Rathaus: Sanierung wird nicht einfach

Von Michael Grüner
Statiker Martin Hollweck (rechts hinten) erläutert vor dem Sitzungssaal den Auerbacher Stadträten das Eisentragwerk. Wenigstens an dieser Stelle gab es keine Hiobsbotschaft: Die Statik passt, das Tragwerk funktioniert. Im Hintergrund ist die Gewölbeform der Decke des Saales zu erkennen. ⋌Foto: Brigitte Grüner Foto: red

Das Auerbacher Rathaus wird kein einfacher Sanierungsfall. Das war für Architekt und Statiker spätestens seit den Untersuchungen der Bausubstanz im Vorfeld klar. Dass aber mächtige Balken nur zwei Zentimeter auf dem Mauerputz aufliegen, das übertraf dann doch die kühnsten Erwartungen. Nach dem Freilegen von Böden und Decken folgte eine Überraschung der anderen. Und auch die Stadträte kamen bei einem Ortstermin aus dem Staunen nicht heraus.

 
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Architekt Urban Meiller und Bürgermeister Joachim Neuß baten die „Herde“ eindringlich, zusammen zu bleiben. Zu gefährlich sei es an einigen Stellen im Rathaus, das nicht wieder zu erkennen ist. Und auch der ehrwürdige Sitzungssaal, der nicht angetastet werden sollte, bietet im Sockelbereich den Anblick eines Steinbruchs. Hiobsbotschaft für die Stadträte zum Abschluss des Rundgangs: Etwa ein Drittel des Bodens ist statisch gesehen in einem Zustand, der dringend repariert werden müsste.

Einwohnermeldeamt bereits saniert

Vom Erdgeschoss über den ersten Stock bis hinauf in den Sitzungssaal arbeiteten sich die Teilnehmer der Begehung vor. Die Steinstufen und das Treppengeländer sind fein säuberlich mit Spanplatten ummantelt. Ein Zeichen dafür, dass nicht alles auf den Kopf gestellt wird. Richtiggehend versiegelt ist auch das neue Einwohnermeldeamt. Das soll in der ganzen Bauwüste unangetastet bleiben.

Decken und Böden freigelegt

Ansonsten sind weitgegend alle Decken und Böden freigelegt, Teile von Mauern entfernt und oben im Stahlgefache des mächtigen Dachstuhls sogar ganze Decken verschwunden. Vor diesem Anblick zweifelte niemand an den Worten von Bürgermeister Joachim Neuß: „Ich denke, die Notwendigkeit der Sanierung wird deutlich bestätigt.“ Fachlich wurde der Ortstermin von Architekt Urban Meiller und Statiker Martin Hollweck begleitet. „Im Sitzungssaal muss ich Ihnen dann etwas sagen“, kündigte Meiller im Erdgeschoss noch geheimnisvoll an.

Ausmaß jetzt erst sichtbar

Im Moment laufen im Rathaus die Rückbauarbeiten. Ganz oben unter der Plane über dem offenen Dach werde an einigen Stellen allerdings auch schon wieder aufgebaut. „Das Rathaus ist in einem Zustand, wo es verwunderlich ist, dass da nicht schon etwas runtergefallen ist.“ Meiller schenkte den Mitgliedern des Stadtrats reinen Wein ein. Und weiter: „Wahnsinn, was die sich damals getraut haben.“ Er meinte damit jene Experten, die bei der letzten Sanierung des Gebäudes im Jahr 1928 Balken auf zwei Zentimeter Putz auflegen ließen. Oder — an anderer Stelle gut sichtbar — ein paar Keile auf der Mauerkrone unter den Tragbalken legten.

Altes Gewölbe wieder freilegen

Der Keller ist so weit, dass bis zum Winter dort hoffentlich die neue Haustechnik laufen wird. Im Erdgeschoss wird am Grundriss der Büros mächtig umgebaut. Ziel ist es nämlich, das alte Gewölbe des Hauses wieder freizulegen. Durch Zwischendecken war dieses bisher versteckt gewesen. Die anderen Decken befinden sich laut Statiker Hollweck in einem Zustand von „teilweise nicht gut“ bis schlecht.

