Kleine Feier für Friedelind Wagner

Von Michael Weiser

Mit einer kleinen Feierstunde in Haus Wahnfried und der Eröffnung einer Präsentation im Siegfried-Wagner-Haus hat das Richard-Wagner-Haus am Donnerstag an den 100. Geburtstag von Friedelind Wagner (1918 bis 1991) erinnert. Die Musikwissenschaftlerin Eva Weissweiler stellte in Briefausschnitten Friedlind im Jahre 1939 vor, dem Jahr ihrer Entscheidung gegen Familie und Nationalsozialismus.

 
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„Ein Meer von Widersprüchen“ sei seine Schwester, hat Wolfgang Wagner einmal gesagt. Aber sie war tatsächlich noch ein bisschen komplizierter und vor allem entschiedener widersprüchlich als der Rest der Familie. Ihrer Mutter Winifred gegenüber hielt sie nicht hinterm Berg, Widerspruch übte sie später aus dem Exil im Ausland auch gegen die Nationalsozialisten und ihre Familie als Personal von „Hitlers Hoftheater“ – was ihr den Ruf als „schwarzes Schaf“ der Familie eintrug.

Zu den Widersprüchen gehört auch, dass sie als Unbelastete ausgerechnet den anderen Zweifelsfreien der Familie, Wagners erstem Enkel Franz Wilhelm Beidler, bei den Amerikanern als Kommunist denunzierte. Damit schied Beidler endgültig aus dem Kreis derer aus, die die Festspiele nach ihrer Entehrung durch Hitler und Winifreds Kumpanei mit den Nazis hätten leiten können. Weil aber Friedlind zögerte, ihre Kandidatur zu verkünden, konnten, nachdem die höchst belastete Winifred den Weg freigemacht hatte, Wolfgang und Wieland die Herrschaft am Grünen Hügel übernehmen.

Warum zauderte Friedelind? Waren es die familiären Traumata? Oder der Mangel an Erfahrung? Einmal nur führte sie Regie – beim „Lohengrin“ in Bielefeld. Sie soll sich dabei stark an die Regiesprache ihres Bruders Wieland angelehnt haben.

Zum Höchsten in der Lage, fähig auch zum Niedrigen

In ihren Verstrickungen – auch sie war zunächst von Hitler begeistert gewesen – ebenso wie in ihrer Größe und ihren Nicklichkeiten war sie die Enkelin, in der sich das Eigentliche, die Essenz dieses Familien-Dramas zu bündeln scheint: Zum Höchsten in der Lage, fähig auch zum Niedrigen. Ihr Name mochte Frieden und Milde nahelegen – „aber ein sanftes Wesen war sie nur kurz“, sagte Tanja Dobrick, stellvertretende Leiterin des Richard-Wagner-Museums, bei ihrer Begrüßung.

Eva Weissweiler beleuchtete bei ihrem Vortrag eine weitgehend unbekannte Seite der Wagner-Enkelin, die sich in den Briefen an ihre Tanten Daniela Thode und Eva Chamberlain als so spottlustige wie liebevolle Beobachterin erweist. Sie ist intelligent und versteht doch manchmal ihre Welt nicht mehr. „Oh Hitler, was hast du dieser Welt – uns allen – angetan! So was nennt sich dann Vegetarier – er schon das Tier – und mordet Millionen“ , notiert sie nach Russlands Einstieg in den Krieg gegen Polen.

Sie schreibt den beiden Tanten von Tribschen aus von ihrer Liebe für Toscanini und bietet im nächsten Augenblick Hilfe aus der reichen Schweiz an. Den beiden Tanten – Daniela Thode war Anfang 80, Eva Chamberlain immerhin Anfang 70, kündigte sie Lebensmittel an, darunter Kakao: „Das wäre doch auch etwas zum Nähren von kleinen Säuglingen, so wie ihr sie seid!?“

Die beiden alten Damen schätzt sie sehr. Und so sind die beiden die einzigen, die Friedelind über jeden Aspekt ihres Lebens informiert. Auch über ihre Abnabelung von Deutschland und ihrer Familie. „Ich kann mir denken, wie scheußlich es jetzt in Bayreuth sein muss – dieser ewige Regen, dazu die Dunkelheit und auch noch die deprimierenden Gedanken. (…) Ich muss nach Amerika, da gibt es kein Hin und Her.“

Laute Stimme gegen die Nazibarbarei

Sie wird nach Amerika gehen, wird dort von dort aus eine laute und vernehmliche Stimme gegen die Nazibarbarei ertönen lassen, für Hitler doppelt ärgerlich, weil sich da eine Nachfahrin des „Meisters“ äußert. Winifred soll der widerborstigen Tochter die Ausrottung angedroht haben, ob es stimmt, kann wohl nicht mehr belegt werden. Sicher ist, dass Friedelind nach dem Krieg als Verräterin angesehen wird. Sie muss es gewusst haben, dass es nicht einfach werden würde. „Ich lasse mich nicht zermahlen“, schrieb sie an ihre Tanten. Anders als etwa Wieland würde sie in der Wahrnehmung der Außenwelt Bayreuth aber nichts zu vermitteln haben – außer der Scham über das Jahrhundertverbrechen der Deutschen.

Ihren eigenen Geburtstag hätte sie selber wohl kaum gefeiert, viele, die Wagner und seinem Werk nahestehen, hielten es am 29. März genau so. Einige Stadträte, keine Oberbürgermeisterin, niemand vom Grünen Hügel, keine Familie, nicht viele Mitglieder vom Richard-Wagner-Verband hatten sich in Wahnfried eingefunden. Einige fehlten wohl auch deswegen, weil so lange überhaupt nicht klar gewesen war, ob und wie gefeiert werden würde. Ein Zeitzeuge war da, er hatte als Fotograf für sie gearbeitet, damals, als sie an Wielands Seite in Bayreuth ihre Meisterklassen installierte. „Die sieben Jahre unter Friedelind“, sagte Tom Lipton (75) in Wahnfried, „waren die besten Jahre meines Lebens.“

Dass man auch als normaler Besucher von Wahnfried nicht ganz an Friedelind vorbeikommt, zumindest, wenn man sich Wagners dunkles Erbe im Nationalsozialismus nicht erspart und das Siegfried-Wagner-Haus aufsucht, dafür sorgt das Museum. Seit Donnerstag stehen dort große Bildtafeln in grobem Holzrahmen. Sie informieren über Friedelinds Leben. Und weil sie förmlich im Wege herumstehen – als „Intervention“, wie Dobrick erklärte – erinnern sie allen durch ihre Sperrigkeit ans schwarze Schaf der Familie.

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