Studium 4.0: So verändert sich die Uni

Von Katharina Wojczenko
Im Sommer kann Dozent Sebastian Norck draußen arbeiten. Sonst sieht er die Digitalisierung mit gemischten Gefühlen. Foto: Ronald Wittek Foto: red

Früher beendete so mancher sein Studium mit einem Freudenfeuer. Darin: ordnerweise Mitschriften und Kopien. Reicht heutzutage ein befreiender Mausklick? Vier Menschen berichten, wie die Digitalisierung ihren Alltag verändert hat.

 
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Der papierlose Student: Felix Schlieszus (25)

Foto: Katharina Wojczenko

„Früher war bei mir das reine Chaos“, sagt Felix Schlieszus. Überall Papiere, unabgeheftet in seinem Zimmer. Bis er vor anderthalb Jahren beschloss: Von jetzt an studiere ich papierlos. So gut es geht.

Sein Werkzeug: ein Laptop, der zugleich Tablet-Computer ist, und ein besonderer Stift, um darauf zu schreiben. Der Rechner ist nicht das neueste Modell und kostete 450 Euro, der Stift etwa 80 Euro.

Die meisten drucken immer noch aus

„Die meisten Studenten arbeiten mit Folien, drucken sie aus und schreiben Notizen hinein“, sagt Schlieszus. Er schreibt mit seinem Stift direkt ins Dokument. Er kann darin markieren, zusätzliches Material einfügen. Vor Klausuren druckt er sich nur noch Zusammenfassungen aus. „Lange am Bildschirm lesen nervt.“

Von 1000 auf 100 Blätter pro Semester

Sein Papierverbrauch hat sich dadurch massiv reduziert. Statt zwei Ordnern mit 1000 Blättern pro Semester nur noch 100 Blätter. Den Laptop braucht er zum Studium sowieso; weil er weniger ausdruckt, spart er pro Semester etwa 75 Euro.

„Ich bin kein Technikfreak. Ich hab’ einfach etwas gemacht, was mir den Alltag erleichtert. Ich bin kein besserer Mensch als andere.“ Wenn Digitalisierung sich an der Uni durchsetzt, liegt das nicht an Idealismus, sondern an Vorteilen, glaubt er.

Quiz-Fragen aufs Handy

Die nutzt er auch in seinem Nebenjob als Tutor. Zum Beispiel die App Arsnova, um das Wissen seiner Studenten abzufragen. Die Fragen und Lösungsmöglichkeiten bereitet er vor. In der Übung können die Studenten auf dem Telefon die richtige Antwort tippen.

„Anonym, aber so weiß ich, wie viele es verstanden haben und was ich wiederholen sollte“, sagt Schlieszus. Und es ist eine Abwechslung zum Vorrechnen am Beamer.

So sieht die App aus, mit der Schlieszus seinen Studenten im Tutorium Fragen stellt. Foto: Katharina Wojczenko

Jetzt machen viel mehr mit als früher

Übungsunterlagen stellt er in das E-Learning-Portal der Uni. Für die letzte Kurs-Auswertung hat er das besonders genutzt: Wer die Aufgaben wollte, musste erst durch den Evaluationsbogen.

„Wir haben die Rücklaufquoten so massiv erhöht. Machte früher die Hälfte mit, waren es nun 600 von 700 Studenten.“

Info: In den vergangenen Jahren hat die Uni Bayreuth ihren Papierverbrauch um etwa ein Viertel gesenkt, sagt Pressesprecherin Tanja Heinlein. 2015 haben Verwaltung, Fakultäten und Hausdruckerei 14,7 Millionen Seiten Recyclingpapier verbraucht.

Der Video-Professor: Martin Leschke (54)

Archivfoto: Peter Kolb

Wenn der VWL-Professor Martin Leschke zum Audimax geht, macht er sich weder besonders Gedanken über seine Kleidung noch pudert er sich die Nase. Dabei ist er auf Sendung: Seit sechs Jahren lässt er Vorlesungen aufzeichnen.

„Manchmal finden Veranstaltungen parallel statt. Studenten sollen die Möglichkeit haben, alles mitzubekommen“, sagt Leschke.

"Ich schaue mir nur den Anfang an"

Ein Techniker schaltet die Kameras im Hörsaal an und geht. Spätestens nach drei Tagen steht das Video im Intranet. Davor baut der Techniker die Folien ein, die Leschke an die Wand warf. „Ich schaue mir nur den Anfang an, ob Ton und Helligkeit passen“, sagt Leschke. Mehr nicht. „Ich sehe mich nicht gerne im Video.“

Er nimmt die Videos auch nicht vor der Veröffentlichung ab oder lässt Fehler nachträglich herausschneiden. „Das korrigiere ich in der nächsten Veranstaltung.“ Zugänglich sind die Videos nur für Uni-Angehörige.

