Jazz: Hier hört der Mossad mit

Von Wolfgang Karl
Voller Energie: Gilad Atzmon & The Orient House Ensemble im Bechersaal. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Von einem nie ganz Unpolitischen: Jazz Virtuose Gilad Atzmon trumpft im Becher-Saal auf, kokettiert mit seinem Ruf als Nestbeschmutzer - und weiß den Mossad auf seinen Spuren.

 
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Am Anfang denkt man: Vielleicht wäre es interessanter, diesen Mann sprechen zu hören. Er hat ja was zu sagen, dieser nie ganz unpolitische Gilad Atzmon. Sein erstes Stück hingegen wirkt, na gut, sagen wir mal: konventionell. In einer recht traditionellen Ballade streift Gilad Atzmon Jazz-Klassiker wie „I did it my way“, bekannt durch Frank Sinatra, oder „As time goes by“ aus dem Film Casablanca.

Das ruhige, verträumte Stück bezeichnet Atzmon selbst als „misleading beginning“ – als irreführenden Beginn. Den restlichen Abend verspricht er mehr „Krach“. Als solchen kann man Atzmons Kompositionen aber beim besten Willen nicht bezeichnen. Bei seinem Stück „Gaza, mon amour“ geht es einfach nur richtig ab. Am liebsten würde man die Tische zur Seite räumen und ausgelassen tanzen.

Kleiner Wink in Richtung PLO

Ein lebendige Melodie voller orientalischer Lebensfreude. Man kann sich das Menschengedränge in den engen Gassen einer arabischen Altstadt, das Stimmengewirr, die Gerüche förmlich vorstellen. Natürlich erzeugt Atzmon so einen dichten Sound nicht alleine: Frank Harrison am Piano, Bassist Yaron Stavi und ein junger Italiener an den Drums unterstützen Atzmon. Der war für Chris Higginbottom, den eigentlichen Drummer eingesprungen und erledigte seine Sache virtuos – zum Beispiel mit einem minutenlangen und bejubelten Drum-Solo im letzten Stück. Überhaupt hat Atzmon starke Musiker um sich versammelt: Auch Frank Harrisons Piano-Soli sorgten für reichlich Zwischenapplaus. Starke Musiker braucht es aber auch, um einen Frontmann wie Atzmon tragen zu können: Der ehemalige Fallschirmjäger ist ein kräftiger, großer Mann mit einem Stiernacken und einem ganz besonderen Humor. Seine Band nennt er Orient House Ensemble – benannt nach dem ehemaligen Hauptquartier der PLO in Jerusalem.

An einer Stelle nimmt der Multiinstrumentalist ein Akkordeon auf. Er wisse, meint Atzmon, dass es schon einer gewissen Chuzpe bedürfe, in Bayern  Akkordeon spielen zu wollen. Als das Publikum daraufhin lacht, sagt er nur: „Oh, nicht wie das letzte Mal in der Gegend. Ihr versteht ja wenigstens Englisch.“

Take Tel Aviv

Bei Atzmon kann man gar nicht genau sagen, mit welchem Instrument er eigentlich am meisten brilliert: Dem Saxophon, der Klarinette – oder seiner Sprache. Als Journalist hat er sich in Israel viele Feinde gemacht und war folglich seit 20 Jahren schon nicht mehr in seiner Heimat. Eine Verhaftung wegen Landesverrats würde ihm wohl drohen. Passenderweise heißt die aktuelle CD des Bläsers „The Whistleblower“. „Gaza mon amour“ ist darauf das erste Stück.

Der Stadt Tel Aviv hat er aber auch ein kleines Denkmal gesetzt: In Ahnlehnung an Dave Brubeck’s „Take five“ hat er eine persönliche Aufnahme zu Tel Aviv komponiert. Auch hier geht es wild, roh, ungestüm zu, wenn das Stück auch mehr Passagen der Ruhe enthält. Lässt er die Klarinette kreischen, könnte man meinen, er explodiert gleich. Im nächsten Moment schließt er die Augen, lässt die Zunge aus dem Mund hängen und tanzt verzückt. Manchmal verlässt er während des Konzertes einfach die Bühne. Damit lässt er seinen virtuosen Kollegen den nötigen Raum, selbst ein paar Akzente zu setzen. Doch jedes Mal, wenn er die Bühne betritt, ist man ein wenig gebannt von der massiven Präsenz dieses Mannes. Auf Nachfrage meint er, er würde täglich mit Bedrohung leben: „Der Mossad weiß immer wo ich bin – deswegen steht auch niemand auf der Bühne hinter mir.“ Ein echter Typ, ein starkes Konzert.