Stefanie Sargnagel: Bayreuther Monotonie

Von Kerstin Fritzsche
Stefanie Sargnagel war dieses Jahr für die "Zeit"-Festspiele-Kritik der besonderen Art auf dem Grünen Hügel. Was sie am meisten beeindruckt zu haben scheint: Monotonie. Archivfoto: dpa Foto: red

Die "Zeit" schickt jedes Jahr jemanden, der im Feuilleton angesagt oder umstritten oder beides ist, nach Bayreuth zu den Festspielen. Da begeben sich die zumeist jungen Autoren auf Spuren- und Erlebnissuche. Ziel: Bayreuth und Wagner irgendwie anders erleben und dann ganz heftig auseinandernehmen. Ironisiert und so, mit Blick auf die hohe Kunst in der Provinz und leider auch oft mit Großstadt-Blick auf die Kleinstadt Bayreuth. Ein Blick, bei dem leider schon vor dem Besuch feststeht, dass man alles doof, mindestens aber komisch findet. Dieses Jahr wurde die Wiener Autorin Stefanie Sargnagel zusammen mit ihrem Freund Martin Witzmann zu uns geschickt.

 
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Das Fazit des diesjährigen "Zeit"-Festspiele-Textes: Stefanie Sargnagel und Martin Witzmann erleben eine "Ring"-Länge Bayreuth als weitgehend toten Ort mit alten Menschen und großem Gefresse. So öde alles, dass man selbst altert während der fünf Tage in der Wagner-Stadt. Und überall vermeintlich Hitler sieht, dem man, vielleicht ist das so ein Österreicher-Ding, genauso wie "dem Meister" in angsterfüllter Ehrfurcht gegenübersteht. "Wagner ist zu heavy für uns alle" schreibt Witzmann am Ende. So heavy, dass es schon wieder furchtbar attraktiv ist. Der "Selbstzweck ohne die Mittel", gleichsam "heilsamste und strengste Erfahrung". Klingt mehr griechisch als germanisch. Und weil die Bayreuther Monotonie so heilsam ist, vom Beschäftigen mit sich selbst ablenkt, ja, eigenes Kunst-Machen und kluge Gedanken vermutlich komplett erschlägt, wollen Sargnagel und Witzmann wiederkommen.

Warum nicht mal Salzburg abseits von Mozartkugeln-Bräsigkeit?

Da haben Bayreuth und die Festspiele in den letzten Jahren teilweise echt schlechter abgeschnitten. Sargnagels und Witzmanns Hauptpunkte, alte Leute und viel üppiges Essen, haben ja gar nicht so viel mit Bayreuth oder den Festspielen zu tun. Und wer sie sucht, der findet sie auch. Auch anderswo. Das wäre sicherlich auch in Salzburg so. Oder andersherum: Warum versuchen Feuilleton-Hipsters nicht mal in Salzburg alternative Kultur zu finden, andere Gasthäuser und andere Menschen abseits von Mozartkugeln-Bräsigkeit? Die Alternativen sind immer so alternativ, wie man sie alternativ sein lässt.

Bayreuth ist mehr als Maximilianstraße

So mutet es schon etwas komisch an, dass das Autorenduo fast täglich auf der Maxstraße stolziert (das macht man eher in München) und auch dort speist und Kaffee und Wein trinkt. Eine Internet-Suche "Bayreuth alternativ" ergibt einen Treffer auf die örtliche AfD, schreibt Sargnagel. Da hat sie einen Punkt, "alternativ" bedeutet ja nicht immer "anders". Oder eben anders "anders". Dass Bayreuth sich kulturell neben E, also Hochkultur, nicht immer soooo gut verkauft, würden sicherlich die meisten jungen Menschen hier (ja, doch, es gibt sie) unterschreiben. Aber ohne Smartphone-Suche wäre es doch viel einfacher gewesen: Von der Maxstraße um ein paar Ecken - und das Autorenduo hätte "easily" in all der Wagner-"heaviness" Alternativen gefunden: das "Rosa Rosa", den "Heimathafen", den "Kraftraum", ....

Oder hätte sich eben statt in "Gabys Treff" und "Deniz" - vor allem, wenn man das zu Hause in Wien auch so hat - lieber in die richtigen traditionellen Gaststätten gesetzt. Eine Sargnagel-Beurteilung von Manns Bräu oder der "Eule" wäre vermutlich ziemlich interessant geworden. Aber stattdessen gibt's in der "Zeit" nur Bratwurst-Journalismus vom Grünen Hügel (viel Fett für altes Fleisch), wo das Bier (kein fränkisches!) ja "um die sechs Euro" kostet, was mehrfach erwähnt wird. PS: Pausen-Sekt in Bayreuth ist der teuerste von allen Festspiele-Pausen-Sekten (sic!) der Welt.

