Ingrid Noll: "Ich morde eher sanft"

Von Michael Weiser
"So blutrünstig geht's bei mir gar nicht zu": Ingrid Noll liest am Donnerstag bei "Leselust" im Zentrum. Foto: Renate Barth/Diogenes Foto: red

Sie gilt als eine der erfolgreichsten deutschen Autorinnen: Ingrid Noll (geboren 1935) kommt zum Festival "Leselust" nach Bayreuth (Donnerstag, 1. Februar, 20 Uhr, Zentrum) und liest aus ihrem jüngsten Roman "Halali". Wir sprachen mit der Autorin über ein abenteuerliches Leben, Deutsch als Rettung und das Glück, sein eigenes Buch in den Händen zu halten.

 
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Das Cover Ihres jüngsten Buches zeigt den Ausschnitt aus einem berühmten Gemälde von Caravaggio.

Ingrid Noll: Judith enthauptet Holofernes, richtig. Man sieht den Holofernes nicht, aber dafür das Gesicht der Frau, die leicht angeekelt dreinblickt, als weide sie gerade einen Fisch aus.

Wäre der Ausschnitt größer, würde man sehen, wie das Blut spritzt. Sie scheinen ein richtiger Fan wehrhafter, gar brachialer Frauen zu sein…

Noll: So blutrünstig geht’s bei mir gar nicht zu. Ich morde ja eher sanft. Ich finde aber, dass sich Frauen wehren können dürfen und sollen.

"Ich bin nicht militant"

Sie wurden auch schon als „sanfte Feministin“ bezeichnet.

Noll: In der Tat bin ich nicht militant, ich suche nicht unbedingt Krach mit den Männern. Sehen Sie, vor einiger Zeit gab es mal Frauenbuchläden, Männer durften die nicht einmal betreten. So etwas finde ich Quatsch. Man kann alles übertreiben. Aber wenn zum Beispiel Frauen für gleiche Arbeit immer noch weniger Lohn erhalten als Männer, dann finde ich das eine schreiende Ungerechtigkeit.

Sie klingen sehr freundlich, gar nicht wie eine Frau, die unablässig Männer ins Gras beißen lässt…

Noll: Ich überlege gerade, ob ich ein Wolf im Schafspelz bin. Ich würde mich wirklich als freundlichen Menschen bezeichnen, habe auch nie meine Kinder geschlagen, habe seit 1959 den gleichen Mann, was fast schon eine Kunst ist. Aber irgendwo muss man eben mal was rauslassen. Das denke ich auch von meinen Lesern. Es gibt unheimlich viele Menschen, die Krimis lesen. Auf meinen Lesungen lerne ich sie mitunter kennen, und das sind meistens friedfertige Menschen.

"Für uns ein Abenteuer, für die Eltern war es grässlich"

Als Ihr erster Roman „Der Hahn ist tot“ erschien, waren Sie 55; die Kinder waren gerade aus dem Haus, und da lag dieses frisch gedruckte Buch in Ihren Händen, erschienen in einem überaus angesehenen Verlag. Was für ein Gefühl war das?

Noll: Wie Weihnachten, Ostern, Geburtstag an einem Tag. Ich hatte nie damit gerechnet, dass das Manuskript gedruckt wird. Es war ja nur ein Experiment gewesen: Kann man das überhaupt? Man weiß so etwas vorher ja nicht.

Sie werden doch als Kind mal geschrieben haben, kleine Geschichten, etwas in dieser Art.

Noll: Ja, Kinder machen so etwas gern, kleine Mädchen vor allem. Meine Enkelin hat das auch gemacht. Ich glaube, 90 Prozent aller Kinder schreiben winzige Geschichten. Später, in Deutschland, konnte ich eine Fünf in Mathe mit einer Eins in Deutsch ausgleichen. Da habe ich gemerkt, das könnte eine Rettung für mich sein.

