Sänger feiert sein Bayreuth-Debüt und eröffnet als junger Seemann die Festspiele Tansel Akzeybeks doppelte Premiere

Von Michael Weiser
"Da spüre ich eine gewisse Nervosität": Tansel Akzeybek eröffnet als Junger Seemann im "Tristan" die Festspiele. Foto: Ronald Wittek Foto: red

Westwärts schweift der Blick, ostwärts streicht das Schiff: Tansel Akzeybek eröffnet am Samstag, 25. Juli, die Bayreuther Festspiele 2015. Als junger Seemann in „Tristan und Isolde“. Und, wie er sagt, als erster Türke bei den Festspielen.   

 
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Tag, Herr Akzeybek, Sie scheinen gerade ganz schön beschäftigt mit Interviews zu sein...
Tansel Akzeybek: Vielleicht hat das damit zu tun, dass ich der erste Türke bei den Festspielen bin. Oder (lacht), die anderen Sänger haben mehr zu tun.

Sind Sie am Ende enttäuscht, weil die anderen Solisten mehr zu singen haben?
Akzeybek: Bei den Bayreuther Festspielen? Nein, nicht ernsthaft. Das ist mein erstes Mal bei einer Wagner-Oper. Für mich ist das schon gut so.

Und dann Sie gleich mit die ersten Worten der neuen Saison...
Akzeybek: Ja, als der Junge Seemann. Und das auch noch aus dem Off. Da spüre ich eine gewisse Nervosität. Man eröffnet die Oper, und damit zugleich die Festspiele. Das bin ich. Ich ganz allein mit meiner Stimme. Ich eröffne die Festspiele mit meiner Stimme, a cappella, das ist etwas besonderes. Als allererster Türke.

Und das voraussichtlich vor den Ohren von Angela Merkel.
Akzeybek: Sie ist in Berlin Mitte meine Nachbarin, also sozusagen. Sie wohnt da, wo meine Frau und ich manchmal spazieren gehen. Wir haben sie auch schon gesehen. Ich freue mich, dass sie mich hört.

Spöttisch denken und singen

Weil Sie’s gerade selber so betont haben: Als allerersten Türken in Bayreuth... Würden Sie sich da ab und zu mehr Normalität wünschen?
Akzeybek: Ich wünsche mir natürlich etwas mehr Normalität zwischen Deutschen und Türken. Zumal es heutzutage viele Türken aus der zweiten und dritten Generation in Deutschlang gibt, die sowohl im sportlichen als auch im politischen Bereichen in wichtigen Positionen angelangt sind, DEutschtürken. So dass man nicht immer noch denkt, die Türken wären nur Gastarbeiter.

Singen Sie die Worte des Jungen Seemanns eher traumverloren oder eher spöttisch?
Akzeybek: Herr Thielemann sagt, ich soll spöttisch denken und singen. Und dabei hatte ich das ganz lyrisch angelegt, ich habe gedacht, ich singe das groß, mit vielen Legatos. Doch hat Christian Thielemann gesagt, du musst das spöttischer singen. Damit man auch die Empörung von Isolde versteht.

Was bedeutet Wagner für Sie? In Berlin sind Sie geboren, dort aufgewachsen...
Akzeybek: So ganz stimmt das nicht. Ich bin in Berlin geboren, aber mit sechs zurück in die Türkei, dort bin ich aufgewachsen, dort habe ich meine Ausbildung genossen, ich habe in Izmir am Konservatorium meine Ausbildung gemacht, und seit 2004 erst bin ich wieder in Deutschland. Ich habe erst mal in Lübeck eine kurze Ausbildung drangehängt, und dann kam schon das erste Engagement in Dortmund.

Wäre es für Sie auch denkbar gewesen, Ihre Karriere in der Türkei fortzusetzen?
Akzeybek: Während meines Studiums fing ich schon an der Staatsoper in Izmir an. Kleine Partien waren das, ich war zwanzig Jahre alt, davor hatte ich im Chor gesungen. Wissen Sie, wenn Sie da fest an der Oper singen, dann haben Sie in der Türkei eine praktisch unkündbare Stelle. Ich hatte als junger Sänger vorerst nur einen Einjahrsvertrag. Ich habe mich damals entschlossen, gleich meinen Militärdienst abzuleisten. Erst danach zog ich zu meiner Schwester, die schon in Lübeck wohnte. Dort gibt es ja auch eine Hochschule. Mein erster Plan war eigentlich gewesen, eine feste feste Stelle in der Türkei zu bekommen. Izmir ist eine sehr westliche Stadt, sie liegt am Meer, hat einen Strand, dann dazu eine unkündbare Stellung... Man hätte es sich dort gemütlich machen können. Dann kam dieses Angebot aus Dortmund. Mittlerweile bin ich deutscher Staatsbürger. Der Plan war aber anders gewesen. Bislang hatte ich Glück, alles läuft gut. Ich habe bislang auch nicht die Sehnsucht gehabt, in die Türkei zurückzukehren. Vielleicht im Sommer mal, im Urlaub. Ja, nach dem Meer sehne ich mich schon ab und zu.

Eher Smoking als Uniform

Aber den Militärdienst haben Sie abgeleistet? Ich kenne eigentlich nur Leute, die alles versuchen, um nicht in die Armee zu kommen.
Akzeybek: Wie gesagt, ich hatte keine feste Anstellung. Und anstatt an der Staatsoper noch einen Jahresvertrag lang weiterzumachen, habe ich beschlossen, sofort meinen Militärdienst zu machen, damit ich später keine Probleme bekomme. Ich hätte Schwierigkeiten befürchten müssen, dass, wenn ich wieder in die Türkei reise, auf einmal die Behörden vor der Tür stehen. Acht Monate, das geht, finde ich. Ich war bei einer Truppe für Staatsempfänge. Da habe ich die Nationalhymne gesungen, und Canzones. Ich habe acht Monate lang eher einen Smoking getragen als die Uniform.

