Schockfinale für den weisen Nathan

Von Michael Weiser

Der Traum der Aufklärer ist ausgeträumt: An der Studiobühne inszeniert Werner Hildenbrand Gotthold Ephraim Lessings Menschenfreunde-Drama "Nathan der Weise" als Märchen mit Schockfinale.

 
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Es ist mal wieder zu schön, um wahr zu sein. Gerade haben alle grundsätzlich Beteiligten ihre grundsetzliche Verwandschaft festgestellt, sie stehen kurz davor, einander in die Arme zu fallen, eigentlich fehlt nur noch, dass sie die berühmte Ode aus Beethovens Neunter anstimmen, mit Schillers berühmten Worten: "Alle Menschen werden Brüder".

Aber, wie gesagt: Das kann ja wohl nicht wahr sein. Die Welt hat wieder mal Fieber. Wer wollte da noch an Fried und Freude glauben? Nicht Werner Hildenbrand jedenfalls, nicht in seiner neuen Inszenierung von Lessings "Nathan der Weise".

Euphorieschwips und Kater

Wir werden an der Studiobühne Bayreuth also Zeugen einer Ernüchterung. Hildenbrands Ernüchterung. Vor einem Vierteljahrhundert hat er das Drama schon mal in Bayreuth auf die Bühne gebracht, mit einem Schlussbild der Zerstörung und der Hoffnung. 1991 also war das, ist auch schon eine Weile her, es hat sich seitdem im Nahen und Mittleren Osten eine Menge getan: diverse Aufstände in Palästinensergebieten, kleinere und größere Kriege. Dazwischen hoffnungsstiftende Ereignisse wie der Friedensprozess von Oslo, der arabische Frühling. Zwei, drei kleinere Euphorieschwipse, denen stets ein unverhältnismäßig schlimmer Kater folgte.

Nach ihnen die Sintflut

Ärger war das Schlamassel noch nie, aber sicherlich wird's nächste Woche noch schlimmer. Hildenbrand hat, wenn wir sein aktuelles Schlussbild, richtig deuten, die Hoffnung aufgegeben. Da schreiten drei unheilige Cowboys in den Sonnenuntergang oder richtiger: zum nächsten Geschäft. Und nach ihnen die Sintflut.

Hildenbrand nimmt Lessings grundsätzlich optimistische und menschenfreundliche Erzählung denn auch als Märchen. Über weiteste Strecken hat er daher kein Problem mit all den unwahrscheinlichen Wendungen des Stücks.

Verwegener Kostüm-Mix

Diesem märchenhaften Element mag auch der verwegene Kostüm-Mix geschuldet sein, den Jens Hübner den Akteuren zumutet. Mit weißem Trenchcoat, Camouflage, schusssicherer Weste und einem roten Barett angetan erweckt der Tempelritter vom Dienst (Jonas Irmler) einen zwielichtigen Eindruck; Saladin (Sigurd Sundby) kommt in seinem Kostüm rüber wie ein saudischer Potentat, inklusive Pilotenbrille: Schutz gegen das helle Licht der Aufklärung, oder einfach ein Klischee? Seine Schwester Sittah (Michaela Berner) wirkt wie eine Haremsdame, und auch als Klosterbruder (Frank Joseph Maisel) sollte man unbedingt davon absehen, Socken zu den Sandalen zu tragen.

Man sollte vielleicht, wie's mit Märchen nun mal so ist, die Ausstattung nicht dem Realitätscheck unterziehen. Das gilt auch für das Bühnenbild. Nathans Haus befindet sich an einer von Hochhäusern gesäumten Straße, der Anblick auf der Phototapete erinnert eher an Beirut als an Jerusalem, doch schafft dieses Bild durchaus Spielraum für die Phantasie. Was aber ist mit Saladins Domilzil? Ist nicht Zelt noch Palast, es ist irgendwie die leicht arabisierte Version einer  furnierten deutschen Wohnlandschaft. 

Das kann schon so machen. Wenn man das Ganze als Traumbild vor dem Kugelhagel sieht.

Nathans große Gesten

Im Zentrum des Stückes wie auch von Hildenbrands Inszenierung steht Nathan. Klaus Meile spielt ihn als klugen, liebevollen Mann, mit großer, gelassener Gebärde. Mit Recht erntete er den lautesten Beifall.

So souverän wie der Profi können nicht alle agieren, klar, um so mehr freut man sich über den Saladin von Sigurd Sundby: nicht ganz so melancholisch und resigniert wie von Lessing angelegt, eher ein entspannter, allerdings über die grundsätzlichen Anforderungen des Alltags (Finanzen!) leicht genervter Herrscher. Die jungen Menschen, Templer und Nathans Adoptivkind (Alix Hofmann) sind - wie sich ältere Menschen jüngere Menschen in der Gefühlsaufwallung der ersten Liebe vorstellen: ganz süß und  irgendwie unbeholfen, vor allem miteinander. Eine schöne Überraschung: Die durchaus souveräne, zwischen Strenge und liebevoller Hingabe schwankende Ziehmutter Daja (Michaela Proebstl-Kraß). Wie versprochen gab es zu lachen, vor allem wenn der Hanswurst von Derwisch (Oliver Hepp) die Szene betrat: Wer einen solchen Mann zum Kassenwart macht, muss wirklich sehr wenig Interesse an seinen finanzen haben.

Edelkitsch ade

Am Ende kann man sich vorstellen, wie Werner Hildenbrand einfach die Schnauze vollgehabt hat von dem, was uns heute wie Edelkitsch erscheint. Beethoven, Ode an die Freude, angesichts der Bilder aus Mossul oder Aleppo? Pfffff!

Die Welt lief schon mal runder.

Und die Inszenierung endet mit so was wie einem Kolbenfresser. Unvermittelt wird es dunkel. Feuerstöße zucken durch die Nacht. Gefeuert haben die drei Anzug-Cowboys mit Firmenlogo am Revers. Religionsvertreter, sozusagen. Visitenkarten tauschen sie auch noch aus.

Hildebrand hatte in diesem Augenblick keine Lust mehr auf den leisesten Anschein von Subtilität. Man kann das verstehen. Weiterhelfen tut's einem grad nicht.

Nächste Termine:  29. und 31. Dezember, 8., 10., 14., 18., 21., 22., 24., 26. und 28. Januar, 4. Februar.