Coppola war halt danach da

Enttäuschung auch über zu legere Stimmung und zu wenig Fotografen, Kameras und "trophy wifes", als wäre die Nachricht mit dem Festspiele-Eröffnungs-Understatement aufgrund der Anschläge von Ansbach und München nicht angekommen. Naja, und Christoph Waltz und Francis Ford Coppola waren halt erst nach Sargnagel und Witzmann da. Stattdessen zieht man sich lieber auf gezielte Provokation (Vorstellung, wie einst Winifred Hitler die Hoden im Festspielhaus kraulte) und bekannte Klischees ("Wagner ist wie eine Geburt, am schönsten ist es, wenn es vorbei ist. Nach der Läuterung die Erlösung.") zurück.

Plus: Bayreuth ist tot - ohne dass das eigentlich irgendwie begründet wird. Das erzeugt beim Lesen höchstens ein müdes Lächeln hier und da, eigentlich ein dauerhaftes Gähnen. "Frühstück, Braten, Spaziergang, Brötchen, Oper, Cocktail", diese "erdrückende Monotonie" - das soll alles gewesen sein, was Sargnagel und Witzmann in Bayreuth herausgefunden haben? Das können die doch besser.

Soziogramme von Hochkultur-Reisenden

Das ist doch nicht Bayreuth, das sind doch nicht die Wagner-Festspiele. Das ist mikrosoziologisch eine Analyse des Festspiel-Publikums überall. Oder von reichen Senioren auf Kunst- und Kulturreisen im allgemeinen. Ein Gebiet, das im übrigen nicht mehr erforscht werden muss, denn das Fazit hier, "Essen ist der Sex des Alters", ist ja auch schon hinlänglich bekannt.

Hat die Wagner-Heaviness die Kreativität erschlagen?

Das, wofür Sargnagel bekannt und beliebt wurde, ihre Facebook-Miniaturen direkt aus der Wiener Eckkneipe und anderen abgeranzten Orten, hat sie leider nicht tiefergehend in den fünf Tagen Bayreuth angewandt. Den Leuten zwar am Büffet im Hotel und in den Pausen am Grünen Hügel ein bisschen aufs Maul geschaut. Aber eben nur ein bisschen. Oder war sie so blockiert und erschlagen von der "Wagner-Heaviness", die etwa die eigene Kreativität verdrängte? Wagner macht ja vieles mit Menschen, auch mit denen, die ihn eigentlich nichts mit sich machen lassen wollen. Aber für einen expliziten Feuilleton-Besuch und einen Text wie ein Opern-Akt ist das wiederum eine erschlagende Erkenntnis. Da fand das Wähnen keinen Frieden, weil offensichtlich erst gar kein Wähnen stattgefunden hat.

Wie Sargnagel selbst auf Twitter schrieb, brauchte sie für den Text bis zum 15. August und fragte sich selbst, "ob der so durchgeht". Für diesen Text habe ich, da am Desk in einem Großraumbüro und dazu als verantwortliche Aktuell-Redakteurin für dieses Internetz arbeitend, mit Unterbrechungen circa zwei Stunden gebraucht, er mag daher stilistisch und urteilerisch nicht feuilletonistisch sein (nee, isser nicht), dafür aber ging er bei den Kollegen auch durch und ist mit all der Heaviness des Kritikerkritiker-Berufes. Auch ich würde Sargnagel wieder lesen.

Das Autorenduo:

Stefanie Sargnagel, eigentlich Stefanie Sprengnagel (30), ist eine Wiener Autorin und Künstlerin. Sie studierte Kunst bei Daniel Richter und arbeitete auch mal in einem Callcenter. Über Österreich hinaus bekannt wurde sie mit ihren Kürzestgeschichten mitten aus dem Alltag der Wiener Nicht-Orte auf Facebook. Inzwischen hat sie zwei Bücher veröffentlicht: "Binge Living. Call-Center-Monologe" (2013) und „Fitness“ (2015). Letztes Jahr reiste Sargnagel zum Bachmannpreis, um sich dieses hochkulturelle Ereignis mal anzusehen, dieses Jahr war sie selbst eingeladen und gewann den Publikumspreis. Auf diesem Tumblr macht Sargnagel ganz viel Internet-Kunst und veröffentlicht ab und zu noch anderes. Markenzeichen: rote Baskenmütze (ja, auch in Bayreuth, daher hatten wir uns schon gedacht, dass sie diesmal für die "Zeit" den Festspiele-Text schreibt) und ewig Selbstgedrehte.

Martin Witzmann ist im Netz unter "MÜDE" zu erreichen, wo er sich künstlerisch mit Banalitätenkrieg auseinandersetzt. Er ist außerdem die eine Hälfte des genauso heißenden musikalischen Duos. Nicht zu verwechseln mit dem ebenfalls in Wien aktiven Schauspieler Martin Witzmann, der auch ab und an musikalisch unterwegs ist.

Zusammen als Autorenduo haben Sargnagel und Witzmann für die "Vice" 2014 bereits ein Wochenende Formel 1 feuilletonistisch begleitet.

 

PS: Hab ich beim Recherchieren gefunden. Ich bin sicher, das ist eine virtuelle Koexistenz von Werbung und Content (bei der taz), wie sie Stefanie Sargnagel gefällt:

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