Wer beim Klavierfestival in Steingraebers Kammermusiksaal Tomoko Ogasawara am Werk sieht, hört erstaunlich konsistente Deutungen durchaus verschiedener Stücke, die – bei aller grundsätzlichen Einseitigkeit, die man „Stil“ nennen muss – in das Wärmebad eines legeren Tons getaucht werden. Chopin erscheint hier nicht als Jüngling eines kultivierten Weltschmerzes, sondern als Meister einer formal hochentwickelten Salonmusik. Wer „Salonmusik“ als Schimpfwort empfindet, mag sich vergegenwärtigen, dass der Pianist seine Werke meist für die intimen Räume der Salons in Warschau, Paris und Nohant schrieb; Tomoko Ogasawa wird ihnen sublim gerecht, indem sie auf dem Pianoforte nicht herumdonnert, sondern beglückend dezent und leger spielt. Dieser Chopin ist kein Berserker, sondern ein Mann, der seine tiefsten Gefühle an der Oberfläche von harmlos scheinenden Mazurken, doch auch von Trauermärschen und Chorälen hinterlegte. Mit der Polonaise-Fantasie op. 61, die wesentlich mehr Fantasie als Polonaise ist, mit dem heroischen c-Moll-Nocturne op. 48/1, den 3 Mazurken op. 59 und der f-Moll-Ballade op. 52 begibt sich die dezente, doch zugleich genaue Chopin-Interpretin in das Reich des „sfumato“, des „Nebels“, der doch Attacken und Marcato-Passagen nicht ausschließt, sondern erst sinnvoll macht. Nur muss sie nicht donnern, um einen möglichen Sinn der eher schwermütigen als exzentrischen Musik zu erfüllen, der in der stilisierten Improvisation und den extremen Gefühlen der Fantasie zu einem emotionalen Höhepunkt kommt.