Nicht massentauglich

Manchmal landen sie auf Youtube. Das ist illegal. Richtig schlimm findet Leschke es nicht: „Das habe ich ja gesagt. Ich bereue meine Worte nicht.“ Sinn der Sache ist es nicht. „Für die breite Masse würde ich anders formulieren als in einer Vorlesung.“

Geändert hat sich sonst in der Vorlesung wenig. Damit ihn die Kamera filmen kann, darf Leschke sich nur noch in einem bestimmten Bereich bewegen. „Die ersten fünf Minuten gebe ich mir in der Vorlesung mehr Mühe“, sagt Leschke. „Dann vergesse ich das aber wieder.“

Die Studenten sind nicht zu sehen

Was er nicht vergessen darf: Fragen zu wiederholen, denn die Studenten sind weder zu sehen noch zu hören. Überhaupt verlange das Streaming eine stärkere geistige Anspannung. „Ich arbeite viel mit dem Kopf, verlasse mich sehr auf meine geistige Vorbereitung.“ Statt auf mitgebrachte Unterlagen.

Sicher zwei Drittel der Studenten nutzten das Angebot, weil sie die Veranstaltung verpasst haben oder noch einmal sehen wollen.

Volles Haus ist ihm lieber

„Da kann sich das Publikum im Audimax auch mal halbieren“, sagt Leschke. „Ich hab’s lieber voll, dann ist es interaktiver und ich meine, die Studenten konzentrieren sich besser. Aber ich kann verstehen, dass es zu Hause angenehmer ist.“

Der App-Professor: Sebastian Schanz (39)

Vor zwei Jahren hatten Professor Sebastian Schanz vom Lehrstuhl Betriebswirtschaftliche Steuerlehre und sein Informatiker-Kumpel Johannes Stüber an Weihnachten Langeweile. Das Ergebnis: eine App, mit der man BWL-Wissen testen kann.

„Mir geht es darum, die Ausbildung besser zu machen“, sagt Schanz. Dieses Jahr hat er vier große Veranstaltungen mit etwa 3000 Studenten. Für jede hat er eine App programmiert. Zum Beispiel steuern.quiccx.de.

Quiz-Spaß nur für Spezialisten

Das Prinzip ist simpel: Erst ein Kapitel auswählen. Dann den Schwierigkeitsgrad leicht, mittel oder schwer. Und schon beginnt der Quiz-Spaß zum Beispiel mit der Frage: „Das Ziel steuerlicher Suboptimierungsmodelle ist die Minimierung der Steuerbelastung – wahr oder falsch?“

„Es gibt viele Apps dieser Art“, sagt Schanz. „Aber meistens erhalten Sie zur Lösung keine Begründung.“ Deshalb hat er nicht nur die etwa 2500 Fragen, sondern auch die 5000 Antworten selbst geschrieben.

Der Erfolg hat ihn überrascht

Macht etwa 1000 Stunden inklusive Programmieraufwand. „Alles Freizeitspaß“, sagt Schanz. Für die Studenten trotz der spröden Materie offenbar auch. „Wir hatten in den ersten fünf Monaten 300 000 Hits“, sagt Schanz. „Das hat mich schon überrascht.“

„Ziel ist, die App so weiterzuentwickeln, dass man gegeneinander spielen kann.“ So, dass er seine Studenten oder diese einander direkt in der Vorlesung fragen kann und sie stimmen ab – ähnlich wie bei der Publikumsfrage in der Fernsehsendung „Wer wird Millionär“.

Hier hakt es noch

Dazu verwendet er derzeit Pingo (das steht für "Peer Instruction for very large groups"), eine App der Uni Paderborn, die er künftig auch in Quiccx einbinden will.

Und er will die verschiedenen E-Learning Plattformen unter ein Dach bringen. "Moodle, die Plattform, die hinter dem E-Learning-Portal der Uni steckt, kann man nicht im Hörsaal anwenden", sagt Schanz - sondern nur Dateien und Videos herunterladen.

So viele Möglichkeiten: Im Uni-E-Learning-Portal Moodle sind lustige Sachen, um Studenten Stoff beizubringen. Wie viele wohl den Hot Pot oder Sudoku dazu nutzen? Foto: Katharina Wojczenko

Info: Die App kostet 1,99 Euro. Die Online-Version, die ebenfalls auf dem Handy zu spielen, ist gratis.

