"Bayreuth ist wie eine Droge"

Von Michael Weiser

Tansel Akzeybek gibt den Ton vor: Als Stimme des Jungen Seemanns singt er ganz allein, ohne Begleitung des Orchesters die ersten Sätze vom "Tristan". Eine wichtige Rolle, zu der sich in seinem Falle drei weitere hinzugesellen. Mit uns sprach er übern Stress vorm ersten Ton, über Nachbarschaft zur Kanzlerin, über Zwischenfälle in der Kantine und Barrie Koskys Stempel.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Bemerkenswert ruhig sind die Festspiele bislang verlaufen, ganz anders als im vergangenen Jahr, als Terror und Gewalt gleich den Auftakt prägten. Der Staatsempfang fiel aus, auch Kanzlerin Merkel kam erst später.

Akzeybek: Das war Anfang August, beim "Tristan", als sie endlich nach Bayreuth kam. Wir bekommen das ja alles mit. Sie kam über das Gelände hinterm Festspielhaus. Ich war beim Einsingen, das Fenster stand offen, und sie hat hochgeschaut zu mir, und ich hab mich geschämt, runterzuschauen. Hinterher hatten wir aber bei Katharina Wagner so ein richtiges Gespräch mit ihr, ich habe sie bei der Gelegenheit auch gefragt, ob ich zusammen mit ein Selfie machen daaf. Das macht sie normalerweise nicht, aber sie hat dann doch eine Ausnahme gemacht. Wir sind ja auch fast Nachbarn, in Berlin wohnen wir gerade mal fünfhundertmal Meter entfernt voneinander.

Dennoch dürfte die Kanzlerin Sie in Berlin seltener sehen als hier im Festspielhaus. Wie viele Rollen singen Sie denn diesmal?

Akzeybek: Wie die letzten zwei Jahre bin ich bei „Tristan“ junger Seemann und Hirt, beim „Parsifal“ erster Gralsritter in der Neuproduktion der „Meistersinger“ der Kunz.

Die Festspiele 2017: Unsere Kritiken

Bei so vielen Rollen kann man schon mal den Überblick verlieren…

Akzeybek: Ja. Eigentlich hatte ich vergangenes Jahr auch noch beim „Rheingold“ den Froh gesungen, aber das wäre terminlich bei den Proben schwierig geworden. Alle Stücke werden im selben Zeitraum geprobt, und deswegen musste man um 10 Uhr zum „Parsifal“ antreten, um 14 Uhr zu den „Meistersingern“, und dann kam auch noch abends der „Tristan“ dazu.

Da lohnt es sich nicht mehr, zwischendurch mal das Festspielhaus zu verlassen.

Akzeybek: Genau, ich blieb für diese Zeit im Haus, in der Kantine, man kann da zwischendurch kaum nach Hause.

In einem Festspielhaus, dessen Atmosphäre im vergangenen Jahr einige Sänger mit einem Gefängnis verglichen haben.

Akzeybek: Ich habe mich nie im Gefängnis gefühlt. Und dieses Jahr ist es allgemein nicht mehr so streng. Man sollte aber natürlich immer seinen Ausweis dabei haben.

Im vergangenen Jahr wurde jemand festgesetzt, der seinen vergessen hatte… Klaus Florian Vogt, der als Parsifal auch noch Flecktarn trug…

Akzeybek: Ich hatte in jenem Jahr auch so ein Erlebnis. Als Froh hatte ich eine Pistole in den Hosenbund geschoben, und das hatte ich beim Eintreten in die Kantine schon vergessen. Als ich in Richtung Probenbühne gehen wollte, rief auf einmal jemand: Stopp, bitte warten! Ich hatte es total vergessen, griff instinktiv danach – da hieß es: Ne, ne stopp, steckenlassen! Aber es stellte sich dann schnell heraus, dass das nur eine Probenrequisite war.

"Die Last war schon groß"

In den USA wäre es für Sie da womöglich schon zu spät gewesen…

Akzeybek: Ja, die Sicherheitsleute hier tragen zum Glück keine Pistolen.

Sie singen Rollen mit nicht überragend viel Text, aber von große Wichtigkeit. Als junger Seemann im Tristan geben Sie den Ton vor. Was ist das denn für ein Gefühl?

Akzeybek: Man ist gespannt. Beim ersten Mal war ich sogar sehr aufgeregt. Die erste Wagner-Oper, das erste Mal in Bayreuth, und dann auch noch A cappella. Und das als allererster Türke bei den Festspielen – also, die Last war schon groß. Ich war wirklich aufgeregt. Und letztlich sehr froh, dass ich das gut bewältigte. Und jetzt bin ich froh, dass ich immer noch singen darf. Wenn’s nicht funktioniert, kommt ganz schnell ein andrer. Und dass ich die Partie noch singen darf, das bestätigt mich natürlich auch. Du kannst hier nicht 50 Prozent singen und glauben, das genügt. Und dann sieht man auf dem Monitor auch noch Christian Thielemann.

