Richter Michael Ecksteins Begründung im Wortlaut Fall Peggy: Das Urteil

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Um 10.04 Uhr am Mittwochvormittag war der des Mordes angeklagte Ulvi Kulac (36) freigesprochen. Unsere Zeitung hat die Begründung des Vorsitzenden Richters Michael Eckstein (60) leicht gekürzt, aber im Wortlaut dokumentiert.

 
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"1. Das Urteil des Landgerichts Hof vom 30.5.2004 wird insoweit aufgehoben, als der Angeklagte Ulvi Kulac wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt wurde.

2. Der Angeklagte wird freigesprochen."

Beifall im Publikum.

Eckstein: „Das geht nicht, das ist eine Urteilsverkündung in einem Strafverfahren, ich bitte Sie, sich demgemäß zu verhalten.

3.Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.

In diesem Verfahren ging es um die Schuld oder Unschuld des Angeklagten Ulvi Kulac und bezüglich des angeklagten Tatgeschehens. Das war Messlatte für unsere Feststellungen. Natürlich wäre es sehr schön gewesen, wenn wir in diesem Zusammenhang neue Erkenntnisse gewonnen hätten.

Dem Angeklagten Ulvi Kulac wurde mit Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Hof vom 28.2.2003 zur Last gelegt am Montag, 7. Mai 2001, nach 13.15 Uhr die am 6.4.1992 geborene Peggy Knobloch in Lichtenberg im Bereich Schlossberg zur Verdeckung des am 5.3.2001 von ihm an Peggy begangenen sexuellen Missbrauchs ermordet zu haben.

Er soll ihr Mund und Nase zugedrückt haben, bis sie tot war. Der Angeklagte ist aus tatsächlichen Gründen freizusprechen, ein Tatnachweis ist nicht führbar.

Grundlage für die Anklageerhebung war das vom Angeklagten am Dienstag, 2.7.2002, abgegebene Geständnis. Zum damaligen Zeitpunkt befand sich der Angeklagte aufgrund Unterbringungsbefehls des Amtsgerichts Hof vom 5.9.2001 im Bezirkskrankenhaus in Bayreuth. Ihm wurde der sexuelle Missbrauch von Kindern vorgeworfen.

Zunächst war die später als Soko I bezeichnete Ermittlungsgruppe unter Leitung von Behrendt eingesetzt, bis im Februar 2002 eine andere Sonderkommission unter Leitung Geier mit der Sichtung der neuen Spurenlage und weiteren Ermittlungen beauftragt wurde. Ein kaum zu überbietender Ermittlungsaufwand wurde im Zusammenhang mit dem Verschwinden von Peggy Knobloch betrieben. Der Angeklagte befand sich im Fokus der Ermittlungen wegen des Verschwindens von Peggy Knobloch.

Der Angeklagte war bis zum 2.7.2002 mehrfach, zirka 20 Mal, vernommen worden wegen des Verschwindens von Peggy Knobloch. Stets hatte er in Abrede gestellt, damit etwas zu tun zu haben.

Am Dienstag, 2.7.2002, war der Angeklagte in den Vormittagsstunden in Anwesenheit seines Verteidigers Rechtsanwalt Schwemmer durch die Polizeibeamten Rößler und Markert in den Räumen der Polizei in (...) Bayreuth vernommen worden. Um 10.37 Uhr war die Vernehmung förmlich beendet. Der Rechtsanwalt hatte sich entlassen. Der Angeklagte sollte zurück ins Bezirkskrankenhaus gebracht werden.

Nach Verlassen des Vernehmungsraumes äußerte er gegenüber dem ihm bekannten Polizeimeister Hennig, dass er gestehen wollte. Der war dem Angeklagten aus Lichtenberg persönlich bekannt. Er wurde insbesondere für den Transport des Angeklagten eingesetzt.

Hennig begab sich daraufhin mit dem Angeklagten zurück ins Vernehmungszimmer. Der Angeklagte äußerte sich gegenüber über dem Polizisten, dass er die Tat begangen habe.

Im Bereich des Henri Marteau Platzes in Lichtenberg habe er auf Peggy Knobloch gewartet, er habe sich bei ihr wegen des vorangegangenen Missbrauchs entschuldigen wollen. Sie sei gekommen, sei allerdings dann vor ihm davongerannt, er sei ihr gefolgt, er habe sie aufgefordert, stehenzubleiben.

