Mordfall: Ein Dieb ist "entsetzt"

Von Manfred Scherer
Am vierten Verhandlungstag im Mordprozess um den gewaltsamen Tod eines Rentners in der Innstraße kam eine besonders dreiste Vorstrafe zur Sprache. Foto: Britta Pedersen dpa-Archiv Foto: red

Was genau ging schief am Abend des 12. April 2017 im Haus Innstraße 3? Warum musste der Hausbewohner Friedrich Kuhn sterben? Im Prozess um den gewaltsamen Tod des Rentners sind einige Fragen offen, aber doch einige klar zu beantworten. Etwa diese: Der 88-jährige, gebrechliche Mann passte exakt in ein Opferschema, das zumindest einer der zwei wegen Mordes an Kuhn angeklagten Männer schon früher angewendet hatte. Und zwar mit einer „Dreistigkeit, die ihresgleichen sucht“, wie früher ein Gericht urteilte.

 
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Der heute 36-jährige Anton S., einer der beiden wegen Mordes an Friedrich Kuhn angeklagten Männer, hat von Beginn des Verfahrens an zugegeben: Ja, ich bin ein Trick- und Einschleichdieb. Ich erleichtere vorwiegend Senioren um ihr Geld oder ihren Familienschmuck – Juweliere, die ohne Nachweis Edelmetall ankaufen, gebe es genug.

Anton S. hat, wie berichtet, zugegeben, am 12. April 2017 den betagten Friedrich Kuhn in Bayreuth heimgesucht zu haben. Dass er seine „Masche“ so frank und frei offenlegt, soll signalisieren: Hochbetagte Senioren sind leichter zu bestehlen, das Risiko, aufzufliegen, ist geringer. Die Einlassung vor Gericht soll auch andeuten: Gewalt ist bei solchen Opfern nicht notwendig.

Und doch wurde Friedrich Kuhn Gewalt angetan. Gerichtsmediziner sagen, der gehbehinderte Kuhn sei mit einem Gegenstand geschlagen worden und danach eine Treppe hinabgestürzt. Anton S. hat beteuert, er sei kein Mörder. Anton S. beschuldigt statt dessen den mitangeklagten gleichaltrigen Firat T. Der habe mit ihm zusammen den Diebstahl bei Friedrich Kuhn durchgezogen und den Senior niedergeschlagen, als er, Anton S., schon vom Tatort weg gewesen sei.

Firat S. hat bislang keine Stellung zu den Anklagevorwürfen genommen und somit auch keine Erwiderung auf die Beschuldigungen von Anton S.

Die Empörung der Zuhörer ist greifbar

Dass Anton S. ein erfahrener Einschleichdieb ist, wie er behauptet, wird durch eine Vorstrafe belegt. Eine einjährige Haftstrafe bekam er vom Landgericht Augsburg für eine Tat, deren Sachverhalt am Mittwoch beim vierten Verhandlungstag des Mordprozesses verlesen wurde und bei den Zuhörern im Bayreuther Schwurgerichtssaal für hörbare Empörung sorgte: Am 1. Mai 2015 betrat S. im Augsburger Stadtteil Neusäß die Wohnung einer damals 92-jährigen Frau. Die fast blinde Seniorin hatte eine Kette aus Edelsteinen um den Hals, ein Familienerbstück. Anton S. machte ihr die Kette im Wert von 7000 Euro ab und verschwand.

 

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Anton S. wurde später erwischt, behauptete, er habe die Tat in einer „Lebenskrise“ mit zu viel Alkohol und hohen Pokerschulden begangen. Die Halskette habe er – „über seine Tat entsetzt“ – im Ilsesee zwischen Augsburg und Königsbrunn versenkt.

Auch nach dem aus dem Ruder gelaufenen Diebstahl bei Friedrich Kuhn will Anton S. von seinem schlechten Gewissen geplagt worden sein. Er sagt, er sei derjenige anonyme Anrufer gewesen, der am 12. April um 23.15 Uhr von einem Münztelefon am Crailsheimer Bahnhof bei der Polizei in Aalen anrief und mit den Worten „Bayreuth Innstraße – ein alter Mann liegt in seinem Blut“ Hilfe für den schwer verletzten Friedrich Kuhn auf den Weg brachte. Wie mehrfach berichtet, kam die Hilfe zu spät, der schwer verletzte Senior starb am 14. April im Krankenhaus. Gerichtsmediziner urteilten gar, der 88-Jährige wäre auch bei noch schnellerer Hilfe nicht zu retten gewesen.

Lässt sich die Aussage mit anderen Indizien stützen?

Die Aussage von Anton S. ist bislang das gewichtigste Indiz dafür, dass er und der Mitangeklagte T. mit dem Tod von Friedrich Kuhn zu tun hatten. Die Aussage wird dann umso bedeutender, wenn sich die Schilderungen von Anton S. mit anderen Indizien stützen lassen.

Beispielsweise legen DNA-Spuren nahe, dass Anton S. und Firat T. im Haus in der Innstraße gewesen sein dürften. Doch dass die zwei Angeklagten ausgerechnet bei dem menschenscheuen und misstrauischen Friedrich Kuhn mit einem sogenannten „Nachbarstrick“ Einlass bekamen, steht zumindest in Zweifel. Wie berichtet, soll sich Firat T. mit einer Flasche Wein und Kuchen an der Tür als neuer Nachbar vorgestellt haben – eine Erzählung, die Nachbarn und Angehörige als unvorstellbar bezeichnet haben.

Wie also gelang es Anton S. und einem möglichen Komplizen, den misstrauischen Friedrich Kuhn dazu zu bewegen, Einlass zu gewähren? Doch mit dem „Wasserwerkertrick“, der älteren Menschen doch einiges an Druck und Sorgen macht wegen einer kaputten Leitung, Reparaturen und Ärger?

Ein kleines Indiz ist hier die Aussage eines Jungen, der mit Freunden am Abend in der Donaustraße Trampolinspringen übte. Die Jungs sahen zwei Männer in Richtung des Hauses Innstraße gehen. Die besondere Beobachtung eines der Jungs: Einer der Männer trug einen Holzkoffer am langen Arm. Ein Koffer, der als Werkzeugkiste angesehen werden könnte?

Noch ein weiteres Detail könnte Anton S. Lügen strafen: Er, der Mann, der Gewalt bei seinen betagten Opfern ablehnte, ist in Österreich wegen eines Verbrechens des gemeinschaftlichen Raubes vorbestraft. Der Sachverhalt dieser Tat ist noch nicht bekannt gegeben worden, aber: Ein Räuber wendet entweder Gewalt an oder droht seinem Opfer mit einer Gefahr für Leib und Leben.


Der Prozess wird fortgesetzt.

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