Aufgewachsen sind Sie in China, genauer: in Shanghai. 1949, als die Kommunisten siegten, floh ihre Familie unter dramatischen Umständen.

Noll: Mit dem letzten Schiff, das überhaupt noch ging. Das war ein Seelenverkäufer, kaum seetüchtig, total überfüllt, nicht das reine Vergnügen. Und dann kamen wir erstmal in ein Lager. Eine Aufenthaltsgenehmigung für Deutschland bekamen wir erstmal nicht, es waren dort ja ohnehin so viele Flüchtlinge. Und so blieben wir erst mal drei Monate lang in einem Flüchtlingslager in Italien.

Wahnsinn.

Noll: Für uns Kinder war das schön, ein richtiges Abenteuer. Für die Eltern war es grässlich.

"Autobiographisch schreibe ich nicht"

Wann werden Sie diese Geschichte erzählen?

Noll: Autobiographisch schreibe ich nicht. Für die Enkelkinder vielleicht, nicht aber für die Öffentlichkeit. Man müsste an so viele Menschen denken, die in dieser Geschichte vorkommen oder überhaupt nicht vorkommen und die sich dann hinterher dazu äußern, und das will ich vermeiden.

Wie haben Sie diese Ereignisse bei der Flucht beeinflusst?

Noll: Das weiß man nie richtig. Wäre ich anders, wenn ich in Deutschland aufgewachsen wäre? Hier gab es auch viele Flüchtlinge, die manchmal Furchtbares erlebt hatten. Viele Menschen meines Jahrgangs hatten vielleicht viel Schlimmeres erlebt. Wäre ich eine ganz andere? Ich glaube es nicht. Gerade ist ein Fremdwort in Mode, Resilienz.

Mir ist es neu.

Noll: Ich glaube, es bedeutet, dass man relativ gut Schicksalsschläge verkraften kann. Und das funktioniert bei mir.

Sie kommen am Donnerstag nach Bayreuth. Kennen Sie die Stadt?

Noll: Ich war schon mal da. 2007 war das, und ich habe Bayreuth in guter Erinnerung. Ich mache nicht mehr so viele Lesereisen. Nicht, weil ich so alt bin, aber mein Mann ist ein Pflegefall. Ich kann ihn nur alleine lassen, wenn die Kinder zur Stelle sind.

Sie sind ein fürsorglicher Familienmensch, meine Hochachtung. Auch Ihre Mutter haben Sie gepflegt.

Noll: Das war, als sie bei uns gewohnt hat. Mit 90 war sie eingezogen, sie wurde 106, und nur ganz am Schluss war sie ein Pflegefall. Sie hat sich lange tapfer gehalten.

"Alt werden ist eine Beleidigung"

Und jetzt kümmern Sie sich um den Ehemann, schreiben dennoch weiter Bücher. Ein ganz schönes Pensum…

Noll: Ich merke es schon. Alt werden ist eine Beleidigung. Man wird lahmer, und dann denkt man sich, das konnte ich doch früher ganz gut und viel fixer. Das ärgert mich.

Ihr neuer Roman heißt „Halali“. Sagen Sie uns doch mal, was es damit auf sich hat.

Noll: Halali ist ein Jagdsignal, wenn die Jagd zu Ende ist. Mein Verlag liebt kurze Titel. Man muss da nur aufpassen und recherchieren, nicht dass man sich etwas Tolles einfallen lässt und dann feststellen muss, das gibt es schon. Aber „Halali“ - das gab es noch nicht. Einer der Protagonisten, der sterben muss, heißt ja auch Jäger.

Die Geschichte spielt in Bonn

Noll: Ja. Nach einigen Stationen waren wir damals in Bonn-Bad Godesberg gelandet. Ich habe dort mein Abitur gemacht und studiert, ich kenne mich da aus. In den 50er Jahren habe ich mir auch als Studentin im Innenministerium Geld verdient.

