Mit 15 Jahren in Auschwitz

Von Peter Engelbrecht
Einer der letzten Zeitzeugen: Ivan Ivanji. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Ivan Ivanji kann mit nüchternen Worten berühren. Was er über seine Leidenszeit im KZ erzählt, weckt Emotionen. Der 88-Jährige sprach in Bayreuth bei der Gedenkveranstaltung zur Pogromnacht am 9. November 1938, als in ganz Deutschland Synagogen zerstört und Juden verschleppt wurden.

 
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Der Zeitzeuge aus Belgrad wuchs dreisprachig mit Serbisch, Ungarisch und Deutsch im Banat auf. Als Jugendlicher aus einem jüdischen Elternhaus überlebte er die Konzentrationslager Auschwitz und Buchenwald. Er wurde später Journalist, Titos Dolmetscher, Diplomat und Schriftsteller. Rund 100 Zuhörer waren gekommen, um den Erinnerungen von Ivanji zu lauschen. Er spricht sehr gut Deutsch, liest konzentriert aus seinem Roman „Schlussstrich“, der autobiografische Züge trägt. Der Pfarrer und Historiker Björn Mensing aus Dachau befragt ihn als einen der letzten Zeitzeugen, die das Grauen der Lager am eigenen Leib erlebt haben. Dabei zeigt sich: Ivanji hatte einfach Glück, zu überleben. Häufig spielten auch Zufälle mit.

Leben oder Tod

1940, als der Krieg immer näher an Jugoslawien heranrückte, ließ ihn sein Vater taufen. Auf einmal war er ein reformierter ungarischer Christ, durfte weiter aufs Gymnasium gehen. Doch im April 1944 holten den 15-Jährigen ungarische Polizisten ab, im Zuge der Judendeportationen wurde er Ende Mai 1944 im Viehwaggon ins Vernichtungslager Auschwitz verschleppt. An die Bahnfahrt selbst kann sich Ivanji nicht mehr erinnern, aber an die Ankunft an der berüchtigten Rampe, wo SS-Ärzte über Leben oder Tod entschieden. „Die SS brüllte, die Kapos warfen uns aus dem Waggon.“ Er sah, dass die Menschenmenge an der Rampe in rechts und links getrennt wurden, schaffte es, auf die Seite der „Arbeitsfähigen“ zu gelangen. Die erste Nacht war schrecklich, er spürte den Rauch und Gestank der verbrannten Leichen. „Die Häftlinge sagten: das sind eure Eltern“, erinnert er sich. Nur wenige Tage sei er in Auschwitz gewesen, dann ins KZ Buchenwald bei Weimar weitertransportiert worden. Nach Zwangsarbeit in zwei Außenlagern befreite ihn die US-Armee.

"Zuviel für ein Leben"

Ivanji betrachtet heute differenziert, was ihm damals an Leid zugefügt wurde. Die Nazis ermordeten Vater und Mutter. Es seien nicht „die Deutschen“ gewesen, mahnt er. Deutsche seien KZ-Opfer gewesen, Deutsche hätten aber auch Menschen zu Tode gefoltert. „Und es gab eine riesige Mehrheit, die zugeschaut hat.“ Über sein Dasein meint er rückblickend: „Das, was ich alles gemacht habe, ist zu viel für ein Leben.“ Er schmunzelt ein bisschen dabei, spielt mit der Selbstironie. Wie hat er das ganze Urecht verarbeitet?, will eine Zuhörerin wissen. „Ich habe mich schreibend davon befreit“, erwidert er. Und: „Ich bin mit einem stabilen Gemüt gesegnet“. Fast zwei Stunden lang spricht und diskutiert der 88-Jährige, das nötigt Respekt ab. Die Zuhörer danken es ihm mit langem, herzlichem Applaus.

Wolff rügt Erinnerungskultur in Bayreuth

In der Pogromnacht 1938 hätten SS und SA in Bayreuth mehr als 60 Männer in die Viehstallungen der Rotmainhalle getrieben, bilanziert Jürgen Wolff, Geschäftsführer des Evangelischen Bildungswerks. „Die Erinnerungskultur in Bayreuth ist noch immer defizitär“, dies sei an diesem Gedenktag besonders schmerzlich. Der Abend wurde vom Bildungswerk und sechs weiteren Organisationen veranstaltet.

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