Der Bibliotheksdirektor: Ralf Brugbauer (55)

„Digitalisierung eröffnet in der Wissenschaft ganz neue Möglichkeiten“, sagt Ralf Brugbauer. „Wenn Sie ein Buchkapitel herunterladen, können Sie das überallhin mitnehmen.“

Wissenschaftlich zu arbeiten sei somit deutlich einfacher: „Aus einem E-Book können Studierende und Lehrende nicht nur Kapitel und Zeichnungen übernehmen, sondern auch Grafiken direkt in eigene Arbeiten einbetten – sofern sie das Urheberrecht beachten.“

Er hatte überall Papierstapel

Als Brugbauer seine Diplomarbeit in Biologie anfertigte, hatte er in seinem Studentenzimmer überall Papierstapel mit Aufsätzen. Seine Arbeit speicherte er auf einer Diskette. Heute existieren kaum mehr Geräte, um diese auszulesen. Daten zu erheben, zu ordnen, zu bewahren ist immer noch wichtig, der Umgang mit ihnen aber völlig anders.

In seinem Alltag kämpft sich der Chef der Unibibliothek derzeit vor allem durch das Dickicht des Urheberrechts. Hier sind er und seine Mitarbeiter die Schnittstelle zwischen Politik, Verlagen und Universität. Ein weiterer Punkt sind die Lizenzen.

Lizenzen: Wer darf wann, wo, wie lange lesen?

Brugbauer und sein Team müssen klären, von wo Nutzer auf die digitalen Werke zugreifen dürfen – ob nur am Bibliotheksrechner, auf dem Campus, im Wohnheim oder überall –, ob sie diese nur lesen oder herunterladen, gar kopieren dürfen und wie es um die Archivrechte steht; also wie lange die Nutzer und die Bibliothek auf die Werke Zugriff haben.

„Für die meisten Titel haben wir langfristige, quasi unbefristete Archivrechte eingekauft“, sagt Brugbauer. Diese zu speichern und langfristig zugänglich zu machen, bleibt ein Problem.

Daten liegen nicht mehr im Regal - sondern weltweit verteilt

Die Frage ist: Wo liegen die Daten? Teils auf dem Verlagsserver, teils auf Servern der Rechenzentren oder in deutschland- oder gar weltweiten Bibliotheksnetzwerken.

Die Zukunft scheint im E-Book zu liegen: Vor zehn Jahren kamen noch 40 000 bis 50 000 gedruckte Werke neu in die Bibliothek. 2015 waren es rund 25 000 Bücher – und fast genauso viele E-Books.

Digital kostet eher mehr

Sparen lässt sich in der Bibliothek durch Digitalisierung nicht. Im Gegenteil, sagt Brugbauer: „Auf Bücher beträgt die Umsatzsteuer sieben Prozent, auf E-Books 19 Prozent.“ Manche Verlage verlangen für das Abo einzelner E-Journals mehr als 20 000 Euro im Jahr.

Egal, wie digital die Uni wird: „Es kommen mehr Menschen in die Universitätsbibliothek denn je“, sagt Brugbauer. „Man hat hier viele Möglichkeiten, umso wichtiger sind Rückzugsorte. Hinzu kommt, in der Welt der unendlichen Möglichkeiten nicht allein zu sein. Einen Ort zu haben, wo man über all die Dinge nachdenken darf.“

Info: Die Uni-Bib verfügt über 1,8 Millionen gebundene Einheiten, also Bücher, aber auch Zeitschriftenbände. Zugänglich sind dort 440.000 E-Books, 500 Datenbanken und 38.000 Zeitschriftentitel. Es gibt etwa 1700 Arbeitsplätze, viele davon ausgestattet mit Computer.

Der wissenschaftliche Mitarbeiter: Sebastian Norck (28)

Foto: Ronald Wittek

Auch wenn immer mehr Studenten in seinen Veranstaltungen in ihren Laptop tippen: „Die Mehrheit schreibt auf Papier“, sagt Dozent Sebastian Norck von der Abteilung Stadt- und Regionalentwicklung am Geografischen Institut der Universität Bayreuth. „Wenn sie tippen, frage ich mich: Schreiben sie mit oder sind sie auf Facebook?“

Was die Digitalisierung angeht, hat Norck gemischte Gefühle. Seminararbeiten lässt er sich nur noch digital zukommen. „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die meisten Studenten die Arbeiten nach der Korrektur nicht wieder abholen. Das Papier kann man sich sparen.“

Für Abschlussarbeiten ist Papier Pflicht

Er korrigiert ins PDF. Die Noten meldet er digitalisiert ans Campus-Management. Abschlussarbeiten müssen Studenten gedruckt einreichen, einseitig und in dreifacher Ausfertigung.

Ist Digitalisierung nachhaltiger? Ökologischer? „Papierherstellung braucht Energie und Wasser“, sagt Norck. „Ein Tablet aber auch.“ Ganz zu schweigen von der Energie, um die Rechenzentren zu kühlen.

Er mag Papier lieber

Er selbst liest und schreibt immer noch am liebsten auf Papier, „weil es mehr Denkraum eröffnet“. Beim Tablet setzten Programme und Akkulaufzeit Grenzen und stünden dem schnell und unkompliziert festgehaltenen Gedanken im Weg. „Das Blatt beschränkt nur durch den äußeren Rahmen.“

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