"Luthers Ratschläge waren furchtbar"

Von Michael Weiser

Die protestantische Welt feiert 500 Jahre Reformation und Martin Luther. Ein Mann mit Abgründen: Seine Schriften gegen die Juden werfen bis zum heutigen Tag einen Schatten auf ihn. Am Freitag, 27. Oktober, spricht Björn Mensing über Luther, Juden und Nazis. Wir sprachen mit ihm über Luther auf der Anklagebank, die Gründe seines Judenhasses und die Rolle vieler Kirchenvertreter im so genannten Dritten Reich.

 
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Der Nazi-Hetzer Julius Streicher behauptete vor dem Kriegsverbrechertribunal in Nürnberg, dass eigentlich Martin Luther an seiner Statt auf der Anklagebank sitzen müsste. Wie viel Schuld hat Luther an Hitler? 

Björn Mensing: Ich denke, dass er für die Nationalsozialisten keine besonders herausragende Rolle gespielt hat, was die Motivation, den Ursprung ihrer Weltanschauung betrifft. Sie haben sich – insbesondere Julius Streicher - propagandistisch gerne bei Luthers späten Judenschriften bedient, um das, was sie aus ihrer völkisch-antisemitischen Motivation heraus den Juden antaten, mit Luther-Zitaten zu unterfüttern. Es gibt keine gerade Linie von Luther zur Nazi-Ideologie. Aber die Nazis konnten Luther sehr gut für ihre Zwecke nutzen.

Micha Brumlik, kürzlich war er in Haus Wahnfried in einer Diskussionsrunde zu erleben, sagt, Luthers Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“ habe – mit Ausnahme der Gaskammern - die Blaupause für die Verbrechen der Nazis gegen die Juden geliefert.

Mensing: Den millionenfachen Völkermord an den Juden, den kann man kaum auf Luther zurückführen, das wohl nicht. Aber alles, was die Nazis sich vor dem Mord an den Juden an judenfeindlicher Politik verbrachen, findet sich in der Tat in den grässlichen Ratschlägen an die Obrigkeit in der Judenschrift von 1543. Das Anzünden der Synagogen, der jüdischen Schulen, das Vertreiben aus ihren Häusern,  dass man die Juden in bestimmten Häusern zusammenfassen, junge Juden zu harter körperlicher Arbeit heranziehen solle, dass man ihr Eigentum zu beschlagnahmen habe: Diese ersten schrecklichen Schritte der Nazis finden sich tatsächlich in diesen Ratschlägen. Die Nationalsozialisten haben ihre judenfeindliche Politik nicht aus dem Grund aufgenommen, dass sie Luthers Ratschläge befolgen wollten. Das ändert aber nichts daran, dass diese Ratschläge furchtbar sind. Was mich getröstet hat: Von keinem evangelischen Landesherrn wurden sie umgesetzt. Was allerdings von einigen umgesetzt wurde, war Luthers Position, dass, wenn man schon nicht alle Ratschläge umsetzen wollte, so doch wenigstens die Juden vertreiben  solle.

Am Anfang stand Luther den Juden positiv gegenüber

Wann, durch was wurde Luther zum Antisemiten? In seiner 1523 veröffentlichten frühen Schrift „Dass Jesus Christus ein geborener Jude sei“ finden sich für die damalige Zeit bemerkenswerte positive Ansichten über Juden.

