Internationaler Tag der Vermissten

Von Ralf Münch
Margaretha Michel, Vorsitzende der Sudetendeutschen Landsmannschaft in Pegnitz. Sie äußert sich zum internationalen Tag der Vermissten. Foto: Ralf Münch Foto: red

Der 30. August wurde vom Deutschen Roten Kreuz (DRK) als internationale Tag der Vermissten festgesetzt. Es soll an das Schicksal der unzähligen Menschen erinnert werden, die in Folge bewaffneter und politisch motivierter Gewalt weltweit verschwunden sind.

 
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Manchmal werden sie wieder gefunden, manchmal bleiben sie aber für immer verschwunden. Nicht nur die gegenwärtige Flüchtlingssituation, sondern auch besonders die Vergangenheit demonstriert immer wieder, wie schnell es gehen kann, dass Familien auseinander gerissen werden und sich anschließend suchen. Manchmal finden sie sich wieder, manchmal nie.

Eine selbst erlebte Geschichte

Margaretha Michel aus Pegnitz, Vorsitzende des Pegnitzer Ortsverbandes der Sudetendeutschen Landsmannschaft, die einen Tag nach dem internationalen Tag der Vermissten ihren 73. Geburtstag feiern wird, ist eine, die eine selbst erlebte Geschichte zu diesem Thema erzählen kann. Es war 1946, als sie mit ihren Großeltern aus Leitmeritz im Sudetenland aussiedeln musste. „Bei uns lief das organisiert. 50 Kilo Gepäck pro Person durfte man mitnehmen. Oft aber war es für die Betroffenen völlig chaotisch. Man bekam gerade einmal zwei Stunden vorher gesagt, dass man weg muss. Das hing davon ab, an welchen Organisator man kam“, erzählt sie.

50 Kilometer nördlich von Prag

Sie berichtet, dass ihr Großeltern, die rund 50 Kilometer nördlich von Prag wohnten, eine Arbeitsmaid hatten – damals war für alle Jungen und Mädchen Arbeitsdienst Pflicht. Es war die Cousine zweiten Grades des damaligen englischen Königs. Die Adelige war den Nationalsozialisten verhasst. Deshalb hatten einige Naziführer sich entschlossen die Maid, die „unter besonderer Beobachtung“ stand, Anfang 1945 an die Front zu schicken. Michels Vater besorgte ihr falsche Papiere und so konnte sie sich in einem Flüchtlingstreck verstecken.

Überraschend die Mutter gefunden

Auf ihrer Flucht stieß sie auf einen anderen Treck, der aus Schlesien kam und fand dort überraschend ihre Mutter. Nicht abgesprochen, nicht organisiert. Man kann es einen großen Zufall nennen – oder auch Schicksal. „Als wir 1946 nach Bayern, genauer gesagt nach Weihmichl bei Landshut kamen, trifft meine Großmutter rein zufällig in Landshut ihren Neffen Otto Ludwig, mitten auf der großen Marktstraße“, erzählt sie. Er war U-Bootfahrer und kam nach seiner Entlassung nach Eggmühl. Dort fand er Arbeit in einer Ofenfabrik. Nach Landshut fuhr er nur, um herauszufinden ob sein Abiturzeugnis hier anerkannt werden könnte. Nun hatte er einen Anlaufpunkt gefunden – einmal am Wochenende fuhr er mit der Bahn nach Weihmichl.

Rückzug aus Skandinavien

„Plötzlich bekamen wir Nachricht von Ottos Bruder Heinrich, von dem wir gar nicht wussten, wo er ist“, erinnert sich Margaretha Michel. Heinrich kam vom Rückzug aus Skandinavien nach Baden-Württemberg. An seinem damaligen Wohnort bekam er Kontakt zum Pfarrer. Diesem teilte er mit, dass er nach Ludwigsburg wolle. In dieser Stadt würden Leute aus Budweis leben, wo er mit seinen Eltern vorher gewohnt hatte. Vielleicht könne er dort etwas über seine Eltern erfahren. Der Pfarrer gab ihm eine Adresse von seinen Verwanden unweit von Ludwigsburg. Dort könne er seine Koffer einstellen. Michel: „Damals, als viele Menschen viele Menschen vermissten und suchten, waren es besonders die Pfarrer die bei der Suche halfen. Speziell vertriebene Geistliche suchten die Gläubigen ihrer alten Kirchengemeinden.“

Kirche war ein zentraler Anlaufpunkt

Zu den Pfarren kamen die Leute und sagten ihre Namen. Diese wurden dann an der Kirche veröffentlich. Zwar wurden auch im Radio immer wieder Namen von Vermissten und Suchenden veröffentlicht, aber die Kirche war damals ein zentraler Anlaufpunkt. In Bayreuth war es die Stadtkirche, und im Raum Pegnitz handelte es sich um die Marienkirche, die Kirchen in Trockau und Thurndorf, wie Professor Grulich aus Creußen dokumentiert hat. Bei den Leuten, wo Heinrich Ludwig seine Koffer einstellen konnte, handelte es sich zufällig um eine Familie, auch mit dem Familiennamen Ludwig.

Alle konnten Ausbildung abschließen

„Die Frau des Mannes war gestorben, seine Schwester führte den Haushalt. Heinrich stellte den Koffer ein und kam schließlich irgendwie nach Ludwigsburg“, sagt Michel. Dort erfuhr er schließlich, dass seine Eltern, die er suchte, nicht überlebt hatten. Als er seinen Koffer wieder abholen wollte, wurde ihm gesagt: „Sie bleiben jetzt erst mal ein paar Tage bei uns.“ Aus ein paar Tagen wurden so Jahre. Der Gastgeber bot sich auch an, den Bruder von Heinrich aufzunehmen, nachdem dieser ausfindig gemacht worden war. Einige Zeit später kam ein junger Mann. Er brachte Nachricht vom vermissten Sohn des alten Herrn Ludwig. Auch dieser wurde aufgenommen. Für alle jungen Männer sorgte dieser Mann mit seiner Schwester. Am Ende konnten alle an der Hochschule ihre Ausbildung abschließen.