Kaminer: Einer, der jeden aufs Korn nimmt

Von Henrik Vorbröker
Wladimir Kaminer beim Auftakt des Leselust-Festivals im Bayreuther Zentrum. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Großer Auftakt zum Leselust Festival 2018: Das Bayreuther Zentrum ist ausverkauft. Bis weit hinter den Volksfestplatz müssen die Besucher nach Parkplätzen Ausschau halten, so groß ist der Andrang. Zu Gast: Wladimir Kaminer. Kolumnist, Kosmopolit, Frauenversteher. Derzeit avanciert der Russe zu einem der beliebtesten Autoren Deutschlands.

 
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Wie gerne hätten die Zuhörer den Wahl-Berliner auf seiner letzten Kreuzfahrt begleitet. Miterlebt, wie er sich von rumänischen Griechen Sirtaki vortanzen ließ oder mit ihm die Flucht vor Pelzhändlern ergriffen. Die verstehen es nämlich an jedem Ort der Welt mit übersinnlicher Genauigkeit immer nur die Russen anzuquatschen.

Vielleicht wäre man sogar Zeuge eines Schokoladen-Dilemmas in einem russischen Souvenirshop geworden? Dort musste sich Wladimir Kaminer einmal zwischen drei Sorten Schoko-Putin entscheiden: „Putin Vollmilch“, „Putin zart-bitter“ oder „Putin mit Nüssen“. Vor allem aber hätte man seinen Kommentaren zu diesen skurrilen Begebenheiten lauschen dürfen, und wäre aus dem Lachen nicht mehr herausgekommen. Denn es ist zu schön, sich von Kaminer in dessen Geschichten entführen zu lassen.

Wo Kulturen, Nationen und Geschlechter feinzeichnerisch aufs Korn genommen werden

Mit amüsant-scharfzüngiger Ehrlichkeit nimmt sich der Russe in seinem Buch „Die Kreuzfahrer“ (erscheint Ende 2018) alle vor, die es verdient haben – und das ist schlicht jeder. „Man kann über alles eine Geschichte schreiben“, sagt er. Kaminer nimmt Kulturen, Nationen und Geschlechter gleichermaßen feinzeichnerisch, wie auch amüsant aufs Korn, vor allem aber unter die Lupe.

Den Stoff für seine Bücher findet der Autor auf der Straße, im Hotel, in der Familie oder eben auf dem Kreuzfahrtschiff. Gerade an letzterem Ort treffen die Völker der Welt am schonungslosesten aufeinander. Da gibt es die spießigen Deutschen, die beim Landgang unbedingt wollen, dass ihr Fremdenführer ein Navigationsgerät verwendet, oder die prolligen Engländer, deren Körper zum größten Teil aus Tätowierungen bestehen. Dazwischen sitzt Wladimir Kaminer und schreibt alles mit. Doch wird der 50-Jährige bei aller Stichelei niemals despektierlich. Seine Geschichten sind immer von einer liebevollen Verehrung der Verschiedenheit getragen, die, eifrig getrieben von verspielter Neugierde, stets auch das Verbindende sucht.

Locker, frei und spontan

Großartig ist der Vortragsstil. Locker und frei berichtet er von Erlebnissen, die er spürbar spontan, aneinander reiht. Oft ist ein zentraler Bestandteil dabei seine Frau, die mit ihm schon die ein oder andere absurde Situation bestanden haben muss. Je weiter der Abend voranschreitet, desto besser meint man das Paar Kaminer zu kennen, ist fasziniert und belustigt über manch spleenige Figur und giert geradezu nach weiteren Anekdoten.

Russische Geschichten: Ein Appell an die Völlkerverständigung

Beim Thema seiner alten Heimat wird er plötzlich nachdenklich: Russland habe es zwischen unaufgearbeiteter Vergangenheit und überstürzter Zukunftseuphorie versäumt, seinen Platz in der Welt zu finden. Weder Führung noch Opposition wüssten einen Weg aus dieser Lage. Auch das ist Kaminer: ein ernster Beobachter, der seine Schlüsse zieht. Und so appelliert der Autor am Ende seiner Lesung an ein begeistertes Bayreuther Publikum ganz im Sinne der Völkerverständigung: „Lasst uns anstoßen, auf ein sonniges Leben in einem friedlichen Europa mit Russland als Freund!“