Irdisches Genie, himmlische Musik

Von Frank Piontek
Einfach schöne Musik: Das Weihnachtsoratorium in der Stadtkirche, unter der Leitung von Maike Bühle. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Wer achtet noch auf liturgische Feinheiten, wenn die Musik so schön ist: Bachs Weihnachtsoratorium verzückte die Zuhörer in der Stadtkirche.

 
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Jauchzet! Frohlocket!“ – so euphorisch beginnt das Weihnachtsoratorium von Bach: eine Euphorie, die fast vergessen lässt, dass das Lob, das dem „Höchsten“ geschenkt wird, ursprünglich einem etwas niedriger Stehenden zuteil geworden war. Es ist dies eines der Wunder eines an Wunder reichen Werks: dass die Theologie des Opus auf Voraussetzungen beruht, die der Komponist mehreren weltlichen Kompositionen entnommen hat.

Die Vermutung, dass die meisten modernen Zuhörer mit der pietistischen Leipziger Theologie des 18. Jahrhunderts nichts mehr anfangen können und es vorziehen, auf die „schönen Stellen“ zu achten, ist nicht von der Hand zu weisen. Bach war, als theologisch denkender Musiker, ein Mann des Protestantismus, nicht irgendeiner Leipziger Aufklärung, und auch diese Kantaten waren Musik für den Gottesdienst. Eine konzertante Darbietung war seinerzeit unvorstellbar. So ist jede konzertante Aufführung des Weihnachtsoratoriums eine Entfremdung vom ursprünglichen liturgischen und damit geistlichen Rahmen.

Starkes Flackern

Die Frage bleibt also: Wie war das Konzert? Es war, unterm Strich, sehr sehr schön. Abgesehen vom notorischen Klangbrei, den laute Tuttistellen in der weithalligen Stadtkirche zu provozieren pflegen, klingt das, was das auf Alte Musik-Interpretation eingestellte Ensemble La Banda zusammen mit dem Konzertchor der Hochschule für evangelische Kirchenmusik und Mitgliedern der Stadtkantorei unter der Leitung Maike Bühles an Tönen in den Raum schickt, klar akzentuiert. Mag die Botschaft von 1735 auch im Grunde der musikalischen Wohligkeit bei vielen Zuhörern versickern, so wird sie doch lupenrein artikuliert.

Es kommen hinzu einige Solisten, die das Prinzip Deutlichkeit mit ästhetischer Schönheit anreichern: Marie Luise Werneburgs Alt überrascht durch starkes Flackern, bevor er, sozusagen „engelisch“, in der auch musikalisch mystischen Verkündigungsszene zu leuchten beginnt. Advent eben… Wenn „Nummern“ wie die „Schlaf-Arie“ so wundersam gelingen wie bei Marie Luise Werneburg, weil der Alt seine Liebesbekundungen gleichsam gestisch singt, ist die Freude des Hörers vollkommen und die Erinnerung an den ursprünglichen weltlichen Anlass der Musik wieder da.

Wenn ein goldlockiger Sopran wie der der Michaela Maucher strahlt, ist das Weihnachtsoratorium in Gänze gerettet.

Die Botschaft liegt in der Schönheit

Die Banda nimmt dem Werk durch ihre Tempi und ihre farbigen Instrumentaleffekte (das Fagott näselt, die Holzbläser klingen hell und altertümlich durch den Chorraum, die Pauke setzt den Tutti zusammen mit den Barocktrompeten die Glanzpunkte auf) alle Schwere, setzt aber ausgerechnet bei der irdisch-himmlischen Siciliana auf den Rhythmus eines Trauermarschs, als wäre die Passion dem Geborenen schon eingeschrieben. Was bleibt, ist ein im besten Sinne ordentlicher Bassbariton (Clemens Heidrich) und ein agiler, aber allzu jugendlicher Tenor (Benjamin Glaubitz), dessen Evangelist wie ein typischer klassizistisch singender Kruzianer daherkommt.

Macht nichts: der gesamte Chor und das Ensemble schufen an diesem Abend ein Werk nach, dessen Botschaft für viele Menschen zuallererst in der schönen Abendmusik liegt. Auch dies ist ja Advent: der Advent einer himmlischen Musik, die vor bald 300 Jahren von einem irdischen Genie geschrieben wurde.