Steno: Hochleistung mit Stift und Papier

Von Christina Knorz
Stenografielehrer Matthias Kuhn. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Matthias Kuhn ist das menschliche Äquivalent zu einem Computerprogramm, das ZIP-Dateien herstellt. Der 41-Jährige gehört zu den Topleuten in seinem Bereich. Er macht einen Job, der ihn in Vorstandssitzungen bringt, in brisante Gerichtsverhandlungen und in Beratungen unter Politikern. Dieser Beruf heißt Stenograf.

 
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„Das ist ein Hochleistungssport“, sagt Matthias Kuhn (41). Damit meint er, das gesprochene Wort in Kurzschrift aufzunehmen und später in Langschrift – das herkömmliche Schriftdeutsch – zu übertragen. Bayreuth ist der einzige Ort in Deutschland, an dem man lernen kann, Stenografie zu lehren. Nur hier kann man die Berechtigung zum Unterrichten erwerben. Kuhn unterrichtet derzeit im ehemaligen Leers’schen Waisenhaus in St. Georgen zwölf angehende Stenografie-Lehrer und solche, die es ganz genau wissen wollen mit der Kurzschrift.

"Steno war Pflicht in meinem Beruf"

Früher bat der Chef zum Diktat, dann erschien die Sekretärin mit Block und Bleistift, stenografierte den Brief und tippte ihn schließlich auf der Schreibmaschine. Daran kann sich Luise Lorange (54) noch erinnern. „Steno war Pflicht in meinem Beruf.“

Heute umreißt der Chef den Charakter des Schreibens mit eigenen Worten und sie formuliert ihn selbst. Lorange hält trotzdem an der Kurzschrift fest. Ohne technische Unterstützung das gesprochene Wort aufnehmen zu können, empfindet sie nach wie vor als Vorteil in ihrem Beruf. „Und als Gedächtnistraining.“

Gefragte Leute in Aktionärsversammlungen

Stenografen sind heute gefragt, wenn es darum geht, Gesprochenes schnell zu verstehen, in komprimierter Form niederzuschreiben und Ton- oder Videoaufnahmen verboten sind. In Gerichtsverhandlungen zum Beispiel, in Parlamentsdebatten und Vorstandssitzungen. „Vier bis fünf Stenografen“ seien bei wichtigen Aktionärsversammlungen dabei, erzählt Kuhn.

Sie hören die Fragen der Aktionäre, stellen sie in den gesprochenen Kontext und schicken das ins Backoffice der Versammlung. „Dort sitzen Juristen, beantworten die Fragen und schicken es via Computer an die Vorstände“, sagt Kuhn. Der Vorstand müsse dann nur noch Frage und Antwort zusammen vorlesen. „Vorstände antworten ungern spontan, wegen möglicher Ungenauigkeiten und folgender Rechtsstreitigkeiten.“

Nicht nur schnell, sondern auch richtig

Die Spitzenleute der Branche, ungefähr 100 Stenografen in Deutschland, arbeiten für Parlamente und Gerichte. „Da ist der Tacho die ganze Zeit im roten Bereich“, sagt Kuhn. Zu Gerichtsverhandlungen gehe man „immer zu zweit“, damit die Chance höher sei, dass man es hinterher richtig entziffert. Die Kunst der Stenografie besteht darin, nicht nur schnell, sondern richtig zu sein.

Das zeigt sich erst in dem Moment, in dem die Kurzschrift in die Langform übertragen wird. „Alles muss in Sekundenbruchteilen passieren“, sagt Kuhn. „Wenn man für ,fahren‘ nur noch ,fa‘ schreibt und für ,fach‘ ebenfalls, dann hat man ein Problem bei ‚Fahr- oder Fachschule‘.“ Am schlimmsten seien Eigennamen: „Die dauern.“ Blöd für die Mitschrift von Debatten, in denen es um die drei größten russischen Pharmafirmen geht: „Extrem hässlich.“

Immer ganz vorne bei der deutschen Steno-Meisterschaft

Ihr Können testet die Branche bei deutschen Meisterschaften. Dort wird zehn Minuten lang ein Text vorgelesen, wobei die Sprechgeschwindigkeit von Minute zu Minute zunimmt. Am Anfang sind es 250 Silben pro Minute, am Ende 475 Silben. Das entspreche der achtfachen Normalschreibgeschwindigkeit, erklärt Kuhn. „Jeder schreibt auf, so weit er kommt, und dann brüten wir vier Stunden lang, was wir da geschrieben haben.“

Die Jury bewertet am Schluss die Transkription, also die Übertragung in die Langform. Die Prüfer sind streng. Sie erlauben auf 100 Silben nur einen Fehler. Kuhn gehört auch in diesem Bereich zu den Topleuten der Branche. Zwei Jahre in Folge holte er sich den Meistertitel. 2016 und dieses Jahr musste er sich mit dem Vizemeister zufriedengeben.

In Deutschland noch vergleichsweise lebendig

Boris Neubauer (53) betreibt die Stenografie als zeitaufwendiges Hobby. Der Physikprofessor der Uni Bayreuth ist Vorsitzender der Forschungs- und Ausbildungsstätte für Kurzschrift und Textverarbeitung in Bayreuth. Er ist Dozent, Bibliothekar und hat Mitte der 80er Jahre dort selbst den Abschluss gemacht. Vor 15 Jahren war Bayreuth schon die letzte Möglichkeit in Deutschland, die Ausbildung zum Lehrer der Stenografie zu absolvieren. „Das hat uns damals schon nicht beeindruckt“, sagt Neubauer. „Wir machen einfach weiter und wir haben heute sogar doppelt so viele Leute in der Stenografie-Ausbildung wie in der Textverarbeitung.“

In Deutschland sei die Stenografie mit 10.000 Mitgliedern in örtlichen Vereinen noch vergleichsweise lebendig. „In Dänemark gab es Mitte der 60er Jahre die letzten ausgebildeten Stenografen.“ Bayern habe Stenografie sogar noch im Lehrplan, „allerdings nur als Wahlfach“.

Die Geschichte der Schule beginnt 1934

Die Lehrerausbildung für Stenografie wurde 1934 in Kulmbach gegründet, erzählt Neubauer. 1936 kam das Institut nach Bayreuth. Damals wurde das Haus der Deutschen Kurzschrift am Luitpoldplatz eingeweiht. Das Geld dafür sei damals von den Stenografievereinen gekommen. Das Haus wurde im Krieg beschädigt, mit allem Inventar von den Alliierten beschlagnahmt und nach dem Krieg an den Freistaat geschenkt.

„Wir mussten das zurückkaufen“, sagt Neubauer. „Die Schreibmaschinentische, die Bibliothek, das hat sich der Freistaat bezahlen lassen.“ Das Haus am Luitpoldplatz sei nicht mehr zu bekommen gewesen, also war die Ausbildungsstätte an der Regelschule untergebracht. In den 80er Jahren zog man schließlich ins ehemalige Waisenhaus neben das Gefängnis in St. Georgen.

Alle vier Jahre ein Jahrgang Lehrer

Alle vier Jahre bilden Neubauer und Kollegen einen neuen Jahrgang Stenografie-Lehrer aus. Ein Jahr lang Fernunterricht mit drei Präsenzseminaren, gefolgt von einer Woche zur Prüfungsvorbereitung in Bayreuth mit anschließenden Prüfungstagen mit mündlichen und schriftlichen Tests sowie Lehrproben.

„Im Idealfall gibt es nächste Woche zwölf neue Stenografielehrer.“

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