EM-Qualifikation Löws Holland-Plan: Mentalität und Konsequenz

Die Nationalspieler um Niklas Stark, Leon Goretzka, Thilo Kehrer und Marco Reus (l-r) waren zum Teil unzufrieden. Foto: Swen Pförtner Foto: dpa

Der Bundestrainer hat beim Remis gegen Serbien eine gute Mentalität erkannt. Aber noch ist die Grundstimmung um die Nationalmannschaft ziemlich brüchig. Ist Holland derzeit eine Nummer zu groß? Direktor Bierhoff will Kredit bei den Fans unbedingt schnell zurückgewinnen.

 
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Wolfsburg - Jetzt läuft der Countdown für Holland. Doch inmitten der Vorbereitung auf das brisante Oranje-Duell schlüpfen Joachim Löw und seine Fußball-Nationalspieler noch schnell in den Blaumann.

Bei einem Besuch im Autowerk des neuen Generalsponsors VW werden Marco Reus, Leroy Sané und Co. am Freitag in Wolfsburg am Fließband stehen. Die Marketing-Aktion darf aber nur kurze Ablenkung sein. Denn für den Start in die EM-Qualifikation am Sonntag (20.45 Uhr/RTL) in Amsterdam verlangt Löw absolute Konzentration.

Nach dem Jahresauftakt mit reichlich Schönheitsfehlern beim 1:1 gegen Serbien setzt der Bundestrainer auf ganz viel Kommunikation. "Wir werden jetzt das Spiel unter die Lupe nehmen, aber ab Freitag beginnt die Vorbereitung. Das heißt, viele Gespräche führen, Situationen aufzeigen, der Mannschaft und einzelnen Spielern. Was können wir besser machen? Wo waren die Fehler?", beschrieb Löw seinen Plan. Nicht mehr dabei ist Lukas Klostermann. Der Leipziger zog sich bei seinem guten Debüt auf der rechten Abwehrseite einen Muskelfaserriss der Adduktoren zu und reiste aus dem Team-Hotel in Wolfsburg ab.

So kritisch wie seine Spieler wollte Löw nach dem durchwachsenen Start ins Länderspieljahr angesichts des großen Umbruchs nicht sein. Dem Remis konnte der Bundestrainer trotz altbekannter Defizite in der Defensive und bei der Chancenverwertung sogar positive Seiten abgewinnen. "Die Mentalität der Mannschaft, die so noch nicht zusammengespielt hat, war sehr gut. Das war ein deutliches Signal. Die Erfahrungen in der ersten Halbzeit müssen wir machen, aber mit der zweiten Halbzeit bin ich absolut zufrieden", sagte Löw.

Seine neuen Führungsspieler Reus und Ilkay Gündogan blickten allerdings mit Restzweifeln auf die schwere Partie in den Niederlanden. Zu frisch sind die Erinnerungen an das demütigende 0:3 im Oktober in der Amsterdam-Arena und das unnötige 2:2 im November in Gelsenkirchen, das den Abstieg in der Nations League besiegelte.

"Wir stellen uns nicht hin und sagen, wir sind klarer Favorit, weil wir einen Umbruch haben. Es muss sich erstmal alles finden. Aber wir haben nicht viel Zeit, in Holland geht es direkt zur Sache. Wir hoffen, dass wir das Sonntag bügeln können", sagte Reus, der gegen Serbien der Garant für den Aufschwung in der zweiten Hälfte war.

Auch Ersatz-Kapitän Gündogan formulierte eine latente Ungewissheit: "Sind wir besser als die Holländer, sind wir es nicht?", fragte der ManCity-Star. Seine eigene Antwort: "Verstecken müssen wir uns auch nicht. Wir haben schon eine schlagkräftige Truppe. Ein Unentschieden wäre erst mal nicht so schlecht", sagte Gündogan nach der für ihn bewegenden zweiten Halbzeit mit der schwarz-rot-goldenen Binde.

Löw meint das Grundübel beim Start in seine "neue Zeitrechnung" schon erkannt zu haben. "Fehlende Konsequenz" beim Verteidigen wie auch bei der geradezu verschwenderischen Chancenverwertung. "Diese Dinge müssen wir nochmal ansprechen", kündigte Löw seinen Aufgabenplan vor dem Flug von Braunschweig in die Niederlande am Samstag an.

"Wir müssen uns mit Holland noch auseinandersetzen", forderte Löw, der die Elftal noch einmal intensiv begutachten konnte. Der größte Kontrahent in der Gruppe C startete schon am Donnerstagabend in Rotterdam mit einem Heimspiel gegen Weißrussland in die Ausscheidungsrunde, in der Nordirland und Estland die weiteren Kontrahenten um zwei zu vergebende EM-Direkttickets sind.

Ein Null-Punkte-Fehlstart mit schon deutlichem Rückstand auf Oranje würde die ohnehin kritische Grundstimmung nach der Ausmusterung von Thomas Müller, Mats Hummels und Jérôme Boateng richtig ins Negative kippen lassen. Die Pfiffe in Wolfsburg zur Halbzeit verdeutlichten unüberhörbar die Ungeduld der Fans nach dem WM-Desaster in Russland und der Nations-League-Pleite. "Wir müssen uns wieder Kredit erspielen", forderte DFB-Direktor Oliver Bierhoff.

In den Zeiten der Krise sind es Nuancen, die für Gesprächsstoff sorgen. Die Torhüter Manuel Neuer und Marc-André ter Stegen klatschten sich bei ihrem Halbzeitwechsel nicht ab. Zufall? Oder ein Zeichen der Spannung im Team? Löw sieht keine Anzeichen für eine ungesunde Torwart-Rivalität und machte klar, dass Neuer in Holland spielen werde. "Davon können Sie ausgehen", sagte er. Herausforderer ter Stegen soll im Laufe des Jahres weitere Einsätze bekommen.

"Man hat viele Gesichter gesehen, mit denen ich in der U21 zusammengespielt habe. Jetzt liegt es an uns, zu zeigen, dass wir hier zurecht sind", beschrieb Torschütze Leon Goretzka den viel diskutierten Neuanfang. In Amsterdam sieht Löw keine Kapazität für neuerliche Experimente. Toni Kroos, Antonio Rüdiger und Reus werden als Stabilisatoren wieder in die Startelf rücken.

Der immer wichtiger werdende Außenstürmer Leroy Sané überstand ein böses Foul zum Glück unverletzt. "Keine Sorge, mir geht es gut", beruhigte er am Donnerstag via Twitter seine Fans. Löw hofft zudem auf die Dynamik des zuletzt grippekranken Münchners Serge Gnabry.

Gegen Serbien war zutage getreten, dass die Defensivzentrale mit Jonathan Tah an der Seite des gesetzten Niklas Süle zu große Probleme hatte und der unfassbare Chancenwucher des sehr agilen Sané sowie des unglücklich agierenden Timo Werner fast zur Niederlage geführt hätten. Die Serben hätten nach der frühen Führung durch Frankfurts Torjäger Luka Jovic einfach nur entscheidend nachlegen müssen. Löw weiß, dass Holland sich solche Chancen nicht entgehen lassen wird.

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