Prozess gegen türkische Kommunisten

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Allein die Zahl der Angeklagten macht dieses Verfahren aufwändig und groß: Neun Männer und eine Frau müssen sich in München wegen Unterstützung einer linken Terrorgruppe in der Türkei verantworten.

 
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In die Luft gereckte Fäuste. Victory-Zeichen. Wie Kämpfer in eine Arena ziehen die Angeklagten in den Gerichtssaal ein. Die Zuschauer begrüßen sie mit frenetischem Jubel. «Wir ehren die revolutionären Gefangenen», skandieren auf Türkisch Unterstützer auf der voll besetzten Zuhörertribüne. Vor dem Gericht kommen immer mehr linke Aktivisten zusammen, einige Hundert mögen es schließlich sein. «Hoch die internationale Solidarität», rufen sie. Neun Männer und eine Frau türkischer und kurdischer Herkunft stehen seit Freitag wegen Mitgliedschaft in einer linken Terrorgruppe in der Türkei vor dem Oberlandesgericht München.

Sie sollen für die Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten (TKP/ML) Mitglieder rekrutiert, Treffen organisiert und Geld beschafft haben, eine halbe Million Euro pro Jahr. Die Unterstützung einer ausländischen Terrorgruppe wurde in Deutschland erst nach den Anschlägen vom 11. September 2001 strafbar.

Beruf? «Revolutionär», geben einige an. «Wenn ich Zeit habe, arbeite ich», ergänzt einer. Der Vorwurf der Angeklagten und ihrer Mitstreiter: Die Bundesanwaltschaft mache sich die Einschätzung des türkischen Staates zu eigen. «Wir wurden in der Türkei unter Folter vernommen», ruft ein Angeklagter. «Das Rechtssystem in der Türkei ist zusammengebrochen. Es ist zum Spielball der Herrschenden geworden. Das ist das System, von dem die Bundesanwaltschaft die Beweise gegen uns eingeholt hat», sagt der Mann, dessen Stellungnahme übersetzt würde. «Dieses wird alles Mögliche produzieren, aber nicht Gerechtigkeit oder Recht.» Als zum x-ten Mal Applaus von der Zuschauertribüne brandet, platzt dem Vorsitzenden Manfred Dauster der Kragen: «Der Saal wird, wenn das noch mal passiert, komplett geräumt.»

Mit fast eineinhalb Stunden Verspätung waren die Angeklagten in den Saal A101 geführt worden, in dem sonst das NSU-Verfahren läuft. Einige Anwälte vertreten auch türkischstämmige Opfer im NSU-Prozess. Zur Verlesung der Anklage kommt es am ersten Prozesstag nicht. Kopfhörer fehlen. Die Übersetzung schleppt sich. Unkorrekt, sagen Anwälte und berufen sich auf Vertrauensdolmetscher.

Einige Angeklagte seien gefesselt ins Gericht gebracht worden, monieren die Anwälte weiter. Einer saß ohne Frühstück auf der Anklagebank. Ein anderer musste sich zur Kontrolle nackt ausziehen. Ein dritter wurde mit einem Gürtel gefesselt. «Das ist nicht hinnehmbar», sagt Alexander Hoffmann Anwalt von Erhan A.. Der Vorsitzende verspricht Abhilfe. Er habe das weder angeordnet noch davon gewusst. Ein Befangenheitsantrag gegen Dauster schleppt sich
über den Nachmittag. Er habe einem Angeklagten zu wenig Zeit gelassen, sich durch den Aktenberg zu arbeiten.

Die TKP/ML führt in der Türkei seit Jahrzehnten einen teils blutigen Kampf gegen den türkischen Staat. Bewaffnete Einheiten sprengten laut Geldautomaten, legten Bomben, nahmen Geiseln und gingen gegen Händler vor, die Militär oder Polizei Material lieferten, Waffen - oder Brot. Vier Kinder starben, als ein Sprengsatz in einer Garage hochging, in der sie spielten - der Anschlag galt einem lokalen Mandatsträger.

Ein Gutteil dieser Ermittlungsergebnisse, die gut 230 Ordner füllen, stamme aus der Türkei, kritisierten die Anwälte. Und werfen die Frage auf, ob die deutsche Justiz sich auf solche Quellen stützen kann. «Wird die deutsche Justiz künftig jeden unter Anklage stellen, den die Türkei als Terroristen bezeichnet?», sagt Figen Yüksekdag, Abgeordnete der prokurdischen «Demokratische Partei der Völker» (HDP), deren Immunität das türkische Parlament gerade aufgehoben hat.

In Deutschland beobachtet der Verfassungsschutz die TKP/ML. Verboten ist sie nicht. «Es handelt sich um ein Pilotverfahren, in dem das Gericht die Frage klären muss, ob es sich bei der TKP/ML um eine terroristische Vereinigung handelt», sagte eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft der «Süddeutschen Zeitung». Eine schnelle Antwort wird es nicht geben. Das Verfahren ist bis Oktober angesetzt. Anwälte gehen davon aus, dass das nicht annähernd reichen wird.

dpa

 

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