Für die Jüngeren unter uns: Bonn war damals Bundeshauptstadt…

Noll: Ja, und es boomte. Es gab nicht gleich für alle Ministerien das passende Gebäude, also brachte man sie in Kasernen unter. Auch das Innenministerium. Meine Protagonisten sind Sekretärinnen dort, und sie werden in Spionagefälle verwickelt. Weiter will ich das jetzt gar nicht erzählen. Na jedenfalls wusste ich, wie es da zugeht. Sie können sich das nicht vorstellen. Im Keller gab es Duschen. Aber nicht Kabine an Kabine, wie man sich das so denkt, sondern alles Duschen nebeneinander, in Reih und Glied. Und einmal in der Woche gingen die Mitglieder des Ministeriums duschen, nach Männern und Frauen getrennt, aus sozialen und hygienischen Gründen, weil viele zu Hause gar kein heißes Wasser hatten.

Eine ferne Zeit. Auch das Verhältnis zwischen Männern und Frauen war noch ganz anders.

Noll: Völlig anders. Wie selbstverständlich meine Söhne kochen, sich um die Kinder kümmern… Das hätte man sich damals nicht vorstellen können.

Man kochte mit schweren Soßen…

Noll: …und machte so etwas wie Toast Hawaii. Der war gar nicht so übel.

Mett-Igel gab es auch noch.

Noll: Und Käse-Igel.

Manche Tiere sind vermutlich ganz zu Recht ausgestorben. Geraucht wurde damals auch noch.

Noll: Überall wurde gequalmt, ganz selbstverständlich. Ich bin immer Nichtraucherin gewesen und geblieben, aber die Männer haben so wieso alle geraucht, viele Frauen ebenfalls, auch zu Hause, vor Ihren Kindern.

Gibt es irgendetwas, das Sie vermissen?

Noll: Nicht direkt, es war eine sehr prüde Zeit. Da musste sich einiges verändern. Andererseits: Ich selber war gut drauf, jung und schlank. Wenn man 20 ist – das ist schon was.

"Mir geht es um die Psychologie"

Sie sind Deutschlands erfolgreichste Krimiautorin, was wünschen Sie Bayreuth zu seiner Premiere, erstmals Schauplatz für einen Tatort zu sein?

Noll: Wobei ich keine Krimiautorin bin. Es steht immer „Roman“ drauf, das Verbrechen ist immer nur ein Aspekt. Ich bin, was das angeht, plump, mir geht es eher um die Psychologie.

Gibt es nicht ohnehin viel zu viele Krimis? Wann immer man fernsieht, auf irgendeinem Kanal oder gleich mehreren wird zuverlässig gemordet und ermittelt.

Noll: Darunter sind auch sehr schlechte Krimis. Ich gucke mir die nicht alle an. Teilweise sind die Geschichten unglaubwürdig. Was im Vorfeld passiert ist, was unter den Teppich gekehrt wird, so lange, bis etwas in Gewalt explodiert, wird nicht erzählt, und am Ende muss man dann einen Joker aus der Tasche ziehen. Manchmal bin ich auch begeistert. Ich wünsche, dass der Bayreuth-„Tatort“ eine Perle wird. Spielen kann ein Krimi überall. In der Kleinstadt, der Großstadt – überall. Auch im Gebirge.

Wo spielt ihr nächstes Buch?

Noll: In meinem Jagdrevier, dort, wo ich mich auskenne. Ich kann ja nicht mehr so viel recherchieren. Ich muss wissen, wie die Menschen sind, wie’s am Ort der Handlung aussieht. Das ist nun einmal meine Umgebung. Ich werde keinen Krimi über das Drogenkartell in Kolumbien schreiben.

INFO: Karten für die Lesung von Ingrid Noll bei "Leselust" am Donnerstag, 1. Februar, um 20 Uhr im Zentrum gibt es unter anderem an der Kurier-Geschäftsstelle oder an der Theaterkasse.

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