Regieassistent Patric Seibert im Interview über seine Statistenrolle "Ring"-Statist: "Ich bin der Störfaktor"

„Man muss Frank Castorf die Ironie verzeihen. Wenn er sich die Mühe macht, ironisch zu sein, dann bedeutet das, dass ihm etwas an der Sache liegt.“ Patric Seibert im Interview-Zimmer des Festspielhauses. Foto: Wittek Foto: red

In Frank Castorfs „Ring“-Inszenierung tauchen einige neue Figuren auf – im „Rheingold“ ein Barkeeper, in der „Walküre“ ein Arbeiter, im „Siegfried“ ein menschlicher Bär. Sie sollen die Abläufe stören – und auch die Sänger irritieren. Sie alle spielt Patric Seibert. Wir haben mit dem Regieassistenten über seine Rolle als geknechteter Statist und die Arbeit mit Frank Castorf gesprochen.

 
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Herr Seibert, wer sind Sie eigentlich?

Patric Seibert: Eigentlich bin ich Regieassistent und dramaturgischer Mitarbeiter von Frank Castorf. Wir haben zuletzt am Residenztheater in München zusammen die „Reise ans Ende der Nacht“ gemacht. Ich bin Ost-Berliner, Mitte der Siebzigerjahre geboren; ich habe in Novosibirsk studiert, Musiktheaterregie und Orgel. Und habe dann zuerst am Theater und inzwischen auch an verschiedenen Opernhäusern gearbeitet. Ab nächster Spielzeit bin ich Leitender Dramaturg in Meiningen.

Beim „Ring“ stehen Sie in allen vier Opern auf der Bühne – wie kam das?

Seibert: Das hat mit der Struktur der Proben zu tun. Wir haben im August 2012 mit „Siegfried“ angefangen – erster Akt, erste Szene. Da taucht ja dieser Bär auf. Ich habe den Bär in der Probe gespielt, Castorf gefiel ganz gut, was ich angeboten habe. Nach dem „Siegfried“ haben wir überlegt, diese Figur durch den ganzen „Ring“ laufen zu lassen – diesen Menschen, der immer der Geknechtete ist und am Ende immer verliert. Es gibt ja bei Beckett eine Figur, Lucky, die immer dabei ist, aber nichts sagt. Und wir wollten zeigen: Egal, welche hehre Politik gerade verhandelt wird – die Situation ganz unten ist immer gleich.

War Ihnen vorher klar, dass das auf Sie zu kommen kann?

Seibert: Überhaupt nicht.

 Sind Sie Schauspieler?

Seibert: Ich hatte Schauspielunterricht, habe auch relativ viel gespielt. Als Regieassistent springen Sie natürlich immer mal ein. Aber ich bin kein wirklicher Schauspieler.

 Sie sind aber jetzt fester Bestandteil dieses „Rings“ - nicht nur die Figur des Verlierers, sondern konkret Sie als Patric Seibert.

Seibert: Ja. Als Assistent bin ich ja sowieso hier. Und für Frank Castorf war es wichtig, dass diese Rolle nicht in dieses Umbesetzungsroulette gerät. Dass das vermieden werden sollte, war von Anfang an klar – wenn man sich über Wochen etwas erarbeitet, darf das nicht der Umbesetzungspolitik zum Opfer fallen. Deshalb legt er Wert darauf, dass die Leute hier zusammen bleiben.

 Können Sie ihren Job als Regieassistent überhaupt bewältigen, wenn Sie ständig auf der Bühne stehen?

Seibert: Nein, wir sind aber glücklicherweise zu dritt. Ein Kollege, Wolfgang Gruber, übernimmt die dispositionellen Aufgaben und macht die Probenpläne, ein anderer, Thomas Schramm, betreut uns von Seiten des Festspielhauses. Mich hat Herr Castorf praktisch mitgebracht. Ich habe kaum eine Szene von vorne gesehen, das meiste kenne ich aus der Videoaufzeichnung. Sollte ein Sänger ausfallen, sollte irgendetwas schiefgehen, kann ich auf der Bühne relativ gut eingreifen, ohne dass es sehr auffällt. Wenn ein Sänger ein Requisit vergisst, ist es für mich kein Problem, kurz abzugehen und dann mit dem Requisit wieder aufzutreten. Es hat auch Vorteile, die Energie zu spüren, die gerade auf der Probe ist. Wir hatten neulich eine Probe, die sich von der Bühne aus sehr gut anfühlte, die Herr Castorf aber unsäglich fand. Und da ist es dann gut, in die Diskussion mit dem Regisseur treten zu können, was denn da falsch war. Und man kann als Regieassistent auf der Bühne auch eine Art Schrittmacher sein. Um ein bisschen Tempo zu machen. Und eine Struktur vorzugeben.