Mensing: Bei Juden hatte diese Schrift Hoffnungen hervorgerufen, dass in einem Teil des Christentums eine andere Haltung ihnen gegenüber herrschen könne. Er sprach sich  für ein gleichberechtigtes Zusammenleben aus, das  waren revolutionäre Töne. Aber auch in dieser Schrift steht als Motivation für die Verbesserung der jüdischen Lebensverhältnisse die Hoffnung, dass möglichst viele Juden zum Christentum reformatorischer Ausprägung fänden.  Wenn sie nicht mehr schlecht behandelt, wenn sie vom Christentum nicht mehr in der von der Papstkirche verdrehten Lehre erfahren würden, könnten sie sich zum evangelischen Christentum bekehren. Als sich diese Hoffnung im Großen und Ganzen nicht erfüllte hat, als dann auch noch die Rabbiner mit guten Argumenten dagegenhielten, war es mit der Toleranz vorbei. Auf sein freundliches Entgegenkommen reagieren sie in seinen Augen nicht, ärger noch, sie halten böswillig dagegen.  Einige der wenigen Konvertiten haben  dann auch noch überzogen und behauptet, in den Synagogen und in den alltäglichen jüdischen Gebeten stehe die Lästerung Christi im Mittelpunkt. Das erscheint bei ihm 1543 als starkes Argument. Eigentlich hatte er 1523 geschrieben, dass die Obrigkeit in Glaubensfragen nichts mit Druck oder Gewalt erzwingen dürfe. Leider hat sich der ältere Luther von der Einsicht des jüngeren entfernt.

"Eine Form von Obrigkeitshörigkeit"

Der NS-Staat wäre ohne Obrigkeitshörigkeit kaum möglich gewesen. Trug Luther mit seiner Forderung nach einer starken Obrigkeit dazu bei?

Mensing: Luther wünschte sich eine weltliche Obrigkeit, die mit ihren Machtmitteln nicht in Glaubensfragen einzugreifen hat. Eigentlich ist das ein starkes Argument gegen einen totalitären Staat. Ein Staat, der sich anmaßt, eine totalitäre Ordnung für alle Lebensbereiche aufzurichten, verliert sein Mandat. Luther hat bei Fehlverhalten seines Landesherrn auch versucht, zu intervenieren. In der Praxis hat sich durch eine bestimmte Auslegung von Römer 13, dass alle Obrigkeit von Gott angeordnet sei und die Christen ihr Gehorsam schulden, schließlich eine Form von Obrigkeitshörigkeit herausgebildet, die im evangelischen-lutherischen Bereich stärker ausgeprägt war als im reformierten Bereich.

Wie verhielten sich die evangelischen Kirchen gegenüber dem NS-Staat?

Mensing: Man muss unterscheiden zwischen den lutherischen Landeskirchen, die unter die Herrschaft der "Deutschen Christen" standen, und denen, die sich dem Bereich der "Bekennenden Kirche" zuordneten. Bei den Landeskirchen unter der Herrschaft von Deutschen Christen beispielsweise in Thüringen und Sachsen, wurde verkündet, dass das Novemberpogrom ganz im Sinne Luthers gewesen sei, dass die Kirchen den Staat unterstützen und dass die Christen jüdischer Herkunft aus den deutschen Kirche ausgeschlossen und keine Juden mehr getauft werden sollten. Auf der anderen Seite gab es die lutherischen Landeskirchen, wie in Bayern, Württemberg und Hannover, die auf der Seite der Bekennenden Kirche standen, sich ganz nah ist an Luthers Judenschrift aus dem Jahre 1523 hielten und dies feststellten: Wenn sich Juden zum Christentum bekehren, sind sie in der Kirche willkommen.

"Es waren wenige wie Bonhoeffer"

Menschliche Anteilnahme sieht anders aus.

Mensing: Ja. Es gab noch eine andere Gruppe, mit Bonhoeffer, der diese Position vertrat: Wenn der Staat gegen Gottes Gebot verstößt, müssen Christen dagegen ihre Stimme erheben, egal, wer das Opfer ist. Aufs ganze gesehen, war das eine kleine Gruppe. Es waren wenige, die wie Bonhoeffer von Anbeginn, von 1933 an, die Pflicht zum Eintreten für verfolgte Juden erkannt haben.

INFO: Björn Mensing spricht am Freitag, 27. Oktober, auf Einladung der SPD ab 18.30 Uhr im Glenk-Saal über "Luther, die Juden und die Nazis innerhalb und außerhalb der Kirche".

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