Markgrafenbuchhandlung: Schluss mit Goethe

Von Michael Weiser
Kein Wesen kann zu nichts zerfallen: Rolf J. Geilenkirchen bei der Abschiedslesung. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Die Markgrafenbuchhandlung ist Geschichte: Mit einer Goethe-Lesung hat sich die traditionsreiche Buchhandlung am Mittwochabend von ihren Kunden verabschiedet. Eindrücke von der Abschiedsparty.

 
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Der Zeitschriftenständer unten, vorm Eingang, ist fast leer gekauft. Zwei, drei Zeitungen räkeln sich noch im Drahtgeflecht, ansonsten aber steht da nur noch ein Skelett. Drinnen dagegen füllt sich’s, im ersten Stock drängen sich die Besucher. „So viele Menschen waren, glaube ich, noch nie bei einer Veranstaltung“, sagt Buchhändlerin Valeska Weinrich. Hundert Stühle habe man aufgestellt, „aber es sind sogar noch einige extra gekommen“, sagt Christa Russ, Lebensgefährtin des Chefs, Rolf. J. Geilenkirchen. Volles Haus am allerletzten Abend der Markgrafenbuchhandlung, beim Finale mit Goethe: Gedichte, lange Passagen aus dem „Faust“. Und alles irgendwie mit Bezug zur traditionsreichsten Bayreuther Buchhandlung.

Eine letzte Lesung

Es lesen: Die Mitarbeiter, dazu Veteranen aus manchem Lesemarathon, Dieter Putz und Dieter Funk. Mancher Besucher wird wehmütig. Doris Kuhn etwa erinnert sich an eine ihrer ersten Begegnungen mit der Markgrafenbuchhandlung. „Wir waren unterwegs im Fichtelgebirge“, sagt sie, „eine Wanderung auf Goethes Spuren. Für mich schließt sich mit der Goethe-Lesung ein Kreis.“

Tränen in den Augen

Die Lesung zeigt mehrerlei; dass es für jede Situation ein Goethe-Wort gibt, beispielsweise. Oder was den Zauber eines echten Geschäfts eben auch ausmacht: die Temperamente seiner Mitarbeiter. Rolf J. Geilenkirchens Stimme bricht ein-, zweimal beim Lesen, andere haben Tränen in den Augen. Frank Piontek ist, was man im Theater anerkennend „Rampensau“ nennt. Schließlich versteigert er sogar den verblichenen Papp-Goethe für sensationelle 140 Euro. Für einen guten Zweck: Die Belegschaft will nochmals gemeinsam essen gehen.

"Lass mich liegen, wo ich liege"

„Von der Klassik zur Romantik“ heißt der Lesemarathon, den die Auflösung des Geschäfts nunmehr jäh unterbrochen hat. Geilenkirchen hält sich mit seinem Goethe-Abend schadlos dafür und schwelgt in Lieblingsstellen. Eine davon: der Trunkene im „Faust“, der Tragödie zweiter Teil. „Lass mich liegen, wo ich liege. Denn ich mag nicht länger stehn“ lauten Geilenkirchens letzte offizielle Worte als Chef der Markgrafenbuchhandlung.

Schwerer Schritt nach 37 Jahren

„Am liebsten hätte ich gar nicht aufgehört“, sagt er kurz danach. „Aber ich bin glücklich, dass über hundert Leute da waren.“ Er und seine Lebensgefährtin werden um Pfingsten herum ins Karwendelgebirge fahren, zum Wandern. „Nicht weit weg“, sagt Christa Russ, „auf uns wartet hier viel Arbeit.“ Ab heute, Donnerstag, gehen die im Geschäft verbliebenen Bücher zurück. Man kann dann zwar noch bei der Markgrafenbuchhandlung bestellen. Aber: mit dem Angebot einer Universalbuchhandlung ist’s das gewesen, nach 37 Jahren insgesamt, nach fast 20 Jahren am Sternplatz. Rückgänge im Umsatz, weniger Kunden, steigende Kosten, eine Bank, die einen Kredit nicht verlängert – deswegen hat Geilenkirchen die Reißleine gezogen. „Das Internet hat uns kaputt gemacht“, sagt Christa Russ.

Viele Gäste sind nach der Lesung noch geblieben, haben Wein getrunken und Gebäck gegessen und Anekdoten ausgetauscht. „Kein Wesen kann zu nichts zerfallen.“ Das ist eine Zeile aus Geilenkirchens Lieblingsgedicht - dem „Vermächtnis“. Zumindest Erinnerungen werden bleiben. Und natürlich die vielen Bücher in vielen Bayreuther Bücherregalen.

Das sagen die Gäste

Wolfgang Juha, Bayreuth: „Ich bin traurig. Rolf J. Geilenkirchen hat ja doch immer viel gemacht, auch zur Festspielzeit war hier in der Markgrafenbuchhandlung immer viel los. Aber so ist das eben: Die Kleinen werden von den Großen gefressen.“

Karla Fohrbeck, Neudrossenfeld: „Das ist ein philosophisch-literarisches Ereignis, im Sinne von Goethes ,Entstehen und Vergehen‘. Hier ist nichts in den Abgrund gestürzt, es hat immer noch Flügel und lebt noch. Irgendwo geht das Leben weiter. Ich bin dankbar für Jahrzehnte, in denen es diesen Ort mit dieser Aura gab.“

Doris Kuhn, Bayreuth: „Sehr traurig bin ich. Als ich vor 26 Jahren aus Wertheim nach Bayreuth kam, wurde die Markgrafenbuchhandlung mein zweites Wohnzimmer. An fast allen Veranstaltungen habe ich teilgenommen. Für mich schließt sich mit der Goethe-Lesung ein Kreis, aber das ist traurig. Denn mit der Schließung geht viel verloren.“

Elfriede Tittlbach, Bayreuth: „Ich fühle Wehmut. Es ist eine Tragödie für Bayreuth, die Markgrafenbuchhandlung war eben auch ein wunderbarer Ort der Kommunikation. Und der Kultur – ich habe hier zum Beispiel Jean Paul in literarischen Häppchen genossen. Und immer hatte ich Ansprechpartner, auch wenn ich Bücher für meine Enkel suchte. Hier war ich daheim.“

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