Im Bereich der Weggabelung sei Peggy über einen spitzen Stein gestolpert. Peggy habe sich hier an Kopf und Knie verletzt. Er habe sie aufgehoben und an den Armen festgehalten. Peggy habe gedroht, alles ihren Eltern zu erzählen. Sie habe ihm einen Tritt in die Genitalien verpasst und sei weiter gerannt.

Bei der Treppe sei sie erneut gestürzt. Er habe sie eingeholt, überholt und er habe ihr eine geschmiert. Er habe sie zu Boden geschubst. Peggy sei in der Bauchlage zu liegen gekommen, Peggy habe geschrien. Er habe ihr dann Mund und Nase zugehalten, bis sie sich nicht mehr rührte. Die Leiche und den Schulranzen habe er abgelegt, er habe Nic S. und Uli S. angerufen, und gebeten zu kommen. Diese seien dann nach 20 Minuten gekommen.

Nic S. und Uli S. sind dann nach cirka 20 Minuten gekommen, hätten mit ihm zusammen den Leichnam von Peggy und den Schulranzen von Peggy ins Auto verbracht, man sei gemeinsam nach Schwarzenstein gefahren, dort sei die Leiche und der Schulranzen im Wald abgelegt worden. In den nachfolgenden Videorekonstruktion wiederholte der Angeklagte das Geständnis allerdings mit noch auszuführenden Abweichungen.

Der Angeklagte widerrief in der Folgezeit im Jahre 2002 das Geständnis. Hinsichtlich der Wahrheit dieses Geständnisses wurde ein aussagepsychologisches Gutachten von Professor Dr. Kröber eingeholt.

In der Hauptverhandlung von dem Landgericht Hof 2003/2004 führt der Sachverständige aus, dass das geschilderte Geschehen auf tatsächlichem Erleben beruhe. Er schloss Suggestion und Parallel-Erlebnisse als mögliche Grundlage des Geständnisses aus. In der Hauptverhandlung vor dem Landgericht Hof wurde neben vielen anderen Zeugen auch der Zeuge Peter H. vernommen. Er gab an, dass der Angeklagte ihm als Mitpatient im Bezirkskrankenhaus ein grundsätzlich übereinstimmendes Geschehen geschildert habe.

Unter anderem deswegen sprach das Landgericht Hof den Angeklagten in seinem Urteil vom 30.4.2004 des Mordes schuldig.

Der Zeuge Peter H. hat im Jahre 2010 seine Angaben widerrufen, wir haben am ersten Hautpverhandlungstag 10. April 2014 hierzu den Ermittlungsrichter Wiesneth gehört.

In der aktuellen Hauptverhandlung führte der Sachverständige Professor Dr. Kröber am 6. Mai 2014 in Abweichung von seiner bisherigen Auffassung aus, dass es nicht ausschließbar sei, dass der Angeklagte ein falsches Geständnis abgelegt habe. Es sei denkbar, dass der Angeklagte Parallel-Erlebnisse und Vorhalte aus den Vernehmungen im Geständnis zusammengefügt habe.

Der Sachverständige geht jedoch weiterhin von der Glaubwürdigkeit des Geständnisses aus, da die Schilderung des Angeklagten einen kontinuierlichen, lückenlosen Ablauf über eine längere räumliche und zeitliche Strecke darstellt.

Bereits im Video vom 2.7.2002 ist auch auf Vorhalt der begleitenden Polizeibeamten kein Festhalten von Peggy nach dem ersten Sturz und kein Tritt in die Genitalien zu sehen.

Die Drohung durch den Verrat des Angeklagten durch Peggy wird genauso wie ein zweiter Sturz an der Treppe ebenfalls nicht geschildert.

Das Video vom 30.7.2001 weist wiederum Divergenzen auf. Nach dem Sturz über den Stein schildert der Angeklagte kein Festhalten von Peggy und keine Drohung, dass Peggy ihn verrate. Allerdings schildert er jetzt wieder den Tritt in die Genitalien. Im Bereich der Treppe schildert der Angeklagte keinen zweiten Sturz und auch keine Ohrfeige. Demgegenüber schildert er ein Umbringen der Peggy. Vor dem Stoß. Er habe Peggy zuvor überholt gehabt. Auch auf konkrete Vorhalte konnte sich der Angeklagte, dass Peggy ihn verraten werde, nicht erinnern.

Hinsichtlich der Leichenbeseitigung gibt es verschiede Versionen des Angeklagten. Im Geständnisakten-Vermerk vom 2.7.2002 ist wiedergegeben, dass Nic S. und Uli S. geholfen haben sollen. Die Schilderung des Angeklagten findet sich auch in der Videoaufzeichnung vom 2.7.2002. Allerdings haben alsbaldige Ermittlungen ergeben, dass beide an der Leichenbeseitigung nicht beteiligt sein konnten. Die hatten jeweils ein Alibi.

