Zwei Konstruktionsarten
Das alles wurde aber erst so richtig deutlich, als der Putz abgetragen war. Und da kamen zwei Konstruktionsarten zum Vorschein: Die historische mit mächtigen Balken von 35 mal 26 Zentimetern und die schlechte aus dem Jahr 1928. „Die mächtigen Balken haben sich zwar im Lauf der Zeit auch ordentlich durchgebogen, aber sie wären nicht gebrochen“, sagt Hollweck. Als „Wahnsinn“ bezeichnete Meiller hingegen die Sanierung, die im Jahr 1928 erfolgt ist. Die Deckenbalken hätten nur mehr durch den oberen Boden gehalten und auch dadurch, dass alles in sich verkeilt war. Eingestürzt wäre das Gebäude wohl nicht gleich, aber wenn man um den Zustand gewusst hätte, wäre man wohl mit einem gewissen Unwohlsein über den Boden gelaufen.
Schwache Hölzer werden entfernt
Die massiven Balken werden – soweit es möglich ist – renoviert. Die schwachen Hölzer werden entfernt und durch stärkere ersetzt. Meiller geht davon aus, dass die Balken am Ende nicht sichtbar bleiben, sondern wieder eine Putzdecke bekommen wie bisher. Ganz massiv ist der Eingriff in die Bausubstanz im zweiten Stockwerk. Vor dem Sitzungssaal schweift der Blick zur Überraschung der Stadträte bis hinauf in den First des mächtigen Rathausdaches. Das Besprechungszimmer existiert nicht mehr, ein Stahlgerippe ist plötzlich Blickfang, das bisher wohl keiner so gesehen hat. Wenigstens dort kommt Entwarnung von Statiker Hollweck: „Das Dachtragwerk funktioniert.“ Brandschutz und Statik verlangen, dass vor dem Sitzungssaal eine neue Decke eingezogen werden muss. Aus Stahlbeton. Diese muss 90 Minuten lang einem möglichen Feuer standhalten. MauerschluchtenUnd dann der Sitzungssaal: Wäre es dort nicht schon so dunkel, wäre sicherlich ein Anflug von Entsetzen in den Gesichtern der Räte zu erkennen gewesen. Keine Holzvertäfelung mehr, sondern blanke Wände. Und dahinter grobe Mauerschluchten, in denen die alten Heizungsrohre verlegt waren. Das hätte sich wohl niemand träumen lassen, wie es hinter der ehrwürdigen Holzverschalung aussieht. Und selbst diese war stellenweise Murks. Nach dem Einbau der Heizkörper sind plötzlich andere Holzarten in anderen Farbnuancen verwendet worden. Das fiel den meisten Besuchern des Saales nicht weiter auf, da die Beleuchtung dort meist schummrig-dezent war. Auch hier muss nachgebessert werden. Und dann ist da noch die Sache mit dem Boden. Archtekt Urban Meiller nahm sich beim Rundgang kein Blatt vor den Mund: „30 bis 35 Prozent der Bodenfläche ist nicht tragfähig.“ Schnell haben sich die Ratsmitglieder vor Augen gehalten, welche Fraktion denn unter Umständen schnell den Boden unter den Füßen hätte verlieren können. Meiller betrachtete die Thematik sachlich: Es gebe zwei Möglichkeiten der Sanierung: Das Parkett im Saal erhalten und versuchen, den Boden aufwändig vom unteren Stockwerk aus sanieren. Nachteil: Es könne nicht ordentlich verfüllt und damit nicht der Lärmschutz garantiert werden. Die andere Möglichkeit: Von oben arbeiten und das Parkett opfern. Entscheidung treffenEs konnte zwar kein Beschluss auf der Baustelle gefasst werden, aber dieser Weg erschien den Räten als der vernünftigere. Neuß machte aber schon deutlich, dass diese Entscheidung relativ schnell zu treffen sei. Dabei sei weniger die Kostenfrage entscheidend — es ist kein großer Unterschied — sondern eher die ideelle Frage ein Diskussionspunkt. Aber, so der Bürgermeister, der Boden an sich habe nichts Wertvolles an sich, „auch wenn er uns so erschienen ist.“Keine Frage ist aber, dass die Holzvertäfelung wieder angebracht wird. „Diese gehört einfach zur Malerei an den Wänden und zur Holzdecke“, sagte Architekt Urban Meiller. Neuß wünschte dem Bauleiter abschließend „viel kostensparenden Erfolg“. Wobei — beim Rückbau sind einige Scheine über 100 Millionen Mark pro Stück gefunden worden . . .