 Sind Sie in Novosibirsk mit dem „Ring“ in Verbindung gekommen?

Seibert: Das wurde ganz normal durchgenommen. Ich habe das Studium 1998 abgeschlossen, und habe zwei Jahre später mit Valerij Gergiev den ersten russischen „Ring“ nach dem Zweiten Weltkrieg gemacht, in St. Petersburg. Es gab durchgehend eine Auseinandersetzung mit Wagner, in Russland, und auch in der Sowjetunion. Zumal Nososibirsk – ich weiß nicht, ob es immer noch so ist, aber als ich studierte, war es so – das größte Opernhaus Asiens hat. Von Stalin 1942 in Auftrag gegeben, um zu zeigen, dass die Sowjetunion auch in Kriegszeiten zu höchsten kulturellen Leistungen in der Lage ist. Dieses Opernhaus ist wie gemacht für Wagner.

 Warum sind Sie nach Novosibirsk gegangen?

Seibert: Ich habe in Ostberlin gelebt. Und dann brach die Wende über diese Stadt herein. Ich habe immer noch Probleme damit, wie diese Stadt, die mal meine Stadt war, jetzt ist. Und mit den neuen Bewohnern auch, die sich so gar nicht für die Menschen interessiert haben, die da vorher waren, und was das war, und wie das war. Was nicht heißt, dass ich sage, es war alles besser oder alles gut.   Mir fehlt aber eine Auseinandersetzung mit dem, was war, und aber auch mit dem, was über uns kam. Ich hatte einfach nur das Gefühl, ich muss da weg. Was auch damit zu tun hat, dass meine Familienstruktur nach der Wende einfach zusammenbrach, weil die Verwandtschaft komplett im Staatsapparat hing. Und da meine Mutter sowieso in Russland wohnte, habe ich mich zuerst in Leningrad, dann in Moskau und in Novosibirsk beworben.

Von Bayreuth aus betrachtet, eine spannende Entscheidung.

Seibert: Meine Verbindung mit Russland war immer sehr eng. Mein Großvater ist 1933 nach Moskau emigriert. Meine Mutter ist dort geboren, und meine beiden Onkels kamen dann mit der Roten Armee nach Deutschland. Für mich war es gar kein so exotischer Schritt. Hätte es die DDR länger gegeben, hätte ich wahrscheinlich auch in der Sowjetunion studiert.

 Wie haben Sie das öffentliche Echo auf den „Ring“ im vergangenen Jahr empfunden – sehr oft wurde die Inszenierung ja ein wenig abfällig als Ost-Ring bezeichnet, der gar nicht nach Bayreuth passe. Schmerzt Sie das?

Seibert: Dem muss ich widersprechen. Castorf ist kein Ostalgiker. Ihm ging es zu schlecht im Osten, um Ostalgiker zu sein. Ich habe vergangenes Jahr mit zwei Besuchern aus Schwerin gesprochen, die den „Ring“ gesehen hatten; die Dame war Psychologin, und sie sagte: Die Verarbeitung eines Traumas kommt 20 Jahre später. Das was sie gesehen hat, hat sie sehr bewegt, weil es sehr ehrlich war von Castorf, sagte sie. Ich glaube, Castorf ist gerade auf einem Weg des Abschiednehmens. Da ist wirklich viel vom Innersten Castorfs drin. Es ist ein unglaublich ehrlicher „Ring“. Die Dinge, die Wotan so passieren, die können auch ihm passieren. Ich glaube, manchmal muss man ihm seine Ironie verzeihen. Aber die ist bei ihm ein Prozess des Erkenntnisgewinns. Wenn er sich die Mühe macht, ironisch zu sein. Dann bedeutet das auch, dass ihm etwas an der Sache liegt.

 Wie ist es denn in Ihren Arbeiten? Das ist jetzt eine komische Frage, aber: Treibt Sie dieses Thema auch um? So dass Sie sich auf der Bühne damit auseinandersetzen?

Seibert: Ja. Seltsamerweise ja. Die deutsche Geschichte hat sich dermaßen in meiner Familiengeschichte niedergeschlagen – ich komme nicht raus. Ich arbeite mich auch an dieser deutschen Geschichte ständig ab. Das ist auch mein Thema. Und vielleicht ist es auch meine Aufgabe. Das ist vielleicht auch ein Schwachpunkt von mir – ich kann mich nicht so gut ironisch distanzieren wie Frank Castorf, ich hänge mehr drin. Aber das ist meine Handschrift, meine Art, an dieses Thema heranzugehen.

