Pyramidenbau in Höchstgeschwindigkeit

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Nein, er schaut sich nichts ab: Vielmehr hat Weltmeister Markus Knie (links) ein Auge darauf, ob Stacking-Neuling und Sportredakteur Torsten Ernstberger den Cycle in der richtigen Reihenfolge aufbaut. Foto: Andeas Harbach Foto: red

Sport Stacking – auf deutsch Becherstapeln – ist eine oft belächelte Sportart. Doch wie viel Konzentration, Koordination, Tempo und Training in ihr steckt, zeigt sich, wenn man selbst die Becher in der Hand hat – ein Selbstversuch kurz vor dem WM-Start in Speichersdorf.

 
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Grobmotoriker! Ich bin definitiv ein Grobmotoriker. Die Becher stehen nicht richtig, kippen um oder bleiben ineinander stecken. Ein Cycle in 1:28 Minuten – schon ziemlich deprimierend, wenn neben dir ein mehrfacher Weltmeister in dieser Zeit siebenmal den Cycle, die Königsdisziplin, meistert. „Sport Stacking ist eben mehr, als einfach nur Becher auf- und wieder abbauen“, sagt Markus Knie. „Konzentration, Koordination und Geschwindigkeit müssen in Fleisch und Blut übergehen.“

Der 42-Jährige ist einer der erfolgreichsten Sportler des Speichersdorfer Vereins „Die Hochstapler“, der aktuell 18 Mitglieder der deutschen Nationalmannschaft stellt. 2014 holte Knie bei der Weltmeisterschaft in Südkorea sechs Titel.

Hände fliegen durch die Luft

Es ist beeindruckend, wie schnell die Hände des Wunsiedlers durch die Luft fliegen, die Becher nur für Sekundenbruchteile anfassen und wieder aus dem vorsichtigen Griff gleiten lassen. Beim Becherstapeln kommt es auf jede Tausendstelsekunde an. In dieser Sportart wird die Zeit so genau gemessen wie in der Formel 1 oder beim Rodeln.

Knie ist dabei die Anstrengung anzusehen: Nach jedem Durchgang wischt er sich die Schweißperlen von der Stirn. Jetzt kann er aber einen Gang zurückschalten. Ganz langsam erklärt er mir, dem absoluten Neuling im Becherstapeln, nochmals die einzelnen Züge des Cycles: Dreier-Pyramide, Sechser, Dreier – abbauen – zwei Sechser-Türme – alle zwölf Becher ineinander stecken – Zehner-Pyramide – abbauen und Becher wieder in die Ausgangsposition bringen.

Wichtig dabei: Es müssen fast immer beide Hände an den Bechern sein. Gerade die Überkreuzgriffe und die Beidhändigkeit verlangen ein hohes Maß an Konzentration und Koordination. Ohne Reaktionsgeschwindigkeit geht gar nichts.

Gelbe und Rote Karten

Und da ist es passiert – ein Becher fällt vom Tisch. „Jetzt würde der Schiedsrichter die Rote Karte zeigen“, sagt Knie. Ist der Wettkampf jetzt für mich beendet? „Nur der Durchgang“, antwortet Knie. „Bei Turnieren hat man immer drei Versuche, der schnellste wird dann gewertet.“

Übrigens gibt es beim Sport Stacking auch eine Gelbe Karte. Und im Gegensatz zum Fußballer freut sich ein Becherstapler über diese Karte: Sieht er Gelb, hat er einen Rekord aufgestellt. Das Video mit dem Versuch wird dann gesichtet, ist alles regelkonform, wird der Rekord anerkannt. Der Cycle-Weltrekord liegt aktuell bei genau fünf Sekunden, Knies Bestmarke bei 7,890.

Schnelle Fortschritte

Unvorstellbare Zeiten für mich, aber immerhin habe ich jetzt schon die Minutenmarke geknackt. Mit jedem Versuch stellt sich mehr und mehr ein Automatismus ein, wobei ich allerdings immer noch jeden Zug vorher im Kopf durchgehen muss.

„Übung macht den Meister“, sagt Knie. „Deine Ansätze sind aber gut. Wenn du weiter machst, kommst du in einigen Wochen sicher an die 20 oder 15 Sekunden ran.“ Der 42-Jährige trainiert aktuell jeden Tag mehrere Stunden. Er will bei der heimischen WM in der Speichersdorfer Sportarena in seiner Altersklasse ins Finale und möglichst eine Medaille holen. Ob in der Mittagspause oder daheim im Wohnzimmer: Knie hat das etwa 65 Euro teure Set aus zwölf Bechern und 70 mal 30 Zentimeter großer Stapelmatte mit integrierter Stoppuhr immer griffbereit.

