Kammern und Verbände raten Für den schlimmsten Fall gerüstet sein

Von Roland Töpfer
Ein Brexit-Stopp wäre ganz im Sinne oberfränkischer Unternehmen. Symbolfoto: -/wooferendum/dpa Foto: Peter Gisder

BAYREUTH/COBURG. Oberfranken und der Brexit: Aus Sicht von Sara Franke, Leiterin Bereich International bei der IHK für Oberfranken in Bayreuth, sind die Unternehmen weiterhin besorgt und verunsichert, auch nachdem die EU das Austrittsabkommen mit Großbritannien abgesegnet hat.

 
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Betroffenen Unternehmen sei zu raten, sich auf das schlimmste Szenario, sprich ein „No Deal“, einzustellen. Dies beinhalte unter anderem eine genaue Analyse der Lieferketten und der Preiskalkulation. Wer zum Beispiel britische Vormaterialien in der Herstellung verwende und bestehende Freihandelsabkommen der EU mit Drittländern nutzt, sollte mit Sorgfalt die jeweilige Betroffenheit prüfen. Rund 200 Mitgliedsunternehmen der IHK für Oberfranken haben Geschäftsbeziehungen mit dem Vereinigten Königreich, sagt Franke.

Die Spannbreite reiche von Maschinen über elektronische und optische Erzeugnisse bis hin zu Kunststoffprodukten, etwa für die Kfz-Industrie. Zusammen mit den USA, Frankreich, Österreich und Tschechien gehöre Großbritannien zu Oberfrankens wichtigsten Handelspartnern.

Furcht vor dem ungeordneten Austritt

Die größte Befürchtung bleibe der ungeordnete Austritt. „Besonders kleine und mittelständische Unternehmen mit wenig Zollerfahrung stünden damit vor einer großen Herausforderung“, so Sara Franke. Das mögliche Ausmaß sei vielen noch nicht bewusst. Nicht nur Warenverkehr und Transport seien Themen, sondern auch Gesellschaftsrecht, Produktzulassungen, Steuern und Verträge.

Durch den spürbaren Wertverlust des Pfundes seien oberfränkische Produkte und Dienstleistungen bereits teurer geworden. „Einige unserer Mitgliedsunternehmen haben bereits die Lagerkapazitäten in Großbritannien erhöht; denn Lieferungen just in time wären nach einem harten Brexit schwer möglich“, sagt Sara Franke.

Auch für den Coburger IHK-Präsidenten Friedrich Herdan bleibt als großer Unsicherheitsfaktor, ob die Vereinbarung im britischen Parlament die erforderliche Mehrheit erhält. Sollte die Vereinbarung ratifiziert werden, „dürften die Auswirkungen auf den Waren- und Dienstleistungsverkehr während der Übergangsphase beherrschbar bleiben“, so Herdan.

Folgen unüberschaubar

Wenn das Abkommen jedoch scheitern würde, seien die Folgen aus heutiger Sicht unüberschaubar. Betroffene Unternehmen würden derzeit ihre Lieferketten und Vertragsverhältnisse analysieren. „Unsere Betriebe beschäftigen sich intensiv mit dem Thema, das stellen wir anhand verstärkter Anfragen und Anmeldungen zu Informationsveranstaltungen fest.“

Die IHK unterstütze mit Schulungen, Newslettern und Checklisten – und stehe im engen Kontakt mit dem Hauptzollamt Schweinfurt. Im IHK-Bezirk Coburg haben nach Angaben von Herdan 40 Unternehmen „umfangreichere geschäftliche Aktivitäten mit dem Vereinigten Königreich, neun davon sind mit eigenen Niederlassungen beziehungsweise Fertigungsstätten vor Ort“. Es gehe vor allem um die Branchen Automotive, Maschinenbau, Elektrotechnik, Kunststoffverarbeitung und Konsumgüter.

Tangiert seien aber auch Coburger Unternehmen, die keine direkten Wirtschaftsbeziehungen mit der Insel haben, sondern über inländische Exporteure Umsätze in Großbritannien generieren. Die Wirtschaft brauche nun schnellstmöglich Klarheit und Planungssicherheit. Präventiv würden sich die Unternehmen auf Handelshemmnisse einstellen, wie Zollformalitäten, -kosten und -risiken, Steuern, Ausfuhrbescheinigungen, rechtliche Unsicherheit. Aktuell seien aber noch keine Beeinträchtigungen im Wirtschaftsraum Coburg bekannt geworden. Herdan: „Der Warenverkehr läuft wie gewohnt weiter.“

Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (VBW), weist auf Nachfrage darauf hin, dass sich die bayerischen Unternehmen weiterhin auf einen ungeordneten Brexit vorbereiten müssten, mit allen fatalen Folgen, die damit verbunden wären. „Wir hoffen allerdings, dass die britische Premierministerin für das Abkommen in Großbritannien eine entsprechende Mehrheit findet. Insbesondere die doppelte Übergangsfrist würde unseren Unternehmen Planungssicherheit geben.“ Der Brexit insgesamt sei sowohl für Großbritannien wie auch für die EU „grundlegend falsch“.

Nachverhandlungen ausgeschlossen

Positiv ist für Brossardt, dass die EU Nachverhandlungen ausgeschlossen hat. Die wichtigsten Exportgüter Bayerns nach UK seien Kraftwagen und Kraftwagenteile mit 46,3 Prozent aller bayerischen Exporte nach Großbritannien. Ebenfalls stark betroffen seien der Maschinenbau mit 11,8 Prozent und die Hersteller von Datenverarbeitungsgeräten, elektronischen und optischen Erzeugnissen mit 7,8 Prozent.

Bayern exportierte im Jahr 2017 nach VBW-Angaben Waren im Wert von 13,9 Milliarden Euro in das Vereinigte Königreich. Das waren 7,3 Prozent aller bayerischen Exporte. Das Land nehme damit Platz vier unter den größten Exportmärkten für bayerische Waren ein. In den ersten neun Monaten 2018 sanken die Exporte nach UK um 6,9 Prozent, die Importe aus UK sanken um 8,8 Prozent.

Mit großer Sorge verfolgen auch die deutschen Unternehmerinnen die Austrittsverhandlungen zwischen Großbritannien und der EU. Durch die endlich erzielte Einigung könnte zwar ein drohender harter Brexit vermieden werden, falls eine Zustimmung des britischen Unterhauses zustande kommt. Aber selbst mit der erreichten Verständigung würden die beträchtlichen wirtschaftlichen Schäden nur gemildert, die der nationale Alleingang der Briten für alle Beteiligten bedeutet, heißt es in einer Erklärung des Verbands deutscher Unternehmerinnen (VdU). Der Brexit „war und ist ein Fehler“.

VdU-Präsidentin Jasmin Arbabian-Vogel wendet sich an die britische Regierung: „Der gesunde Menschenverstand rät dazu, und die deutschen Unternehmerinnen tun es auch. Wir appellieren an Premierministerin Theresa May und an alle politisch Verantwortlichen im Vereinigten Königreich: Wählen Sie den Exit vom Brexit!“