 Und der ja auch nur zu einem gewissen Grad willentlich beeinflussbar ist.

Seibert: Ja. Wenn man als Künstler ernsthaft arbeiten möchte – es gibt viele Leute, die versuchen, so wie Castorf zu arbeiten. Aber man sieht das Plagiat. Ich möchte nicht in einer Kritik lesen, es ist so ähnlich wie Castorf.

 Wie haben Sie sich eigentlich kennengelernt?

Seibert: Seit Castorf die Volksbühne Anfang der 90er übernommen hat, bin ich in dieses Theater gerannt. Ich habe eigentlich alles von ihm gesehen. Und da das Theater sehr offen ist, war ich auch immer im Dunstkreis dieses Theaters. Und ich kenne nun eine gute Freundin von Castorf, Gabi Gysi, die Schwester von Gregor Gysi. Mit ihr war Castorf in den 80er Jahren liiert. Und gerade als Frank Castorf ins Gespräch kam als „Ring“-Regisseur, hatte ich ein Frühstück mit Gabi Gysi. Sie las das und sagte: Wir rufen jetzt Frank an. Du musst mit Frank den „Ring“ machen.

 Und dann ging es ja auch schnell los. Es war ja sehr knapp.

Seibert: Ich kann mich auch an das erste Treffen mit Aleksandar Denic erinnern. Haben Sie mal das Büro von Castorf gesehen? Das ist so ein komplett holzvertäfelter Raum, und es ist unabschraubbar ein großes Stalin-Bild an der Wand. Und irgendwie lag diese Geschichte mit dem Öl in der Luft. Die erste Idee war dann, einen Zyklus zu zeigen: anzufangen mit dem 19. Jahrhundert, und dann stationsweise zu gehen. Aber so erzählt Castorf ja keine Geschichten. Er erzählt eine gewisse Strecke, wendet sich dann aber etwas ganz anderem zu. Es ist eher collagenartig, ein Puzzle, aus dem sich etwas ergibt. Aleksandar Denic hat sogar auf der Fahrt von Belgrad nach Berlin eine Scheune gefunden, die genau so aussah, und die er dann abbauen wollte und auf die Bühne stellen wollte. Das scheiterte. Und dann fing ich auch schon an, Bücher und DVDs zusammen zu schleppen und an Castorf weiterzureichen. Diese Arbeit war dann wirklich wie in einem Rausch.

Ein kurzer, heftiger Rausch?

Seibert: Von dem Treffen bis zum Modell waren es drei Monate. Dann war auch schon Abgabe. Castorf ist jemand, der so auch arbeitet. Das wichtigste ist für ihn, dass er in so eine Art Flow hineinkommt. Dass er einen Film hat. Und das Schlimmste ist dann, wenn unterbrochen wird. Dann reißt sein Film. Und dann kann er auch nicht mehr weiterproben. Ich glaube manchmal, so wie Castorf muss vielleicht auch Mozart gewesen sein. Dass das Werk manchmal größer ist als der Mann. Dass es so durch ihn hindurch geht. Und er das Medium ist.

 Entwickelt sich ihre Figur im Laufe der Zeit noch weiter?

Seibert: Ja, auf jeden Fall. Castorf ist da auch nie wirklich zufrieden. Er mag nicht, wenn man zu viel über die Rolle reflektiert. Sondern: Machen! Einfach machen! Und dann aus der Überforderung heraus das zeigen – ich glaube, was er gern zeigt, sind Menschen in Extremsituationen. Und manchmal ist die Extremsituation gar nicht gespielt.

 Ist das, was Sie als Barkeeper machen, festgelegt? Wann Sie wem welchen Drink bringen?

Seibert: Hier ist es so: Es gibt eine Choreografie, die festgelegt ist. Aber, und das ist auch meine Rolle, es muss einen Störfaktor auf der Bühne geben. Und dieser Störfaktor bin zum allergrößten Teil ich. Indem ich die Sänger mit Aktionen überrasche, um eine neue Wendung herbei zu führen.

 Ist das schon passiert?

Seibert: Ja. Mehrfach. Es ist einmal auch passiert, dass sich der Mime Burkhard Ulrich wehtat, weil der Amboss auf einmal ganz anders stand, als er dachte. Einmal sind auch die Spaghetti im „Siegfried“ zu einem vollkommen anderen Zeitpunkt aufgetischt worden – was dazu führte, dass Wotan dann statt dem Wein die Spaghetti über bekam. Und einmal flog ich über die halbe Bühne, weil ich zwischen Wotan und dem Dirigenten im Weg stand. Und der Wolfgang Koch dann auch keine Gnade kennt und mich aus dem Weg räumte.

Das Gespräch führte Florian Zinnecker.

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