Zwei Konstruktionsarten

Das alles wurde aber erst so richtig deutlich, als der Putz abgetragen war. Und da kamen zwei Konstruktionsarten zum Vorschein: Die historische mit mächtigen Balken von 35 mal 26 Zentimetern und die schlechte aus dem Jahr 1928. „Die mächtigen Balken haben sich zwar im Lauf der Zeit auch ordentlich durchgebogen, aber sie wären nicht gebrochen“, sagt Hollweck. Als „Wahnsinn“ bezeichnete Meiller hingegen die Sanierung, die im Jahr 1928 erfolgt ist. Die Deckenbalken hätten nur mehr durch den oberen Boden gehalten und auch dadurch, dass alles in sich verkeilt war. Eingestürzt wäre das Gebäude wohl nicht gleich, aber wenn man um den Zustand gewusst hätte, wäre man wohl mit einem gewissen Unwohlsein über den Boden gelaufen.

Schwache Hölzer werden entfernt

Die massiven Balken werden – soweit es möglich ist – renoviert. Die schwachen Hölzer werden entfernt und durch stärkere ersetzt. Meiller geht davon aus, dass die Balken am Ende nicht sichtbar bleiben, sondern wieder eine Putzdecke bekommen wie bisher. Ganz massiv ist der Eingriff in die Bausubstanz im zweiten Stockwerk. Vor dem Sitzungssaal schweift der Blick zur Überraschung der Stadträte bis hinauf in den First des mächtigen Rathausdaches. Das Besprechungszimmer existiert nicht mehr, ein Stahlgerippe ist plötzlich Blickfang, das bisher wohl keiner so gesehen hat. Wenigstens dort kommt Entwarnung von Statiker Hollweck: „Das Dachtragwerk funktioniert.“ Brandschutz und Statik verlangen, dass vor dem Sitzungssaal eine neue Decke eingezogen werden muss. Aus Stahlbeton. Diese muss 90 Minuten lang einem möglichen Feuer standhalten. MauerschluchtenUnd dann der Sitzungssaal: Wäre es dort nicht schon so dunkel, wäre sicherlich ein Anflug von Entsetzen in den Gesichtern der Räte zu erkennen gewesen. Keine Holzvertäfelung mehr, sondern blanke Wände. Und dahinter grobe Mauerschluchten, in denen die alten Heizungsrohre verlegt waren. Das hätte sich wohl niemand träumen lassen, wie es hinter der ehrwürdigen Holzverschalung aussieht. Und selbst diese war stellenweise Murks. Nach dem Einbau der Heizkörper sind plötzlich andere Holzarten in anderen Farbnuancen verwendet worden. Das fiel den meisten Besuchern des Saales nicht weiter auf, da die Beleuchtung dort meist schummrig-dezent war. Auch hier muss nachgebessert werden. Und dann ist da noch die Sache mit dem Boden. Archtekt Urban Meiller nahm sich beim Rundgang kein Blatt vor den Mund: „30 bis 35 Prozent der Bodenfläche ist nicht tragfähig.“ Schnell haben sich die Ratsmitglieder vor Augen gehalten, welche Fraktion denn unter Umständen schnell den Boden unter den Füßen hätte verlieren können. Meiller betrachtete die Thematik sachlich: Es gebe zwei Möglichkeiten der Sanierung: Das Parkett im Saal erhalten und versuchen, den Boden aufwändig vom unteren Stockwerk aus sanieren. Nachteil: Es könne nicht ordentlich verfüllt und damit nicht der Lärmschutz garantiert werden. Die andere Möglichkeit: Von oben arbeiten und das Parkett opfern. Entscheidung treffenEs konnte zwar kein Beschluss auf der Baustelle gefasst werden, aber dieser Weg erschien den Räten als der vernünftigere. Neuß machte aber schon deutlich, dass diese Entscheidung relativ schnell zu treffen sei. Dabei sei weniger die Kostenfrage entscheidend — es ist kein großer Unterschied — sondern eher die ideelle Frage ein Diskussionspunkt. Aber, so der Bürgermeister, der Boden an sich habe nichts Wertvolles an sich, „auch wenn er uns so erschienen ist.“Keine Frage ist aber, dass die Holzvertäfelung wieder angebracht wird. „Diese gehört einfach zur Malerei an den Wänden und zur Holzdecke“, sagte Architekt Urban Meiller. Neuß wünschte dem Bauleiter abschließend „viel kostensparenden Erfolg“. Wobei — beim Rückbau sind einige Scheine über 100 Millionen Mark pro Stück gefunden worden . . .