Da Knies komplette Familie mit dem Stacking-Virus infiziert ist, kann es schon vorkommen, dass Markus Knie, seine Frau und die beiden Kinder auf dem Küchentisch Becher stapeln, während im Ofen der Sonntagsbraten gart. „Spaß, Spaß, Spaß“, das macht für Knie die Sportart aus. „Egal, ob alt oder jung, dick oder dünn, groß oder klein – jeder kann stacken. Und einmal angefangen, kommt man nicht mehr davon los.“

Größe ist ein Problem

Die Größe ist aber schon ein Faktor, denn die Tischhöhe beträgt beim Becherstapeln etwa 80 Zentimeter. Um gut an die Becher zu kommen, muss ich mit meiner Größe von 1,94 Metern einen halben Spagat machen. Eine ungewohnte Haltung, nach 30 Minuten Dauerstapeln meldet sich der Rücken.

Allerdings reichte diese Zeit auch, um mein Urteil zu revidieren. Zugegeben: Vor diesem Probetraining habe ich das Becherstapeln belächelt, es nicht als Sport angesehen. Doch das Stacking hat vieles von anderen Sportarten: Es fließt Schweiß, die Technik ist wichtig und ohne Konzentration sowie Koordination hat man schon verloren. Das ringt mir Respekt ab – und hat meinen Ehrgeiz gefördert. Ich schaffe den Cycle mittlerweile in 34 Sekunden, aber das muss doch noch schneller gehen.

 

An drei Tagen Hochbetrieb in der Speichersdorfer Sportarena

Das Sport Stacking teilt sich in Einzel- und Mannschaftswettbewerbe auf. Die verschiedenen Disziplinen sind der Cycle (der schwierigste Aufbau), der 3-3-3 und der 3-6-3. Die Zahlenfolgen geben dabei an, aus wie vielen Bechern eine Pyramide besteht.

In den Team-Wettbewerben gibt es Doppel, bei denen zwei Stacker gemeinsam den Cycle bauen. Einer nutzt nur die linke Hand, der andere nur die rechte. Dabei gibt es auch ein Eltern/Kind-Doppel. In der Staffel stacken vier Sportler hintereinander den 3-6-3 oder den Cycle. Bei den Weltmeisterschaften in der Speichersdorfer Sportarena werden die Titel in den verschiedenen Disziplinen und auch in verschiedenen Altersklassen vergeben. „Wie viele Weltmeister es am Ende sind, kann ich gar nicht sagen“, erklärt Markus Knie von den Speichersdorfer Hochstaplern. „Aber es sind definitiv viele.“

270 Stacker aus 22 Nationen haben für die Titelkämpfe gemeldet. Die weiteste Anreise haben die Sportler aus Neuseeland, aber auch Stacker aus Asien sind stark vertreten. Ein Fünftel der deutschen Nationalmannschaft stellt der gastgebende Verein „Die Hochstapler“ aus Speichersdorf. In jedem Wettbewerb gibt es auch eine Qualifikation, nur die besten zehn Stacker qualifizieren sich für die Endrunde. An 120 Tischen wird von Freitag bis Sonntag gestackt.

Die Weltmeisterschaft wird am Freitag um 15 Uhr eröffnet, ab 16 Uhr können sich die Zuschauer beim internationalen Stack Out einen ersten Eindruck von der Sportart verschaffen. Die besten Stacker aus verschiedenen Nationen liefern sich hier einen Schau-Wettkampf. Ab 17 Uhr werden die teilnehmenden Teams/Nationen vorgestellt.

Am Samstag beginnen ab 8.30 Uhr die Qualifikationen (Einzel, Doppel, Zeitstaffel). Von 12 bis 17.30 Uhr sind die Staffeln (3-6-3 und Cycle) am Start. Am Sonntag geht es dann in engen Zeitabständen um die Medaillen. Von 8.30 bis 15 Uhr reiht sich – nur unterbrochen von den jeweiligen Siegerehrungen – Finale an Finale. Mit dem Stack of Champions (ab 15.15 Uhr), die zeitschnellsten Stacker treten nochmals gegeneinander an, und der After-WM-Party (ab 18 Uhr) enden die Titelkämpfe in Speichersdorf. Der Eintritt für Zuschauer ist an allen Veranstaltungstagen frei.

Das Video zum Probetraining sehen Sie hier:

 

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