Stimmt es also, dass Sie entdeckt wurden, als sie Popsongs trällerten?
Akzeybek: Ich war Hochzeitssänger, habe bei türkischen Hochzeiten gesungen. 100 Hochzeiten in dreieinhalb Monaten. Ich war ein Musiker, der am Keyboard steht und dabei singt, Popsongs und türkische Volkslieder. Als ich siebzehn war, musste ich mich entscheiden, was will ich machen? Ich wollte Zahnarzt werden, aber da ich nun schon einmal im Musikgeschäft drin war, sagte mir ein Bekannter, warum wirst du nicht Musiklehrer? Da hat man eine Stelle, kann eine Familie gründen, das ist so in der Türkei. Ein Bekannter gab mir dann Gehörbildung. Ich bin zur Musikschule gegangen, zu dem Bekannten, der ein Cousin meiner Mutter ist. Der sagte, deine Stimme geht ganz schön hoch, komm, ich bringe dich zum Gesangslehrer, und der sagte: ja, der ist wirklich Tenor, der kann aufs Konservatorium. Ich habe gefragt, was ist ein Konservatorium? Dort bildet man Opernsänger aus. Und ich wusste nicht einmal, dass es in Izmir ein Opernhaus gibt. Meine erste Oper war „Werther“ von Massenet, und ich bin eingeschlafen (lacht). Ich habe dann aber die Aufnahmeprüfung bestanden. Und so konnte ich eine Karriere anfangen, ohne dass ich wusste wie. Ich hatte auch niemanden in der Familie, der Musiker gewesen wäre.

Hört sich ein bisschen an wie ein Märchen.
Akzeybek: Das ist schon sehr weit weg. Ich denke nicht mehr darüber nach, wie ich da reingeraten bin. Ich hätte auch eine Gruppe gründen können, oder Zahnarzt werden können oder Ingenieur. Aber die klassische Musik kam echt überraschend. Es war wahrscheinlich auch Glück dabei. Und Bayreuth, das ist was besonderes. Ich bin der einzige aus meiner Klasse in Izmir, der Opernsänger geworden ist. Ich genieße das. Man muss das genießen, sonst ist es ein Horror-Job: Man steht vor zweitausend Leuten und singt. Es hängt alles von der Tagesform ab, wir sind da wie Sportler. Wenn du gute Form hast, singst du wie Pavarotti, und wenn nicht – na, dann wünscht du dir, auch nur in die Nähe davon zu kommen (lacht). Nein, im Ernst: Singen, das ist ein Hochleistungssport.

Könnten Sie sich auch schwerere Rollen vorstellen?
Akzeybek: Das ist schon hart, „Tristan“ im dritten Aufzug. Als Hirte bin ich die ganze Zeit auf der Bühne, sehe, was die Sänger in den Titelrollen leisten, und da denke ich mir schon ab und zu: Wenn ich da stehen würde, das wäre ein harter Brocken.

Pionier zu sein ist nicht mein Ziel

Als erster Türke in Bayreuth, sehen Sie sich da als Pionier?
Akzeybek: So ein Gefühl habe ich nicht. Ich bin in Berlin geboren als Kind einer Gastarbeiterfamilie. Ich habe so lange in der Türkei gelebt, bin in Izmir mit der türkischen Kultur aufgewachsen. Ja, insofern bin ich Türke. Ich fühle mich aber nicht so wie manche Deutschtürken, die zwischen den Stühlen sitzen. Ich habe mich auch in Deutschland nie fremd gefühlt. Ich musste ja auch schnell Deutsch lernen, damit ich Opern und Operetten gut interpretieren konnte. Pionier zu sein ist nicht mein Ziel. Ich muss nicht der erste sein. Wenn’s kommt, dann kommt es. Mir hat Peter Emmerich (Sprecher der Festspiele, Anm. der Red.) überhaupt erst gesagt, dass ich in Bayreuth der erste Türke sei. Wichtig ist das nicht. Ich war schon 2009 Stipendiat hier. Bis dahin hatte ich mich überhaupt nicht mit Wagner beschäftigt. Wagner, so heißt es immer, braucht große Stimmen, mit jungen Jahren sei er nicht gut zu singen, deswegen hatte ich weder in der Türkei noch in Deutschland große Berührung mit Wagner gehabt. Hier den ganzen „Ring“ anzuschauen war eine unheimliche Erfahrung. Ich hätte nie gedacht, dass ich mal nach Bayreuth komme und hier singe.

Welchen Stellenwert hat Wagner in der Türkei?
Akzeybek: Wir sind auf viele Zuschauer angewiesen. Die Theater sind nicht so subventioniert wie hier. Also macht man viele türkische Opern, viel italienisches Fach und französische Opern. An der Kinderoper der Komischen Oper in Berlin haben wir viele türkische Kinder im Chor. Vielleicht bin ich da ein Vorbild. Die Komische Oper ist ja auch die einzige mit türkischen Untertiteln. In der Türkei wird Wagner selten auf die Bühne gebracht. Von einem ganzen „Ring“ habe ich, glaube ich, noch nie gehört. Ab und zu wird irgendwo der „Tannhäuser“ gegeben, vielleicht auch der „Holländer“, aber der „Ring“ nie. Wir haben in der Türkei einfach nicht so viele für Wagner ausgebildete Sänger. Und ein ziemlich großes, ziemlich gutes Orchester brauchst du auch noch. Vielleicht bin ich doch ein Pionier. Ich war ja auch der erste Türke im Ensemble der Komischen Oper.