stellen Sie sich erzählte Szenen in Ihrem eigenen Leben hier in Bayreuth vor – so lässt man die Leute viel, viel näher an sich ran.

"Endlich muss ich mich nicht mehr selbst zensieren"

Was haben die afghanischen Schauspieler aus dem Vorfall gelernt?

Schenck: Ich glaube dieser Moment, als sie beschließen, wieder auf die Bühne zu gehen, hat ihnen und vielen Leuten in Kabul wahnsinnig viel Kraft gegeben . Da sind also zum einen die Menschen, die entschlossen sagen: Wir gehen nicht weg. Wir kämpfen mit unseren Mitteln, und zwar nicht für Macht, sondern für Veränderung. Deshalb heisst der Film auch „True Warriors“. Dann sind da noch die Leute, die aus genauso verständlichen Gründen nach diesem Anschlag sagten: Es geht nicht mehr. Der Filmemacher Barmak floh nach Frankreich – und macht jetzt von dort aus neue Filme über Afghanistan. Er sagt: Endlich muss ich mich nicht mehr zum Schutz meiner Familie selbst zensieren, endlich kann ich Probleme wieder offen ansprechen.

Wie hat die Arbeit an dem Film Ihren Blick auf die Welt verändert?

Schenck: Meine Frau Ronja und ich hatten am Ende 60 Stunden Interviews auf Band, und die transkribierten wir Wort für Wort. Das erreichte eine Intensität, die ich noch nie erlebt hatte. Was ich daraus mitgenommen habe, und was Filmzuschauer bisher auch beschreiben, war nicht nur diese sehr spezifische Botschaft: Wie können wir mit Terror in Kabul umgehen? Es ist eher so, dass ich seither bei Situationen, die unerwartet in mein eigenes Leben platzen, Sätze aus den Interviews im Ohr habe. Sie sind wie Rezepte geworden: Was mache ich, wenn mir so eine Scheiße passiert?

Welche Aussage ist Ihnen im Gedächtnis geblieben?

Schenck: Zum Beispiel ein Satz der Chefin des französischen Kulturzentrums. „Du musst den Schmerz zu einem Teil des Weges machen“, sagte sie. „Sonst wird er wie eine Mauer vor dir stehen und dich blockieren.“ Solche Sätze sind für uns zu einer Quelle von Kraft geworden.

Der Trailer zu "True Warriors". Quelle. Youtube

INFO: Der Film „True Warriors“ ist am Freitag, 16. März, im Iwalewahaus zu sehen. Beginn ist um 19.30 Uhr. Die Vorführung in Bayreuth kommt zustande durch Kontakt mit Lisa Scherm, die als Referentin beim LSV (für „Integration durch Sport“) viel mit jungen Afghanen arbeitet.

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