Jörg Gundel empfiehlt eine Politik der Nadelstiche Bayreuther Völkerrechtler: "Die Krim gehört nicht zu Russland"

Von Peter Rauscher
Rechtlich gehört die Krim immer noch zur Ukraine sagt Jörg Gundel, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht an der Universität Bayreuth. Foto: Harbach Foto: red

Auf der Halbinsel Krim haben Politiker am Montag mit großem Pomp die Eingliederung in die russische Föderation gefeiert. Rechtlich gehört die Krim aber nach wie vor zur Ukraine, sagt der Bayreuther Völkerrechtler Prof. Jörg Gundel.

 
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Die Welt blickt gebannt auf die Krise in der Ostukraine. Ist die Eingliederung der Krim in Russland nach einem Jahr schon vergessen?
Jörg Gundel: Politisch trifft das wohl zu, die Krim wird kaum noch thematisiert. Rechtlich ist der Vorgang aber nach wie vor nicht akzeptiert, auch seitens der Europäischen Union nicht. Die Krim gilt als besetztes ukrainisches Territorium und wird Russland nicht zugerechnet.

Das gilt trotz des Referendums vor einem Jahr mit 97 Prozent Zustimmung zum Anschluss an Russland?
Gundel: So ist es. Völkerrechtlich ist eine solche regionale Volksabstimmung ohne Einverständnis aller betroffenen Seiten  nicht anerkannt. Es gibt kein Recht auf Abspaltung. Hinzu kommt, dass das Referendum unter irregulären Bedingungen stattfand. Selbst wenn also alle Seiten mit dem Referendum einverstanden gewesen wären - wie zum Beispiel kürzlich im Fall Schottlands - wäre es aufgrund mangelhafter Durchführung nicht anzuerkennen gewesen.

Sind alle Völkerrechtler dieser Meinung?
Gundel: Es gibt Stimmen, die das als legitime Sezession rechtfertigen wollen. Aber das ist nicht ungewöhnlich, im Völkerrecht liegen immer Meinungen auch jenseits des Mainstreams. Es herrscht  aber ein breiter Konsens in der Staatengemeinschaft, auch ausgedrückt in Resolutionen der UN-Generalsversammlung, dass es auf der Krim keine legitime und anzuerkennende Sezession gab, sondern die Übernahme fremden Territoriums durch einen Nachbarstaat.

Gibt es Instrumente, dieses völkerrechtliche Urteil auch durchzusetzen?
Gundel: Die gibt es, allerdings eher in Form von Nadelstichen. Indem zum Beispiel Luftfahrtgesellschaften nicht  Flughäfen direkt auf der Krim anfliegen, sondern in der Ukraine. Indem Waren aus der Krim keinen Zugang zum europäischen Markt bekommen, weil die ukrainischen Einfuhrstempel fehlen und die russischen Exportzertifikate nicht anerkannt werden. Das sind Einschränkungen im laufenden Geschäftsverkehr, die wirken. Die Krim ist ein Grauzonen-Territorium, das eine funktionierende Anbindung nur über Russland hat.

Gibt es eine Gerichtsinstanz, die Russland zur Herausgabe der Krim verurteilen könnte?
Gundel: Nein. Eine verbindliche Gerichtsbarkeit gibt es nur, wenn beide Streitparteien damit einverstanden sind. Das ist hier nicht zu erkennen.

Was ist aus Ihrer Sicht der Unterschied zwischen den Vorgängen auf der Krim und denen in der  Ost-Ukraine?
Gundel: Rechtlich ist der Unterschied nicht so groß, von den Fakten her schon. Auf der Krim ging alles schneller und beinahe ohne Gewaltanwendung. Das lag vor allem daran, dass russische Truppen schon im Schwarzmeerhafen Sewastopol stationiert waren, während die ukrainischen Kräfte praktisch handlungsunfähig waren. Rechtlich ist es aber in beiden Fällen so: Die territoriale Integrität eines Staates wurde von einem anderen angegriffen.

Tritt Kremlchef Putin also das Völkerrecht mit Füßen?
Gundel: Er hat es verletzt.

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