Rechtzeitige Selbstanzeige bringt 38-Jährigem vor Gericht den entscheidenden Vorteil Bewährung für Kindesmissbrauch

Von Manfred Scherer
Weil er sich selbst angezeigt hat, ist ein wegen mehrfachen schweren sexuellen Missbrauchs seiner Steiftochter angeklagter mann vor gericht mit einer Bewährungsstrafe davon gekommen. Foto: Archiv dpa Foto: red

Sein Anwalt nennt es „widerlich“, was dieser Mann getan hat. Und dieser Mann selbst kann – oder will – nicht sagen, warum er das getan hat: „Ich suche die Antwort selbst.“ Dass er es getan hat, daran lässt ein 38-Jähriger vor dem Schöffengericht keinen Zweifel. Er gesteht acht Fälle des schweren sexuellen Missbrauchs an seiner Stieftochter. Warum er trotzdem nicht ins Gefängnis muss?

 
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Das Geständnis und der Umstand, dass er sich selbst bei der Polizei angezeigt hat, bewahrten ihn vor dem Gefängnis. Die Richter verhängten zwei Jahre Haft und setzten die Strafe zur Bewährung aus.

Die Sexualverbrechen geschahen demnach in den Jahren 2010 und 2011 in einem Ort im Fichtelgebirge. In vier Fällen befummelte der Angeklagte seine damals noch 13-jährige Stieftochter beim Kuscheln auf der Fernsehcouch. In vier Fällen verging er sich an dem Kind in dessen Zimmer. Den rechtlich erheblichen Zusatz „schwer“ bekommt der Tatbestand in den Fällen, weil das Befummeln jeweils mit einem besonders erniedrigenden Eindringen in den Körper des Opfers verbunden war.

Wie ein Mann seine Familie zerstörte

Der Prozess vor dem Schöffengericht offenbarte, wie ein Mann seine Familie zerstörte: Er hat mit seiner Ehefrau drei leibliche Kinder. Bis vor wenigen Jahren lebte auch seine Stieftochter mit im Haus. Mit 16 zog das Mädchen von zu Hause aus. „Damit das aufhört“, sagt die heute 19-Jährige als Zeugin vor Gericht.

Die Mutter erfuhr es Jahre danach

Ihre Mutter sagt: „Ich habe es auf ihre Pubertät geschoben, dass sie so zickig war.“ Dass in ihrem Kind etwas brodelte, bemerkte sie erst sehr spät. Erst vor gut einem Jahr, als sie ihre Tochter endlich zu Rede stellte, warum diese denn bei den wenigen Besuchen zu Hause noch immer so seltsam sei, rutschte der Tochter heraus: „Wie würdest du dich fühlen, wenn dein Stiefvater mit dir poppen will.“

Die Ehefrau ließ das Türschloss wechseln

Zu dem Zeitpunkt hatte die Tochter angefangen, sich zu offenbaren: Ihrem Freund, der wiederum mit dem leiblichen Vater sprach. Man kam überein: Sie müsse zur Polizei.

Auch der Stiefvater bekam das mit. Seine Ehefrau schmiss ihn hinaus, ließ das Türschloss auswechseln. Der Sexualtäter entschloss sich zur Flucht nach vorn und fand bei Rechtsanwalt Karsten Schieseck, einen der erfahrensten Strafverteidiger Bayreuths, Rat: Der Stiefvater stellte sich bei der Polizei und kam damit der Anzeige durch die Stieftochter zuvor.

Der Mann behauptet "Spontantaten"

Im Prozess erweckt der Angeklagte nach seinem Geständnis den Anschein, dass bald alles wieder gut werden könne: Er könne mit seiner Stieftochter mittlerweile „normal“ reden. Er lebe wieder zu Hause, wolle für seine Ehefrau und seine drei leiblichen Kinder da sein. Die Taten umschreibt er als „spontan“: Auf der Couch etwa habe er unter der Kuscheldecke seiner Stieftochter erst den Rücken oder den Bauch massiert und einmal habe das Mädchen sein Höschen hochgehoben. Und jedes mal sei seine Ehefrau auf der anderen Seite neben ihm auf er Couch gesessen und habe das nicht mitbekommen.

Die Ehefrau will nichts mehr von Harmonie wissen

„Das kann ich mir nicht vorstellen“, erklärte diese im Zeugenstand. Und von Familienharmonie will sie gar nicht sprechen: Ihr Ehemann habe von ihr den Schlüssel fürs Haus verlangt und lebe wieder bei ihr. Sie habe dem Verlangen nachgegeben und begründet dies mit dem „Jähzorn“ des Angeklagten. Sie sagt: „Die Trennung steht an. Ich kann ihm das nie verzeihen.“

Keine körperliche Gewalt oder Drohungen

Das Opfer bestätigt etwas, was später bei der Urteilsfindung positiv wiegen wird: Dass ihr Stiefvater nie körperliche Gewalt angewendet oder sie gar bedroht habe. Das Mädchen bricht vor Gericht erst dann in Tränen aus, als sie darüber sprechen soll, wie es ist, wenn sie heute ihre Mutter und ihre Stiefgeschwister besucht. Und als sie erzählt, dass ihr Stiefvater einmal ihre beste Freundin nach Hause gefahren habe und ihr dabei das Angebot gemacht haben soll, man könne doch mal auf einem Waldweg halten.

Der Angeklagte bestreitet pädophile Neigungen

„Das war scherzhaft gemeint“, sagt der Angeklagte dazu: „Ich hatte nie pädophile Neigungen“, sagt der Angeklagte. Die Kripo untersuchte den Computer des Mannes – und fand keine Kinderpornografie. Die Kripo prüfte auch, ob der Mann sich möglicherweise an seiner leiblichen Tochter vergangen haben könnte: Konkrete Beweise dafür wurden nicht gefunden – nur einmal soll die leibliche Tochter gesagt haben, wie unangenehm es ihr einmal gewesen sei, wie intensiv sie ihr Vater gewaschen habe.

Staatsanwältin Ramona Eichelsdörfer beantragte zwei Jahre und neun Monate Haft und verwies, dass die Einzelstrafe trotz einer Bewertung der Taten als minder schwere Fälle jeweils bei einem Jahr liege.

Verteidiger Schieseck beantragt zwei Jahre und Bewährung.

Dem schloss sich das Gericht unter Vorsitz von Torsten Meyer an. Eine Geldauflage verhängte das Gericht nicht: „Das wäre eine Strafe für die Familie.“ Die spürbare Strafe besteht in Form von 300 gemeinnützigen Arbeitsstunden, die der Verurteile „notfalls halt am Wochenende“ ableisten müsse. Überdies verordnete das Gericht dem Mann eine Sexualberatung.

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