"Es ist wie in der Familie"

Und der schaut dann womöglich streng?

Akzeybek: Nein. Sein Blick geht vom Orchester kurz weg, dann lächelt er und gibt mit der rechten Hand ein Zeichen. Man ist immer aufgeregt, die Stimme muss sitzen, es gibt keine Entschuldigung, nichts, hinter dem man sich verstecken könnte. Als junger Seemann einzusetzen ist das stressigste. Froh hingegen hat schöne Parts. Es war meine größte Partie in Bayreuth. Dennoch ist der Seemann von der Aufregung her das schwierigste.

Froh ist dagegen eher ein Bruder Leichtfuß.

Akzeybek: Froh hat auch schwere Parts, aber du kommst rein, auch beim Kunz kommst du rein. Der ist auch immer zu hören, einfach, weil er die höchste Stimme hat. Da musst du erstmal fit bleiben. Wenn du auf die Bühne kommst und spielerisch etwas drauf hast, dann hast du es leichter. Den Jungen Seemann sieht man nicht. Und da geht es nur um die Stimme allein. Das ist schon das schwierigste.

Abgesehen vom Stress vor dem alles entscheidenden Augenblick. Wie ist Bayreuth in Ihrer dritten Saison?

Akzeybek: Ich freue mich sich richtig auf Bayreuth. Ich habe nie Drogen genommen, aber ich würde mal sagen, das ist wie eine Droge. Oder wie ein Virus. Man steckt sich an, und das bleibt. Beim ersten Mal sagst du dir, ich probiere es mal aus, mal schauen, ob es klappt, ab dem zweiten Jahr sagen die Leute, egal, wo du dann gerade singst, ah, du singst ja in Bayreuth. Okay. Das ist so was Heiliges, so was Wichtiges, das ist nun in mir drin, und ich würde es traurig finden, wenn ich nicht in Bayreuth dabei wäre. Doch, ich bin sehr glücklich, es fühlt sie wie zu Hause an. So wie ich in Berlin an der Komischen Oper zu Hause bin. Du kennst die Gesichter, auch im Büro, du kennst die Leitung, man sagt, Hallo und Servus, es ist wie in der Familie. Wenn ich hier nicht mehr singen würde, dann wäre ich traurig.

"Bei Kosky will man immer einen Stempel bekommen"

Sie haben auch schon eine Reihe von Regisseuren kennengelernt…

Akzeybek: Ich hatte viel von Frank Castorf gehört und mich als Froh so richtig reingehauen. Ich hatte gehört, er mag Bewegung, er mag es verrückt, da habe ich dann auch richtig losgelegt. Bei "Tristan" habe ich mich zurückgehalten, klar, ist eine ganz andere Atmosphäre bei Katharina Wagner.

Und wie finden Sie die Arbeit unter dem Chef Ihres Stammhauses?

Akzeybek: In Barrie Koskys Inszenierung bin ich der Kunz Vogelgesang. Ich kenne Barrie Kosky ja, da fühlt man sich noch ein Stück mehr wie zu Hause,  ich weiß schon, was er will, wo andere Kollegen noch nach dem rechten Ausdruck suchen. Ich habe hauptsächlich seine Inszenierungen mitgemacht. Und da ist es so: Man will bei Barrie immer einen Stempel kriegen.

"Jetzt auch außerhalb Bayreuths Wagner-Partien"

Wie? Man will abgestempelt und damit in eine Schublade gesteckt werden?

Akzeybek: Nein, er meint das anders. Er meint damit, deine Idee kaufe ich dir ab, daher Stempel drauf. Wenn er die Idee nicht annimmt - kein Stempel. Oder er sagt: Stempel weg! Deswegen sind wir im Wettbewerb. Alle wollen was anbieten.

Da Sie in Bayreuth schon mal so glücklich sind. Was könnten Sie sich in den kommenden Jahren vorstellen?

Akzeybek: Der Steuermann ist eine Partie - die würde ich gerne machen. Ich als lyrischer Tenor habe vier, fünf Partien, die gut in Frage kommen. Ich würde irgendwann gerne auch mal den David in den "Meistersingern" singen. In Bayreuth würde ich natürlich gerne den Loge singen. Was Bayreuth mir gegeben hat, war, dass ich langsam angefangen habe. Bei mir war es bis dahin immer Rossini und Donizetti gewesen, oder eben Mozart. Eine Berührung mit Wagner hatte ich zuvor gehabt. Und jetzt fängt es schon an, dass außerhalb der Festspiele Wagner-Partien singe. Neulich war ich mit Christian Thielemann als Froh im "Rheingold" in Tokio. Im nächsten Jahr bin ich mit Thielemann an der Semperoper, wieder im „Rheingold“. Und mit Achim Freyers "Rheingold"-Inszenierung in Südkorea. Langsam beginnt das richtig zu laufen. Das verdanke ich Bayreuth, Katharina Wagner und Herrn Thielemann.