Nachtschwarze Alpträume

Von Michael Weiser

Harter Stoff in Bayreuth: Das Kunstmuseum ändert seine Planung und macht aus der Not eine Tugend - mit einer Ausstellung von Alfred Hrdlickas Graphikzuyklus "Wie ein Totentanz". 

 
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Der geschändete Marsyas erzählt, bei aller Qual, etwas über die Lage der Kultur in Bayreuth. Weil, das klingt paradox, ist aber schlüssig, ihn kaum jemand wahrzunehmen scheint. In einer kleinen Gasse steht er, das Kunstwerk eines der bedeutendsten Bildhauer des 20. Jahrhunderts. Nicht viel Publikumsverkehr dort, die Passanten huschen oft vorbei, ohne von ihm recht Notiz genommen zu haben. Den Eingang daneben nehmen nicht allzuviele Menschen wahr, was ohnehin schade ist, in diesen Tagen aber besonders, weil – es die Tür ins Kunstmuseum ist. Und weil dort eine Ausstellung einen bedeutenden graphischen Zyklus Alfred Hrdlickas präsentiert.

Hrdlicka, geboren 1928, gestorben 2009, war, wie gesagt, ein bedeutender Bildhauer, aber eben auch ein herausragender Graphiker. Ein Konvolut seiner Werke stiftete das Sammlerehepaar Helmut und Constanze Meyer als Morgengabe 1991 an ein noch zu gründendes Kunstmuseum Bayreuth. Und dieser Grundstock wurde ergänzt – etwa durch den Zyklus „Wie ein Totentanz – die Ereignisse des 20. Juli 1944“. Der ist nun zu sehen. Und führt uns Hrdlicka in zweierlei Gestalt vor: als Graphiker mit präzisem Stich. Und als bitterbösen und nicht immer ganz so bildsicheren assoziierenden Kommentator seiner eigenen Tafeln.

Alptraumhafte Szenen

Es sind grausame Bilder, in hartem Realismus zeigen sie uns die Hinrichtung der Verschwörer des 20. Juli: verrenkte Hälse, verzerrte Gesichter. "In der Auseinandersetzung mit literarischen und historischen Textquellen, und zeitgenössischen Bildquellen entstand eine eigenständige Bildwelt: überbordend sinnlich, Grausamkeiten nicht verschweigend, oft genug aus chaotisch übereinander geblendeten verschiedenen interagierenden Figuren": So sagte es Museumschefin Marina von Assel bei der Eröffnung.

Manche Blätter gleichen Bildern aus Alpträumen, der nachtschwarze Hitler etwa bei einem seiner Monologe zu später Stunde. Da fallen dann launige Sätze wie: „..und Himmler ist amusisch“. Was den mörderischen Bourgeois Hitler entschieden mehr gestört haben dürfte als Himmlers sonstige Charaktereigenschaften. Manchmal wird es fast komisch: Ein Hitler mit entblößten Beinen ist zu sehen, der seine vom Explosionsdruck zerrissenen Hosen wie ein Turiner Grabtuch vor sich herhält: „Auftragserteilung durch die Vorsehung“ heißt das Blatt. Klingt wie ein böser Scherz, ist aber aus Hitlers Geschwafel ganz gut belegt: Berufung auf das Schicksal vor dem besonders verlustreichen Finale des Weltkrieges. Als Vollstrecker des Schicksals steht er auch über dem Volk, das ihm zugejubelt hat. Die Zukunft Deutschlands? Spielt für Hitler letztlich keine Rolle mehr.

Schöpfer des Kunstghettos Bayreuth

Tief in die Geschichte tauchen wir mit Hrdlicka ein, diesem österreichischen Verwandten Goyas. Er spannt einen Bogen von Friedrich dem Großen über Kleist bis hin zu den letzten Tagen des kurzlebigen „Tausendjährigen Reiches“. Hrdlicka erweis sich dabei auch als strichelsicherer Interpret von Thomas Manns Satz, es sei viel Hitler in Wagner, gegen den Hrdlicka als  „Schöpfer des Kulturgettos (sic) und inneren Reichsparteitages Bayreuth“ polemisiert. Wagner-Verehrer ebenso wie andere Vertreter der Kunstszene sieht Hrdlicka kritisch.

Es verstört die Abfolge deutscher Albträume, aber auch Hrdlickas Auswahl. Viel ist von Stauffenberg die Rede, nichts von einem Georg Elser, einer Sophie Scholl, einem Bonhoeffer. Warum? Der Titel sagt es klar: Hrdlicka konzentrierte sich auf den Widerstand des 20. Juli 1944, 22 Blätter haben direkt mit Stauffenberg, dem Anschlag auf Hitler und der fürchterlichen Rache des Diktators tun.

Eine Armee, die sich einen Staat hält

Hrdlicka ordnet diese Blätter in den größeren Zusammenhang des deutschen Militarismus ein, frei nach dem alten Bonmot über Preußen: Man habe hier keinen Staat, der eine Armee halte, sondern eine Armee, die sich einen Staat halte. Hrdlicka glossiert die Ursprünge des Militarismus bei Friedrich II., das Chaos während der Endzeit der Weimarer Republik, Hitlers Kriegsregime, das zwangsläufiges Ende der deutsch-österreichischen Gewaltbesessenheit in einem Meer aus Blut. Hrdlicka zeigte Karriere-Militärs und geborene Landsknechte, zynische Militärs und reuige Soldaten, hochdekorierte Feiglinge und Andere, wie den Lebensraum-im-Osten-Vordenker Albrecht Haushofer, die ihren Irrtum noch erkannten, bevor Ihnen der Gefreite des Ersten Weltkriegs das Lebenslicht abdrehte.  Kein Kleinbürger sei der Vater Hitlers, sagte Stauffenberg, sondern - der Krieg.

Dem Tode hinterher

Totentänze haben in der Kunstgeschichte eine lange Tradition, die bis ins Mittelalter zurückgeht. Sie zeigen Heilige und Huren, Kaiser und Bettler, die in einer Kolonne der skelettierten Gestalt des Todes hinterhertanzen.

Hrdlickas Totentanz jedoch ist in seiner weitgehenden Konzentration auf die Uniform ziemlich einzigartig. Keine Könige und Habenichtse, sondern Verirrte von Anfang an. Figuren, die dem Tod nicht hinterhertanzen, sondern auch seine Rolle eingenommen haben. Ganz am Ende steht ein mutierter Zivilist, Walter Rauff, gewesener SS-Mann und Mitorganisator des Massenmords des NS-Regimes. Später arbeitete er, quasi als Privatmann, für den BND, dann für Pinochets Terrorregime in Chile. Auf ihn laufen Hrdlickas Bilder zu: auf den Tod, den Meister aus Deutschland.