Swatting: Spaß am falschen Notruf

Der Angeklagte Alexander S. am Mittwoch im Landgericht Nürnberg-Fürth in Nürnberg. Der 24-Jährige muss sich wegen Internetkriminalität und zahlreicher weiterer Straftaten vor Gericht verantworten. Foto: Nicolas Armer/dpa Foto: red

110 Feuerwehrleute stehen plötzlich vor dem Haus eines Youtubers in Mittelfranken. Ein Krimineller hat einen falschen Notruf abgesetzt - um dem anderen zu schaden. In den USA kommt das häufig vor, in Deutschland ergötzen sich nur wenige so am Schaden anderer. Noch.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Der «Drachenlord» ist live auf Youtube - und richtig sauer. Einen Moment zuvor war der junge Mann aufgestanden und hinausgegangen, es hatte an der Tür geklingelt. Jetzt kommt er wieder vor die Kamera - und wütet. «Ihr lieben Hater», schreit er. «Die haben jetzt hier einen Großalarm ausgerufen, wegen Brand. Ihr glaubt doch nicht, dass ihr damit davonkommt?» Der «Drachenlord» sollte recht behalten. Sein Fall landete als erster dieser Art in Deutschland vor Gericht.

Opfer von Swatting geworden

Der junge Franke ist ein Opfer von Swatting - bei ihm brennt es in dieser Nacht überhaupt nicht. Beim Swatting täuscht jemand einen Notfall vor und schickt einem anderen die Polizei ins Haus. Der Begriff kommt von SWAT, der US-amerikanischen Spezialeinheit «Special Weapons and Tactics».

So militarisiert wie die amerikanischen Kollegen kommt die deutsche Polizei zwar nicht vorbei. Aber immerhin: 110 Feuerwehrleute in 20 Wagen, zwei Streifenwagen und zwei Rettungswagen rasen im Juli 2015 zu dem Haus in Mittelfranken, in dem der «Drachenlord» wohnt. In einem Ort mit etwa 50 Einwohnern. Der Mann, der auf der Video-Plattform Youtube unter seinem sagenhaften Nutzernamen rund 41.000 Menschen um sich versammelt, mag Aufmerksamkeit. Im Internet. Aber von der Aufregung im Dorf war er dann doch «entsprechend mitgenommen», sagt Staatsanwältin Andrea Reuß.

Fall für die Zentralstelle Cybercrime

Sie arbeitet bei der Zentralstelle Cybercrime Bayern (ZCB), der Spezial-Staatsanwaltschaft für Internetkriminalität in Bamberg. Reuß hat in dem Fall ermittelt - und zum ersten Mal bundesweit einen Swatting-Täter vor Gericht gebracht. Der 25-Jährige wurde zu drei Jahren und fünf Monaten Haft verurteilt, unter anderem wegen des Missbrauchs von Notrufen.

Ob die ZCB in weiteren Swatting-Fällen ermittelt, wollen Reuß und Oberstaatsanwalt Matthias Huber von der ZCB nicht sagen. Aber in Deutschland gebe es nur wenige Fälle dieses Ausmaßes, davon sind sie überzeugt. «Bei uns funktioniert Swatting nicht so wie in den USA», sagt Huber. Es stürmten hierzulande nicht gleich massiv bewaffnete SWAT-Teams ein Haus. «Hier schaut immer erstmal eine Streife vorbei.» Deshalb sei Swatting in Deutschland nicht so populär. Bisher.

Der "Drachenlord" zieht viel Hass auf sich

Der «Drachenlord» will Aufmerksamkeit und macht dafür Youtube-Videos. Manchmal streamt er sie, zeigt sich also live. Dabei zieht er auch viel Hass auf sich. Der Zuschauer, der ihm letztlich die Rettungskräfte auf den Hals hetzt, ist gerne im anonymen Teil des Internets aktiv - und nutzt es für viel Illegales. Volksverhetzung etwa, Verbreitung von Kinder- und Tierpornografie oder Ausspähen von Daten.

Kein Straftatbestand

Swatting ist in Deutschland kein eigener Straftatbestand; auf den Missbrauch von Notrufen steht maximal ein Jahr Haft. Bayerns Justizminister Winfried Bausback (CSU) hält es jedoch für denkbar, für Taten wie Cybermobbing, Hatespeech oder Sexting neue Straftatbestände zu schaffen. «Das sollten wir schon überlegen.» Es brauche zeitgemäße Werkzeuge, wesentlich dafür sei auch die Vorratsdatenspeicherung.

Den 25 Jahre alten Täter hat es in jener Nacht wohl auch gereizt, dem «Drachenlord» im Livestream dabei zuzusehen, wie er sich ärgert. Wie viele andere denkt er, er könne sich im Netz verstecken. Doch er irrt. Wie genau Staatsanwältin Reuß die Vorwürfe gegen ihn bestätigt hat, sagt sie nicht. Nur: «Mit Fleiß und ein bisschen Glück.»

Täter prahlte im Netz

Ihre Anklage war so gut ausgearbeitet, dass auch der Anwalt des Swatters sie lobt. Täter wie sein Mandant könnten ihre Taten verschleiern, und zwar gut, sagt Martin Gelbricht. Bis sie entdeckt werden. «Ihn hat man aber nicht erwischt, weil die Behörden besonders gut gearbeitet hätten, sondern weil mein Mandant nachlässig geworden ist.» Der 25-Jährige habe im Netz geprahlt mit seinen Taten - und dadurch Informationen über sich preisgegeben.

«Man hat hier einen Tätertypus, der aus einem vermeintlich sicheren Umfeld heraus - sprich von zuhause - mit technischem Know-How an einem wildfremden Ort anderen Leuten schadet», erläutert Gelbricht. Über das Motiv ist damit freilich nicht allzu viel gesagt. Der Richter hingegen findet in seiner Urteilsbegründung im Dezember eine wortgewaltige Antwort: Es sei erschreckend, wie jemand andere Leute mobbt, beleidigt und ihre Existenz gefährdet, nur damit er selbst einmal kräftig lachen kann.

dpa

Autor

Bilder