Kluge Gedanken machen nicht glücklich

Florian Zinnecker
 Foto: red

Die Bayreuther Festspiele machen mit „Siegfried“ dort weiter, wo die „Walküre“ aufhörte: Frank Castorf führt die Zuschauer an ihre Grenzen - und Marek Janowski die Sänger. Bis zuletzt ist nicht sicher, ob alles gutgeht. Die Premierenkritik.

 
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Der Abend brauchte einen Neustart. Das Vorspiel zum ersten Aufzug lief schon, der Vorhang öffnete sich - und wurde ein paar Takte später, ganz langsam, wieder geschlossen. Das Orchester spielte weiter, pünktlich zu Mimes Einsatz ging der Vorhang ein zweites Mal auf; was auch immer das Problem gewesen war, es schien gelöst. Und es ist natürlich albern, in diese Panne zusätzliche Bedeutung hineinzuinterpretieren, aber: Es scheint, als habe die visuelle Zäsur auch der Musik gutgetan. Denn die Verständigungsprobleme zwischen Bühne und Orchestergraben, die im „Rheingold“ und in der „Walküre“ zu wackeligen und verrutschten Einsätzen geführt hatten, waren an diesem Abend hörbar besser im Griff.

Lautstärkegrenzen

Der „Ring“ im Jahr 2016, mit Marek Janowski am Pult, wird wohl trotzdem bis zum letzten Takt spannend bleiben. Allerdings nicht wie erwartet, indem Janowski souverän und altersweise vorführt, was mit dieser Komposition möglich ist und alle Nuancen des Klangspektrums aus der Musik herauskitzelt. Sondern, weil tatsächlich nicht sicher ist, ob das alles gutgeht - beinahe jeder Sänger kommt im „Siegfried“ einmal an seine Lautstärkegrenzen und droht vom Orchester überrollt zu werden, es gibt niemanden, der nicht auch mit dem Tempo - und den radikalen Tempowechseln - in Not käme. Im Orchestergraben selbst kreiert Janowski durchaus immer wieder fein ausgewogene Momente. Aber auf einmal merkt man die Schwierigkeit der Aufgabe, dass hier ja 126 Musiker und eine Handvoll Sänger zusammengehalten sein wollen. Und so nachvollziehbar das auch ist: Der Reiz an Zaubertricks besteht immer noch darin, dass man nicht sieht, wie sie gemacht sind. 

Der beste "Ring"-Abend

Sängerisch ist „Siegfried“ der bisher beste „Ring“-Abend, das liegt vor allem an Stefan Vinkes ausgeruhter Titelpartie und Catherine Fosters bewundernswert leicht wirkender Brünnhilde. John Lundgren hat als Wanderer weit mehr starke als schwache Momente, im Schlagabtausch mit Nadine Weissmann als Erda ist trotzdem klar, dass er - allein durch Stimmvolumen - den Kürzeren ziehen würde. Albert Dohmen findet als Alberich nach dem „Rheingold“ zu alter Form zurück. Andreas Conrad muss als Mime nicht ganz so sehr durch die Partie hetzen wie Karl-Heinz Lehner als - davon abgesehen sehr starker - Fafner und Ana Durlovski als Waldvogel. 

Minutenlang gefeiert

Die Sänger werden minutenlang gefeiert; die Buh-Rufe nach dem Ende - die ersten nennenswerten der Saison - zielen allem Anschein nach auf die Inszenierung von Frank Castorf, die dem Publikum verweigert, was es laut Partitur hätte erwarten dürfen: die Waldeinsamkeit Siegfrieds, den kurzen Moment des Glücks mit Brünnhilde und all die anderen kleinen und großen Momente, die die Zuschauer dafür Karten kaufen lassen. Stattdessen, das ist nichts Neues, tollt Siegfried auf einem beeindruckenden kommunistischen Mount Rushmore herum, und unter der Weltzeituhr auf dem Alexanderplatz wird der Waldvogel vom Krokodil gefressen. Nach wie vor: keine schlechte Idee, die zentralen Handlungsmomente zu zeigen, indem man sie in ihr Gegenteil verkehrt. Nach wie vor ist das aber auch: aufdringlich bis an den Rand der Nervtöterei. Es stimmt schon, kluge Gedanken mögen besser sein als keine klugen. Aber glücklich machen sie eben nicht unbedingt.

Und es sieht ganz danach aus, dass nach dieser Art von Glück gerade durchaus Nachfrage bestünde. 

 

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