Tankred Dorst feiert 90. Geburtstag

Von Michael Weiser

Er ist einer der wichtigsten deutschen Dramatiker, erhielt den Georg-Büchner-Preis und den Max-Frisch-Preis, sein Lebenswerk wurde mit dem Theaterpreis „Der Faust“ ausgezeichnet. Jetzt wird der Bayreuther "Ring"-Regisseur Tankred Dorst 90 Jahre alt. Und er denkt nicht ans Aufhören.

 
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Bei manchen Jubilaren plant man für die Laudatio, unabhängig von der Wertschätzung, gerne mal etwas mehr Platz ein. Weil die Bilder, die man mit ihnen verbindet, so groß, so großartig sind. Bilder, wie sie Tankred Dorst geschaffen hat. Seinen „Ring“, der von 2006 bis 2010 in Bayreuth lief, mögen die Kritiker und einige Zuschauer verrissen haben. Die Bilder der Aufführung aber blieben haften. Das Bild der drei Nornen zum Beispiel; wie sie da auf Gebein und Schädeln thronen, bilden sie einen majestätischen Dreiklang von Kälte, Zeitlosigkeit und Unbarmherzigkeit. Es sind Bühnengemälde, die man ob ihrer Opulenz auch heute noch gerne betrachtet. Und gerne zeigt, am Samstag, an dem Tankred Dorst seinen 90. Geburtstag feiert.

Einspringer für Lars von Trier

Sein Debüt in Bayreuth legte er im hohen Alter von 80 Jahren vor, als Einspringer, weil Lars von Trier abgesagt hatte. Hinterher sprach er über die „aufregenden, teils wunderbaren und auch nicht so wunderbaren Erfahrungen“, die er in Bayreuth gesammelt hatte. Weil der Grüne Hügel, das stand auch zu erwarten, auch für die erfahrensten Theaterleute noch Neues zu bieten hat. Zumal, wenn sie sich auf neues Gebiet gewagt hatten. „Ich bin kein routinierter Opernregisseur“, sagte Dorst selbst. Und klang im selben Interview ein wenig erschüttert über seine Festspielerlebnisse. „Weder ganz traurig noch vollkommen erleichtert“ sei er, sagte er, nachdem 2010 der letzte Vorhang für die „Götterdämmerung“ gefallen war.

Skandalstück über die Räterepublik

Erfahrungen im Sprechtheater hingegen hat Tankred Dorst wie kaum ein Zweiter gesammelt. Der 1925 in Sonneberg, Thüringen, geborene Dramatiker hat eine Fülle von Dramen, Hörspielen, Übersetzungen, Prosatexten und Libretti geschaffen, kein „krasser Polit-Poet“, wie es mal im „Spiegel“ hieß, aber doch ein politisch fühlender Autor. Sein erster großer Erfolg, „Große Schmährede an der Stadtmauer“, gespielt auf über 80 Bühnen im In- und Ausland, handelt bereits vom Versuch des Einzelnen, sein Recht gegen die anonyme Staatsgewalt zu erkämpfen – sei’s durch Anpassung, sei’s durch Schmähung. Dem chinesischen Schattentheater war die Geschichte des frühen Einakters entlehnt, eine Erinnerung vielleicht an sein ersten Erfahrungen am Theater, an der studentischen Marionettenbühne „Das kleine Spiel“ in München. Dorst bearbeitete in den nächsten Jahrzehnten gleichermaßen historische wie mystische Stoffe, schrieb Märchenstücke, Parabeln und Künstlerdramen, dachte auch über das Verhältnis dieser Themen zur Politik nach – wie in seinem Skandalstück „Toller“, das den Münchner Räterepublikaner als naiven Politikdarsteller zeigt.

So etwas wie der "Ring" der 80er Jahre

1960 begann seine lange erfolgreiche Zusammenarbeit mit Peter Zadek, mit dem auch Filme wie „Rotmord“ oder „Der Pott“ entstanden. Seit Beginn der 1970er Jahre arbeitet Dorst eng mit seiner Lebensgefährtin und späteren Ehefrau Ursula Eher zusammen. Die beiden lebten lange in München-Schwabing, bevor sie vor zwei Jahren nach Berlin umzogen.

Zu Dorsts bekanntesten Stücken zählen neben der „Schmährede“ und „Toller“ die Trilogie „Auf dem Chimborazo/Die Villa/Heinrich oder Die Schmerzen der Fantasie“, „Karlos“ und „Herr Paul“. Und ein Mammutwerk, das – wenn es denn mal ganz gespielt werden würde – mit ungefähr 15 Stunden Länge nah an Wagners „Ring“ heranreicht. Er bezeichnete es als einen „Versuch, in Form eines Weltmärchens die Verhältnisse in der Welt als Ganzes darzustellen und nicht das politische Tagesgeschehen“. Und war damit wiederum näher bei Wagner, als er das 1981, lange Jahre vor seiner Berufung nach Bayreuth, gedacht haben mag.

"Tollpatschig und gefühlvoll"

„In unseren Dezennien“, sagte Laudator Georg Hensel 1990 bei der Verleihung des Georg-Büchner-Preises, „hat kein anderer deutscher Stückeschreiber so viele Tonarten, eine solche Orgelbreite: sentimental, treuherzig, tollpatschig, gefühlvoll, humorvoll, ironisch, sarkastisch, zynisch-ordinär, hundsgemein – und immer taghell.“ Viele andere Auszeichnungen hat er erhalten, auch den „Faust“ für sein Lebenswerk.

Das er selber mitnichten als abgeschlossen sieht. Drei Stücke wolle er noch schreiben, sagte er damals, 2010, nach Bayreuth. Als nächstes Werk erlebt „Das Blau in der Wand“ seine Uraufführungspremiere, in der nächsten Spielzeit am Düsseldorfer Schauspielhaus, unter der neuen Intendant von Wilfried Schulz . Auf einiges darf man sich also noch freuen von diesem lebensweisen Dramatiker, der so nüchtern auf sein eigenes Leben zu blicken vermag. „Man weiß ja, dass das Leben endlich ist“, sagt er. „Und der Körper gibt einem schon rechtzeitig die Signale.“

Mit Material von dpa.