In der Videoaufzeichnung vom 30.7.2002 schildert der Angeklagte, dass sein Vater ihm geholfen habe und sie gemeinsam die Leich weggeschafft hat. Später gibt er an, dass sein Vater dies alleine erledigt habe, allerdings den Schulranzen wieder zurück ins Haus gebracht habe. Dieser sei dann im Wertstoffhof in Naila entsorgt worden.

Auch hinsichtlich der objektiven Umstände gibt es Divergenzen. Der Zeuge Kriminalhauptkommissar Müller hat angegeben, dass die Zeugin R. geschildert habe, dass Peggy den Schulranzen auf dem Rücken getragen habe als sie am Friedhof entlang ging. Der Angeklagte schildert, dass Peggy den Schulranzen in der rechten Hand getragen habe.

Das Wetter bei der Tatrekonstruktion am 30.7.2002 war ein sonniger Tag, wir haben das selbst gesehen auf dem Video. Auf die Frage, wie das Wetter am 7.5.2001, dem Tag des Verschwindens von Peggy, war, hat der Angeklagte gesagt: Genau so schön wie heute, 30.7.2002. Aufgrund der einvernommenen Zeugen steht jedoch fest, dass das Wetter am 7.5.2001 kalt war.

Desweitern fällt der Kammer zum Geschehensablauf noch Folgendes auf:

Der Angeklagte schildert auf Frage in den Videorekonstruktion, dass er über eine gewisse Wegstrecke hinter Peggy mit gleichem Abstand hergerannt sei. Die erscheint uns fraglich.

Desweiteren erscheint uns lebensfremd, das Peggy auch noch nach dem Sturz mit der Verletzung am Knie die Flucht mit dem Schulranzen in der Hand fortgesetzt hat. Wenn man sich vorstellt, dass ein Kind stürzt, blutet, dann ist eine andere Verhaltensweise naheliegend: schreien, weinen. Dass man sich den Schulranzen geben lässt und mit diesem weiter flieht in einer derartigen angstbesetzten Situation ist für uns schwer nachvollziehbar.

In dem Videorekonstruktion vom 30.7.2002 schildert der Angeklagte, dass er dann auf der Treppe Peggy eingeholt habe, er sei an ihr vorbei, er habe sie dann umgedreht und mit einem Stoß in den Rücken zu Boden gebracht. Auch dieser Ablauf des Geschehens erscheint eigenartig. Wenn man sich vorstellt, dass der Verfolger auf den Fliehenden aufschließt und sich auf einer Treppe befindet, dann sind andere Verhaltensweisen näherliegend, um den Fliehenden zu stoppen.

Die angesprochenen Versatzstücke, die dann in dem Geständnis vom 2.7.2002 nicht ausschließbar laut Sachverständigen zusammengesetzt wurden, ruft die Kammer nochmals in Erinnerung.

Der Richter liest Teile aus Ulvis Vernehmungen bei der Soko I vor, z.B.:Hast du der Peggy mal wehgetan, hast du sie mal aufgehoben? Ulvi: „Jetzt fällt mir wieder ein, dass ich die Peggy einmal aufgehoben habe. Da hatte sie eine Schramme am Arm gehabt. Ich habe ein Pflaster dabei gehabt und hab es ihr gegeben.“ Warum ist sie hingefallen? „Sie ist gestolpert.“

Im Geständnis vom 2.7.2002 findet sich der Sturz wieder, allerdings vom Pflaster ist nicht die Rede. Es handelt sich hierbei möglicherweise um ein Parallel-Erlebnis, das später im Rahmen des Geständnisses vom Angeklagten eingeräumt wurde. ...

Richter Eckstein spricht bei anderen Vernehmungs-Beispielen von einer „möglicherweise vorhaltenden Befragung“, die sich im späteren Geständnis „nachwirke“. (...)

Zusammenfassend hält die Kammer fest, dass das Geständnis aufgrund der Widersprüchlichkeiten alleine keine Grundlage für eine Verurteilung sein kann.

Hinzu kommt noch,dass dieses Geständnis mit keinem einzigen Sachbeweis zu belegen ist. Auch neueste Untersuchungen ... ergaben keinen Sachbeweise. Etwa die (...) Untersuchung der grünen Fasern aus dem Pkw des Vaters des Angeklagten."

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