Plus: Bayreuth ist tot - ohne dass das eigentlich irgendwie begründet wird. Das erzeugt beim Lesen höchstens ein müdes Lächeln hier und da, eigentlich ein dauerhaftes Gähnen. "Frühstück, Braten, Spaziergang, Brötchen, Oper, Cocktail", diese "erdrückende Monotonie" - das soll alles gewesen sein, was Sargnagel und Witzmann in Bayreuth herausgefunden haben? Das können die doch besser.
Soziogramme von Hochkultur-Reisenden
Das ist doch nicht Bayreuth, das sind doch nicht die Wagner-Festspiele. Das ist mikrosoziologisch eine Analyse des Festspiel-Publikums überall. Oder von reichen Senioren auf Kunst- und Kulturreisen im allgemeinen. Ein Gebiet, das im übrigen nicht mehr erforscht werden muss, denn das Fazit hier, "Essen ist der Sex des Alters", ist ja auch schon hinlänglich bekannt.
Hat die Wagner-Heaviness die Kreativität erschlagen?
Das, wofür Sargnagel bekannt und beliebt wurde, ihre Facebook-Miniaturen direkt aus der Wiener Eckkneipe und anderen abgeranzten Orten, hat sie leider nicht tiefergehend in den fünf Tagen Bayreuth angewandt. Den Leuten zwar am Büffet im Hotel und in den Pausen am Grünen Hügel ein bisschen aufs Maul geschaut. Aber eben nur ein bisschen. Oder war sie so blockiert und erschlagen von der "Wagner-Heaviness", die etwa die eigene Kreativität verdrängte? Wagner macht ja vieles mit Menschen, auch mit denen, die ihn eigentlich nichts mit sich machen lassen wollen. Aber für einen expliziten Feuilleton-Besuch und einen Text wie ein Opern-Akt ist das wiederum eine erschlagende Erkenntnis. Da fand das Wähnen keinen Frieden, weil offensichtlich erst gar kein Wähnen stattgefunden hat.
Wie Sargnagel selbst auf Twitter schrieb, brauchte sie für den Text bis zum 15. August und fragte sich selbst, "ob der so durchgeht". Für diesen Text habe ich, da am Desk in einem Großraumbüro und dazu als verantwortliche Aktuell-Redakteurin für dieses Internetz arbeitend, mit Unterbrechungen circa zwei Stunden gebraucht, er mag daher stilistisch und urteilerisch nicht feuilletonistisch sein (nee, isser nicht), dafür aber ging er bei den Kollegen auch durch und ist mit all der Heaviness des Kritikerkritiker-Berufes. Auch ich würde Sargnagel wieder lesen.
Das Autorenduo:
Stefanie Sargnagel, eigentlich Stefanie Sprengnagel (30), ist eine Wiener Autorin und Künstlerin. Sie studierte Kunst bei Daniel Richter und arbeitete auch mal in einem Callcenter. Über Österreich hinaus bekannt wurde sie mit ihren Kürzestgeschichten mitten aus dem Alltag der Wiener Nicht-Orte auf Facebook. Inzwischen hat sie zwei Bücher veröffentlicht: "Binge Living. Call-Center-Monologe" (2013) und „Fitness“ (2015). Letztes Jahr reiste Sargnagel zum Bachmannpreis, um sich dieses hochkulturelle Ereignis mal anzusehen, dieses Jahr war sie selbst eingeladen und gewann den Publikumspreis. Auf diesem Tumblr macht Sargnagel ganz viel Internet-Kunst und veröffentlicht ab und zu noch anderes. Markenzeichen: rote Baskenmütze (ja, auch in Bayreuth, daher hatten wir uns schon gedacht, dass sie diesmal für die "Zeit" den Festspiele-Text schreibt) und ewig Selbstgedrehte.
Martin Witzmann ist im Netz unter "MÜDE" zu erreichen, wo er sich künstlerisch mit Banalitätenkrieg auseinandersetzt. Er ist außerdem die eine Hälfte des genauso heißenden musikalischen Duos. Nicht zu verwechseln mit dem ebenfalls in Wien aktiven Schauspieler Martin Witzmann, der auch ab und an musikalisch unterwegs ist.
Zusammen als Autorenduo haben Sargnagel und Witzmann für die "Vice" 2014 bereits ein Wochenende Formel 1 feuilletonistisch begleitet.
PS: Hab ich beim Recherchieren gefunden. Ich bin sicher, das ist eine virtuelle Koexistenz von Werbung und Content (bei der taz), wie sie Stefanie Sargnagel gefällt: