«Mini-Dschihadisten» im Visier Seehofer will Daten über radikalisierte Kinder speichern

Nach Ansicht von Innenminister Seehofer soll der Verfassungsschutz künftig auch Daten radikalisierter Kinder sammeln. Foto: Kay Nietfeld Foto: dpa

Vor drei Jahren hat die große Koalition die Altersgrenze für die Überwachung von 16 auf 14 Jahre abgesenkt. Jetzt soll auch diese Barriere fallen. In Bayern ist der Blick ins Kinderzimmer jetzt schon Realität. Er bleibt allerdings die Ausnahme.

 
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Berlin - Der Verfassungsschutz soll nach dem Willen von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) in Zukunft auch Informationen über radikalisierte Kindern speichern dürfen. Das ist bislang verboten.

Sachverhalte, bei denen es um Kinder geht, dürfen zwar jetzt schon in den Akten des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) festgehalten werden. Ein Eintrag im Nachrichtlichen Informationssystem (NADIS) ist aber nicht erlaubt.

Die Idee hinter der bislang geltenden Mindestaltersgrenze von 14 Jahren war: Wer durch die Indoktrination der Eltern oder eigene Verirrungen in der Kindheit auf dem Radar des Verfassungsschutzes landet, soll später deshalb keine Nachteile haben. Etwa bei den Ausländerbehörden. Oder wenn er sich als Erwachsener um eine Stelle bewirbt, für die eine Sicherheitsprüfung verlangt wird.

Das Bundesamt hält den Wegfall der Altersbeschränkung dennoch für vertretbar und notwendig. Vor allem, damit der Staat Kinder aus dem islamistischen Milieu besser im Blick behalten kann. Dabei geht es einerseits um Kinder von radikalen Salafisten, die in Deutschland zum Hass auf vermeintliche "Ungläubige" erzogen werden. Die Sicherheitsbehörden wollen sich aber auch auf die mögliche Rückkehr von Dutzenden Kindern vorbereiten, deren "Dschihadisten-Eltern" sich der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) im Irak oder in Syrien angeschlossen hatten. Diese Kinder haben Grausamkeiten zum Teil hautnah miterlebt.

Eine weitere Zielgruppe sind Kinder, die sich alleine im Internet radikalisieren oder in Moschee-Vereinen, die ihre Eltern fälschlicherweise für unverdächtig halten. Auch bei jüngeren Kindern sind Einflüsse von Fremden nicht ganz auszuschließen. Das hat sich etwa bei den Ermittlungen zum Terroranschlag auf dem Breitscheidplatz gezeigt. Nach dem Anschlag kam heraus, dass Bilal Ben Ammar, ein tunesischer Bekannter des späteren Attentäters Anis Amri, 2016 in einer Berliner Flüchtlingsunterkunft mit einem Jugendlichen und einem Kleinkind Enthauptungen durch den IS "nachgespielt" hatte. In Einzelfällen könnten von der neuen Regelung auch Kinder, die von Rechtsextremisten indoktriniert werden, betroffen sein.

Erst 2016 war das gesetzliche Mindestalter für Beobachtungen von 16 auf 14 Jahre abgesenkt worden. Auf eine Anfrage der Innenpolitikerin Ulla Jelpke (Linke) hatte die Bundesregierung mitgeteilt, dass das BfV zum Stichtag 27. Mai 2016 Informationen zu acht 14-Jährigen und 27 Jugendlichen im Alter von 15 Jahren gespeichert hatte: Drei von ihnen waren dem Rechtsextremismus zuzuordnen, die anderen dem Bereich Islamismus und Islamistischer Terrorismus. Bayern hatte die Mindestaltersgrenze für die Speicherung bereits im Juni 2016 gestrichen.

Die jetzt geplante bundesweite Neuregelung ist Teil eines Entwurfs des Bundesinnenministeriums zur "Modernisierung des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV)", der bereits vor einigen Tagen an die anderen Ressorts zur Stellungnahme weitergeleitet worden war.

"Nicht Kinder, sondern ein außer Kontrolle geratener Inlandsgeheimdienst stellen eine Gefahr für die Gesellschaft dar", sagte Jelpke. "Wir brauchen keine Aufrüstung des Verfassungsschutzes, sondern eine Stärkung der Sozialsysteme, auch der Jugendämter."

Der Entwurf aus dem Haus von Seehofer sieht außerdem vor, dass die Mitarbeiter des Bundesamtes eine Lizenz zum Hacken erhalten sollen. Konkret geht es dabei um die Erlaubnis für "Online-Durchsuchungen". Darunter versteht man den verdeckten Zugriff auf Computer, Smartphones und anderen IT-Geräte, deren Daten dann ausgelesen werden können. Diese Befugnis soll allerdings auf die Aufklärung "besonders schwerer Bedrohungen" beschränkt werden. Ob dafür Software eingekauft werden soll oder ob der Staat das mit Bordmitteln erledigen will, lässt das Ministerium noch offen. Innen-Staatssekretär Hans-Georg Engelke sagte am Dienstag in Berlin, er rechne mit weniger als zehn Fällen pro Jahr.

Dem Nachrichtendienst soll nach Angaben aus dem Innenministerium künftig auch die sogenannten Quellen-TKÜ gestattet werden. Diese Art der Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) ermöglicht es, auch Chats und Sprachnachrichten abzuhören, die verschlüsselt versendet werden. Der Entwurf sieht vor, dass nach der BfV-Leitung auch der Innenminister und die G-10-Kommission des Bundestages jeder einzelnen Maßnahme zustimmen müssten. Die Kommission ist für die Genehmigung von Maßnahmen zur Kommunikationsüberwachung zuständig.

Im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD heißt es: "Wir sind uns bewusst, dass auch maßvolle und sachgerechte Kompetenzerweiterungen des BfV eine gleichzeitige und entsprechende Ausweitung der parlamentarischen Kontrolle erfordern."

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